China gilt als einer der wichtigsten Wirtschaftspartner für Deutschland. Gleichzeitig wird die Kritik am fernöstlichen Handelspartner immer lauter. Nicht nur wegen Chinas fragwürdigem Umgang mit Menschenrechten – sondern auch wegen des wirtschaftlichen Ungleichgewichtes.
Erst vor wenigen Tagen ist Bundeskanzler Scholz von seinem Staatsbesuch bei Xi Jingpin zurückgekehrt. Unbehagen hatte sich im Vorfeld vor allem unter Menschenrechtsexperten breitgemacht. „Ich habe das ungute Gefühl, hier ist eine hochdotierte Wirtschaftsdelegation nach Peking gereist, die den Kanzler freundlicherweise auf Kosten der Regierung mitgenommen hat und nicht umgekehrt, der Kanzler war da nur noch Türöffner für die deutsche Wirtschaft", sagte Wenzel Michalski, Deutschland-Direktor von „Human Rights Watch" gegenüber FORUM. „Politischer Wandel durch Handel ist von gestern." Das habe in den letzten 30 Jahren im Sinne der Menschenrechte nicht funktioniert und werde auch nicht nach der letzten Kanzlerreise funktionieren. Kritik an Scholz’ Reise kam im Vorfeld auch von der britischen Zeitung „Telegraph": Während sich viele Industrienationen von China distanzierten, stemme sich Deutschland „gegen diesen Trend", hieß es dort in einem Kommentar. Der Bundesregierung sei die Aufrechterhaltung guter Beziehungen zu China wichtig, da sein anderer großer autokratischer Handelspartner Russland tabu sei, hieß es weiter. Dabei hat Olaf Scholz den Balanceakt zwischen Distanzierung und Diplomatie versucht. So hat er unter anderem die Menschenrechtslage in der Provinz Xingjang angesprochen. „Menschenrechte sind keine Einmischung in innere Angelegenheiten", so der Bundeskanzler auf einer Pressekonferenz mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang Ende vergangener Woche.
Zwischen Diplomatie und Distanzierung
Dass die Volksrepublik ein immens wichtiger Wirtschaftspartner ist, lässt sich indes nicht von der Hand weisen: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes war die Volksrepublik China im Jahr 2021 zum sechsten Mal in Folge Deutschlands wichtigster Geschäftspartner. Zwischen beiden Ländern wurden Waren in einem Gesamtwert von 246,5 Milliarden Euro gehandelt. „China ist und bleibt ein sehr wichtiger Handelspartner für Deutschland und Europa", bestätigt auch Matthias Bianchi, Leiter Public Affairs des Deutschen Mittelstand-Bundes (DMB), gegenüber FORUM. Allerdings sei insbesondere der deutsche Mittelstand zurückhaltender in Bezug auf China geworden. „Dies ist ein längerfristiger Trend, der sich unter anderem darin äußere, dass es in den vergangenen Jahren so gut wie gar keine neuen Markeintritte deutscher Unternehmen in China gegeben hat." Zudem habe die „China-First-Politik" zunehmend für Verunsicherung im deutschen Mittelstand gesorgt. „Die Geschwindigkeit und das Ausmaß, mit dem sich das Land nach außen hin abgeschlossen hat, ist besorgniserregend", findet Matthias Bianchi. Für Unternehmen besonders problematisch seien beispielweise die massiven Devisenkontrollen und erschwerte Gewinnrückführungen, aber auch die restriktive Corona-Politik. „Die Abhängigkeit einzelner deutscher Konzerne vom Absatzmarkt China ist stark ausgeprägt", sagt der DMB-Experte.
„Vor allem die Asymmetrie der Abhängigkeit bei Rohstoffen ist problematisch – auch für den Mittelstand." Die Schieflage bemängelt auch Jürgen Matthes, Ökonom am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer Studie. Die Verflechtungen hätten sich im ersten Halbjahr 2022 „mit einem enormen Tempo in die falsche Richtung entwickelt", so der Ökonom. „Die deutschen Direktinvestitionsflüsse nach China waren noch nie so hoch."
Die deutsche Wirtschaft habe allein im ersten Halbjahr 2022 rund zehn Milliarden Euro investiert. Seit der Jahrtausendwende habe der bisherige Höchstwert in einem ersten Halbjahr bei lediglich 6,2 Milliarden Euro gelegen, so Matthes. Die Warenimporte aus China im ersten Halbjahr 2022 stiegen gegenüber dem ersten Halbjahr 2021 um fast die Hälfte mit 45,7 Prozent. Doch auf der Exportseite, „an der in Deutschland immerhin gut eine Million Arbeitsplätze hängen" sehe es „relativ mau" aus, so der Ökonom. Das Handelbilanzdefizit erreichte im Halbjahr 41 Milliarden Euro.
