Die Anthologie-Serie „The White Lotus“ zeigt hübsche Menschen an schönen Schauplätzen, die sich hässliche Sachen antun. Zu sehen sind die ersten beiden Staffeln auf Wow, eine dritte wurde angekündigt.

Der Bräutigam steht am Terminal, schaut einem Sarg dabei zu, wie er in ein Flugzeug verladen wird. Eine Frau kommt auf ihn zu und fragt unschuldig, wo denn seine Frau sei. Das gehe sie überhaupt nichts an, antwortet er wirsch – und wir sind mittendrin im bunten Reigen von „The White Lotus“. Die Serie verbindet tiefschwarzen Humor mit hoch menschlicher Tragik und macht es einem genauso leicht, die Figuren zu lieben, wie man ihnen umgekehrt jedes mögliche Übel wünscht. Die Anthologie-Serie hat bislang zwei Staffeln mit jeweils dem gleichen Grundmuster: Eine Schar sehr gut situierter Feriengäste macht an einem erlesenen Platz eine Woche Urlaub und kehrt dabei jeweils in ein fiktives „White Lotus“-Resort ein.
In Staffel eins liegt das Edel-Hotel auf Hawaii. Zu den Schönen und Reichen, die auf der Inselgruppe urlauben, gehört Shane Patton (Jake Lacy), eingangs erwähnter Bräutigam. Das Muttersöhnchen ist ein eitler Fatzke, der mit seiner Frau Rachel (Alexandra Daddario) auf Hochzeitsreise ist. Sie liebäugelt damit, ihre Karriere als Journalistin zum Laufen zu bringen, er will nur ein hübsches Anhängsel. Gleich zu Beginn verscherzt Patton es sich mit Resortmanager Armond (Murray Bartlett), was den Hotelier, der seinen Gästen gegenüber überfreundlich auftritt, immer wieder dazu bringt, die Eskalationsspirale weiter anzutreiben.

Familie Mossbacher wiederum besteht aus Matriarchin und Bestsellerautorin Nicole (Connie Britton), ihrem schluffigen Mann Mark (Steve Zahn), dem Sohnemann Quinn (Fred Hechinger) und seiner Schwester Olivia (Sydney Sweeney). Während sich die Geschwister ständig streiten, wird es auch nie ganz klar, ob die ach so liberale Olivia ihre beste Freundin Paula (Brittany O’Grady) im Schlepptau hat, weil sie sich mit einer Afroamerikanerin schmücken möchte, oder ob sie sie wirklich mag. Deren Urlaubsflirt und Olivias Eifersucht machen die Sache auch nicht klarer. Zwischendurch taucht immer wieder Tanya McQuoid (Jennifer Coolidge) auf, die wahlweise zwischen ihren eigenen Problemen und dem Problem pendelt, die Asche ihrer Mutter auf Hawaii zu verstreuen, die sie quasi ständig mit sich herumträgt.
Es ist ein großartiges Sammelsurium an persönlichen Geschichten und komplex gezeichneten Figuren, die Showrunner Mike White da versammelt hat. Jede Person, die positiv eingeführt wird, wird irgendwann vorgeführt, teils absurd und mit drastischer Komik. Jeder anfangs negativ konnotierte Charakter sagt oder tut irgendwann etwas Selbstloses, sodass das famos aufspielende Ensemble genügend Raum hat, echte Menschen auf den Bildschirm zu bringen.
Absurde, drastische Komik
Dieser diabolische Spaß setzt sich nahtlos mit Staffel zwei fort. Diesmal besucht eine andere Reisegruppe das White-Lotus-Resort auf Sizilien. Reich und schön sind hier das Doppelpaar Daphne und Cameron Babcock (Meghann Fahy und Theo James) sowie Harper und Ethan Spiller (Aubrey Plaza und Will Sharpe), die sich hintergehen und sich gleichzeitig immer näher kommen. Parallel begibt sich das Opa/Vater/Sohn-Trio Bert, Dominic und Albie Di Grasso (F. Murray Abraham, Michael Imperioli und Adam DiMarco) auf Ahnensuche auf der Insel.

Dann verdrehen noch die leichten Mädchen Lucia (Simona Tabasco) und Mia (Beatrice Grannò) reihenweise Köpfe, während die völlig humorbefreite Resortleiterin Valentina (Sabrina Impacciatore) versucht, ihren Laden im Griff zu haben – und ihre eigenen Emotionen. Und dann ist da ja erneut Tanya McQuoid, die ihre Krise mit dem in Staffel eins kennengelernten Geschäftsmann und Lebenspartner Greg Hunt (Jon Gries) auf die Kette zu bekommen versucht, indem sie sich mit lokalen zwielichtigen Partygängern ablenkt.
Es sind einige der großen aktuellen Fragen, denen „The White Lotus“ nachgeht: Alltagsrassismus, Privilegien, Sexualität, Spiritualität, Familienzusammenhalt, Ehrlichkeit. Der Kniff, dass gleich zur Einführung jeweils angeteasert wird, dass jemand stirbt, man aber nicht weiß, wer, macht die 13 Episoden auch noch spannend wie einen Krimi. Dennoch kann man der Serie vorwerfen, dass sie im Grunde fast nur aus der Sicht von privilegierten Weißen erzählt. Doch genau wie in den Zeichnungen der Charaktere gibt „The White Lotus“ auch hier keine einfachen Antworten. Vielleicht ist der Himmel ein wunderschöner Strand voller Oberflächlichkeiten. Und vielleicht ist die Hölle ja einfach nur der Ort, wo jeder seines eigenen Glückes Schmied ist.