Alles muss sich ändern! Das sagt FDP-Parteichef Christian Lindner, der nach dem Scheitern der Ampel durchaus optimistisch auf die anstehenden Neuwahlen blickt. Eine Regierungsbeteiligung ist das Ziel – aber nicht um jeden Preis.
Herr Lindner, werfen wir einen kurzen Blick zurück: Am 6. November forderte Kanzler Scholz Ihre Entlassung als Bundesfinanzminister und besiegelte damit das Ampel-Aus. Wie haben Sie diesen Tag erlebt?
Das war für mich letztlich auch ein Tag der Befreiung. Denn der Kanzler hat mich entlassen, weil ich nicht dazu bereit war, 15 Milliarden Euro an Schulden zu akzeptieren – und zwar verfassungswidrig an der Schuldenbremse vorbei. Meine Überzeugungen waren mir wichtiger als mein Staatsamt. Zuvor hatte sich bereits abgezeichnet, dass eine Neuausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik, die unser Land dringend benötigt, mit SPD und Grünen nicht zu erreichen war. Mein Angebot, gemeinsam und geordnet herbeigeführte Neuwahlen wie 2005 anzustreben, hat der Kanzler abgelehnt.
Sie sprachen den Grund der Auseinandersetzung bereits an: die Schuldenbremse. Bleibt diese auch weiterhin für Sie und die FDP unverhandelbar?
Bei der Debatte um die Schuldenbremse geht es im Kern doch darum, dass die Politik mutigen Entscheidungen allzu oft ausweichen möchte. Stattdessen flüchtet sie sich in die Staatsverschuldung. Die FDP steht bei der anstehenden Richtungsentscheidung jedenfalls für die Bereitschaft zu entschlossenen Reformen: bei den Staatsausgaben und beim Sozialstaat, der treffsicherer, effizienter und leistungsgerechter werden muss. Wir haben kein Wachstum und sind eine alternde Gesellschaft, deshalb haben wir keinen zusätzlichen Verschuldungsspielraum. Hinzu kommen die EU-Fiskalregeln, deren Einhaltung zwingend erforderlich ist. Ansonsten würden wir die Zukunft der Währungsunion und des Euro aufs Spiel setzen.
Manch einer sprach im Nachgang von einem „provozierten Eklat“. Spätestens seit der Veröffentlichung des „D-Day“-Papiers ist auch der Tonfall in den Medien teilweise sehr kritisch geworden. Es gab den Vorwurf einer zunehmend einseitigen Berichterstattung, teils ist sogar von einem „FDP-Bashing“ die Rede. Wie nehmen Sie das wahr?
Zwar hat es Mängel bei den Abläufen und der Kommunikation gegeben. Die personellen Konsequenzen wurden dann aber auch gezogen und es wurde Verantwortung übernommen. Die Indiskretionen, die medial gestreut wurden, haben öffentlich einen falschen Eindruck davon vermittelt, worum es der FDP eigentlich geht: nämlich insbesondere um eine neue Wirtschafts- und Finanzpolitik für Deutschland.
Am 16. Dezember hat der Kanzler die Vertrauensfrage gestellt und damit den Weg für frühere Neuwahlen freigemacht. Das verkürzt allerdings auch die Vorbereitungszeit für einen guten Wahlkampf. Ist das eine Herausforderung für die FDP?
Die FDP verfügt über einen Stab erfahrener Mitarbeiter und Dienstleister, die auch in einem verkürzten Zeitrahmen eine effektive Kampagne durchführen können. Wir haben schon mehrfach unter Beweis gestellt, unkonventionelle und innovative Kampagnen zu erarbeiten, die unsere politischen Inhalte auf aufmerksamkeitswirksame Weise transportieren können. Denn als disruptive und zukunftsorientierte demokratische Kraft ist es uns wichtig, dass sich unsere Themen Aufbruch, Erneuerung und Dynamik in einer modernen und unkonventionellen Präsentation widerspiegeln.
Ein zentrales Wahlkampfthema für Sie ist die Wirtschaftswende. Was braucht es jetzt?