Andere europäische Länder versuchen zurzeit, sich wirtschaftlich zu emanzipieren. Michalski nennt etwa Belgien. Genau an dem Tag, an dem sich die Bundesregierung auf den 24,9 Prozent Container-Terminal-Deal geeinigt hat, gab die belgische Regierung bekannt, dass sie prüft, wie man den Hafen in Antwerpen von den Chinesen wieder zurückkaufen kann. Doch der „Human Rights Watch"-Chef macht sich wenig Hoffnung in puncto Deutschland. Von solchen Überlegungen scheint die Ampelregierung meilenweit entfernt. Ähnlich sieht das auch Tenzyn Zöchbauer, Geschäftsführerin der Tibet-Initiative Deutschland. Das Verhalten der Regierung sei „ein völliger Widerspruch" zu dem, was im Koalitionsvertrag verhandelt worden sei. Von den Liberalen hatte die 31-jährige Menschenrechtsaktivistin nichts anderes erwartet, eine Wirtschaftspartei freut sich immer über Geschäftsabschlüsse, auch wenn das auf Kosten der Menschenrechte geht. Aber von den Grünen hätte sich die geborene Tibetanerin dann schon mehr gewünscht als Aktennotizen. Die Geschäftsführerin der Tibet-Initiative Deutschland will einfach nicht wahrhaben, dass in ihrer neuen Heimat darüber diskutiert wird, die Abhängigkeit von „undemokratischen, autokratischen Staaten abzubauen, während ein deutscher Bundeskanzler in Peking diesen Weg der wirtschaftlichen und damit politischen Abhängigkeit, ungeachtet der Entwicklung in China, einfach weitergeht", so Tenzyn Zöchbauer im FORUM-Gespräch. Die Bundesregierung verweist bei dieser Kritik immer gern auf das neue Lieferkettengesetz, das ab Januar gilt. Demnach soll es Importverbote für Produkte geben, die mithilfe zum Beispiel von Zwangsarbeitern produziert wurden. Doch nicht nur die Menschenrechts-Aktivistin aus Tibet hat massive Zweifel, dass das überhaupt überprüft werden kann. „Da hilft das ganze Sorgfaltspflichtgesetz, das die Überprüfung der Lieferketten flankieren soll, nichts. Wenn zum Beispiel Rohstoffe wie Baumwolle, Garne oder Stoffbahnen in andere Länder geliefert und dann dort zusammengenäht werden. Das Rohmaterial ist trotzdem unter massiven Menschenrechtsverletzungen hergestellt worden." Ähnliches befürchten auch andere Menschenrechts-NGO, wie die „Gesellschaft für Bedrohte Völker" oder das Institut Südwind für Ökonomie und Ökumene. Betroffen ist nicht nur die Textilindustrie, sondern auch die Autobauer. Aber wie soll bei so komplexen Produkten wie einem Pkw nun nachgeprüft werden, ob jedes Bauteil bei der Herstellung auch dem gesetzlich, vorgegebenen Menschenrechtsstandard entspricht. Doch die chinesische Gefahr ist auch längst in Deutschland ganz physisch angekommen. „Mitglieder unserer tibetischen Community werden immer wieder direkt angeschrieben und in die chinesische Botschaft oder in ein Konsulat vorgeladen, um ihre Visapapiere abzuholen. Doch die wurden selbstverständlich nie beantragt, aber so versucht man die Menschen auf chinesisches Hoheitsgebiet zu locken." Doch diese Einschüchterungsversuche werden auch ganz simpel per Telefon oder im Internet unternommen, so Tenzyn Zöchbauer.
„Ein völliger Widerspruch"
„Wie können die Dimensionen „Partnerschaft", „Wettbewerb", aber auch „Werte" in eine kohärente Außenwirtschaftsstrategie eingebunden und gegenüber China konsequent umgesetzt werden?", fragt DMB-Manager Matthias Bianchi. Deutschland und Europa bräuchten mehr strategische Autonomie sowie starke Partner, die bereit seien, für dieselben Werte einzustehen. „Die Spielregeln müssen neu aufgestellt und klar kommuniziert werden."