Berlin ist eine Stadt, die grüner ist als viele andere Metropolen. Das zeigten Umweltsenatorin Ute Bonde und Wildtier-Experte Derk Ehlert bei einer Fahrt auf der Spree.
Das Artensterben ist dramatisch – leider auch in Berlin“, sagt Stefan Richter. Aber das soll an diesem sonnigen Samstagvormittag nicht die Laune verderben – schon gar nicht die von Ute Bonde (CDU), Berlins Senatorin für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt. Sie ist gekommen, um mit der Stiftung Naturschutz, deren Geschäftsführer Richter ist, die „wilde Spree“ zu erkunden. Dazu hat die Stiftung ein Ausflugsschiff gemietet. Die Fahrt zum Start in den „langen Tag der Stadtnatur“ ist ausgebucht.
Der Tag soll Menschen begeistern, informieren über die Vielseitigkeit von Berlins Flora und Fauna. Also keine kritischen Anmerkungen dazu, dass der Senat das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm (BEK) für den Doppelhaushalt 2026/2027 von rund 24,5 Millionen Euro auf rund sieben Millionen Euro gekürzt hat. Auch dass der Naturschutzbund (Nabu) im Streit um das Bauprojekt „Pankower Tor“ gerade gegen Bondes Senatsverwaltung geklagt hat, weil eine geplante Umgehungsstraße und eine Baustelleneinrichtungsfläche geschützte Arten auf dem Gelände bedrohen, ist ebenso kein Thema wie die Kritik von Umweltverbänden an Bondes Verkehrspolitik.
Ute Bonde selbst will auch nicht viel sagen an diesem Vormittag. Dafür ist „ein ganz liebenswerter Kollege“ aus ihrer Verwaltung an Bord. Der mache den „Erklärbär“, während sie sich mit der Rolle des „Schweigefuchses“ begnüge. Der Kollege ist Derk Ehlert, Wildtierexperte der Senatsverwaltung und ehrenamtlicher Mitarbeiter der Stiftung Naturschutz. Ein Mann, der nicht nur unheimlich viel weiß, sondern es auch voller Begeisterung vermitteln kann. Ein Mann, der die Natur ebenso liebt wie Berlin. Ein Mann, dem man glaubt, wenn er sagt, dass er einen Traumjob hat.
Und kaum hat die Senatorin wieder Platz genommen, legt Derk Ehlert auch schon los: 18 Prozent der Stadtfläche sind Wald, etwa gleich viele Flächen sind als Schutzgebiete ausgewiesen. Berlin gehört zu den wasserreichsten Gegenden Europas, gleichzeitig sei die Stadt aber „wasserarm“, weil es hier weniger regne als anderswo. Umso wichtiger sei es, das Wasser zu schützen, denn schließlich werden 3,6 Millionen Menschen mit Wasser aus der Stadt versorgt. Naturschutz bedeute auch, die Lebensgrundlage für die Menschen zu schützen.
Außer den Menschen gibt es in Berlin rund 20.000 Tier- und Pflanzenarten. Und ja, einige davon sind in Gefahr, sagt Derk Ehlert. Aber es komme auch immer mal wieder vor, dass Insektenarten entdeckt werden, die als ausgestorben galten. Es seien meist ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung, die solche Entdeckungen machen.
Von solchen wiederentdeckten Arten kann Derk Ehlert an Bord nur erzählen. Einige „Neu-Berliner“ kann er aber auch zeigen. Die Großmöwen zum Beispiel. Die seien früher nur an der Nord- und Ostsee vorgekommen. „Vor 30 Jahren gab es die in Berlin noch nicht“, sagt Ehlert und erklärt: „Diese Vögel brauchen zum Brüten Kiesflächen ohne Bäume. Die finden sie in Berlin auf Flachdächern – unter anderem auf dem Roten Rathaus.“ Nicht nur für sie sei die Stadt ein guter Lebensraum. Die Mauersegler zum Beispiel, die so tief über die Spree fliegen, dass sie aus ihr trinken können: „Das sind Akrobaten der Lüfte, eher mit dem Kolibri verwandt als mit den Schwalben. Wir Menschen haben eine künstliche Felsenlandschaft für sie gestaltet – also Berlin“, erklärt Ehlert.