Es geht vor allem um Disruption. Unser Land steht auf der Kippe und es muss sich Grundsätzliches ändern. Die Staatsausgaben dürfen nicht fortwährend schneller steigen als die Wertschöpfung. Der Sozialstaat muss Leistung belohnen und darf nicht Antriebslosigkeit fördern. Darüber hinaus verhindert der ausufernde Bürokratismus zunehmend Kreativität und Innovation. Das dürfen wir nicht länger tolerieren. Und wir müssen wegkommen vom deutschen Sonderweg in der Klima- und Energiepolitik, der unser Wirtschaftsmodell ruinieren kann.
Die CDU schickt mit Friedrich Merz einen als wirtschaftsaffin geltenden Kandidaten ins Rennen ums Kanzleramt. Wäre er also für die FDP der bestmögliche Wahlsieger?
Ich gehe davon aus, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Friedrich Merz der nächste Kanzler ist. Nach der großen Koalition und der Ampel wären Schwarz-Rot und Schwarz-Grün jedoch nur „Ampel light“. Wer das nicht möchte, muss also FDP wählen. Schwarz-Gelb wäre für Deutschland die beste Konstellation in der Sache, um die bereits beschriebenen notwendigen Veränderungen zu erreichen.
Dennoch: Merz flirtet auch gerne mal in Richtung Grüne, besonders Richtung Wirtschaftsminister Robert Habeck. Sie haben jüngst eine Videobotschaft an Merz gerichtet und von einer Annäherung an die Grünen gewarnt. Warum?
Die Union hat in erster Linie das Ziel, dass Friedrich Merz Kanzler wird. Das ist aus meiner Sicht zu wenig. CDU und CSU nehmen nach der Wahl stets die Farbe ihrer Koalitionspartner an. Frau Merkel hat sich das Programm der SPD zu eigen gemacht, Friedrich Merz würde das ebenso mit den programmatischen Inhalten der Grünen machen. Er sieht Robert Habeck ja bereits als seinen künftigen Wirtschaftsminister… Mit Schwarz-Grün sehe ich keinen Aufbruch, sondern eher ein „Weiter so“. Wenn es zu Schwarz-Grün kommen sollte, dann sind bei der Wahl 2029 niederländische Verhältnisse denkbar.
Kommen wir zurück zur FDP: Schaut man sich derzeitige Umfragen an, liegt die FDP bei etwa vier Prozent. Bereitet Ihnen das Sorgen oder bleiben Sie optimistisch?
Die Situation ist vergleichbar mit dem Jahr 2012. Als damaliger Spitzenkandidat der FDP in Nordrhein-Westfalen lief meine Kampagne unter dem Motto: „Lieber neue Wahlen als neue Schulden.“ Wir starteten bei zwei, drei Prozent in den Umfragen und haben am Ende mehr als acht Prozent erhalten. So fühlt es sich aktuell wieder an. Wenn wir alles geben und unsere Positionen klar herausarbeiten und präsentieren, dann wird diese Aufholjagd gelingen.
Das Ziel ist also auch weiterhin eine Regierungsbeteiligung?
Die FDP hat eine klare Haltung bei Eigenverantwortung und Freiheit und sie kann bei der Regierungsbildung ein entscheidender Faktor sein.
Klar ist doch: Die Politik muss sich ändern. Denn ansonsten wird unser Lebensstandard sinken, hunderttausende Arbeitsplätze könnten wegfallen und unser geopolitischer Bedeutungsverlust würde sich beschleunigen. Die Menschen fühlen sich durch einen übergriffigen Staat zunehmend bevormundet. Um eine neue Politik zu erreichen, braucht es die FDP in Regierungsverantwortung.
Über die Schuldenbremse haben wir bereits gesprochen: Was sonst ist für Sie bei möglichen Koalitionsverhandlungen nicht verhandelbar?
Ein ,Weiter so’ wird es mit uns nicht geben. Das ist nicht verhandelbar. Denn alles muss sich ändern, wie wir schon mit unserem Wahlkampfmotto deutlich machen.