Eine Tierart, die sich in der Stadt behaupten will, „muss mit uns Menschen zurechtkommen“, sagt der Wildtierexperte. Und die Menschen müssen die Tiere in Ruhe lassen. In Berlin habe man sich recht früh entschlossen, Wildtiere in der Stadt nicht zu jagen. Und man habe sich zu Maßnahmen entschlossen, die Geld kosteten, aber nicht verstanden wurden und deshalb für viel Kritik gesorgt haben. Bestes Beispiel dafür sei eine Stelle am Spreeufer im Bereich Kreuzberg-Friedrichshain, an der man die steile Spundwand auf etwa 30 Metern entfernt hat, um Bibern und Fischottern die Möglichkeit zu geben, sich da auszuruhen.
Biber, Fischotter, Mäusebussard und Möwen
Das Ganze habe 30.000 Euro gekostet – und es gab keine Biber und auch keine Fischotter in der Spree. Die Medien, erinnert sich Ehlert, haben vorgerechnet, was man mit dem Geld hätte Sinnvolles tun können – etwa Kitas sanieren. Inzwischen sind die Biber und die Fischotter in der Stadt zurück. Auch wegen solcher einladender Gesten wie der „Raststelle“ an einem Ufer, das diese Tiere sonst nicht erklimmen könnten. Und noch etwas hat die Rückkehr der Biber und Fischotter nach Berlin gezeigt: „Die leben nicht da, wo ich das gerne hätte oder es für wahrscheinlich gehalten hätte“ – also nicht da, wo die Spreelandschaft am idyllischsten ist.
Das gelte auch für die Mäusebussarde. Ausgerechnet im von Menschen stark genutzten Tiergarten mitten in der Stadt gibt es drei Bussard-Reviere. Auch Habichte fühlen sich offenbar in Berlin wohl. 120 Brutpaare habe man gezählt. Und anders als in anderen Städten seien diese Vögel in Berlin nicht besonders scheu. Sie gewöhnen sich an die Menschen. Und sie finden in der Stadt Nahrung: „Rund 10.000 Tauben fressen Habichte jedes Jahr in Berlin“, weiß Derk Ehlert. Sie haben dafür ihre Jagdtechnik angepasst. Die Habichte stürzen sich in Hinterhöfen auf ihre Beute, ziehen so von Häuserblock zu Häuserblock. „Die lernen, hier anders zu jagen als auf dem Land, und bleiben Berlin daher auch treu“, sagt der Mann „mit dem schönsten Job der Welt“.
Auch die Möwen passen sich ihrer Umgebung an. „Die fressen Pommes und Döner, aber für ihre Jungen suchen sie nur das Beste: Fisch, aber auch Ratten“, erzählt Ehlert. Ratten seien noch nahrhafter als Fisch. Rund vier Prozent der Nahrung von Berliner Möwen machen die Nagetiere aus.
Derk Ehlert hält kurz inne. Da hat „gerade der häufigste Vogel in Deutschland gerufen, der Buchfink“, informiert er sein Publikum. Dann kommt er aber schnell zu den etwas größeren Vögeln. Die Graureiher kamen vor 90 Jahren aus den Niederlanden, seien also auch Neu-Berliner. Aber es gibt in der Stadt auch schon länger heimische Reiherarten.
Die beliebten Höckerschwäne sind nicht von alleine nach Berlin gekommen. Man habe sie von Schiffsreisen aus Asien mitgebracht – nicht wegen ihrer Schönheit, sondern um sie unterwegs zu essen. Neulich ging bei der Verwaltung von einem verstörten Vogelbeobachter die Meldung ein, dass ein Höckerschwan einen anderen getötet hat. So sei das eben in der Natur: „Tiere sind nicht human – und dieser Schwan hat sicher sein Revier und seine Jungen verteidigt“, sagt Ehlert.
Er unterbricht seinen Gedankengang erneut – denn: „Die Nebelkrähe, die muss ich ihnen unbedingt noch vorstellen. Großartige, sozial lebende Tiere, die sehr intelligent sind“, schwärmt Ehlert. Wie die Tauben übrigens auch. Ein Tier, mit dem der Mensch schon seit Jahrhunderten zusammenlebt. „Tauben sind wundervolle Vögel. Wenn sie eine am Bahnhof sehen, schauen sie sie sich in Ruhe an – bevor es der Habicht tut.“
Ein Teil des Publikums lacht, ein Teil wirkt irritiert. Die Senatorin wirkt entspannt. Und der Wildtierexperte hat noch einen Tipp: Wer sich erholen möchte, sagt Derk Ehlert, müsse dafür nicht ins Umland. „Es gibt alles hier in Berlin“, schwärmt er. Und vielleicht, hofft er, werden ja aus einigen von denen, die Erholung in der Natur suchen, auch Menschen, die sich als ehrenamtliche Naturbeobachterinnen und Naturbeobachter für die Stiftung engagieren.