Bis zum 2. Juni ist im Schloss Neuhardenberg die Ausstellung „Der Himmel über Brandenburg – Landschaften des Berliner Impressionismus“ zu sehen. Auch die Gegend zu erkunden lohnt sich.
Die Zeichen stehen auf wechselhaft. Die Wetter-App zeigt Schauer und weiße Wölkchen, die stoisch den Himmel über Brandenburg durchpflügen werden. In den gestrigen Lokal-Nachrichten war sogar die Rede von spontanem Frühling-Graupelschauer. Am frühen Nachmittag soll die Sonne die monochromen Wolken vertreiben. Perfekt für unsere Landpartie zur Kunst.
Vor 150 Jahren begann es in Frankreich
Um dem von bleiern bis zu sonnig changierenden Himmel nah zu sein, ergreifen wir – hoch zu Rad – die Stadtflucht aus Berlin ins Märkische Oderland. Wir fahren früh los und wollen uns auf den Weg zum Thema machen. Im Geiste sind wir schon bei den Berliner Künstlern, die uns im Schloss Neuhardenberg erwarten. „Der Himmel über Brandenburg – Landschaften des Berliner Impressionismus“ ist die erste diesjährige Sonderausstellung der Stiftung. Fast zeitgleich mit dem 150. Jubiläumsjahr des französischen Impressionismus wurde sie eröffnet. Eine Gruppe junger französischer Maler – darunter Claude Monet, Camille Pissarro, Pierre-Auguste Renoir, Alfred Sisley, Edgar Degas und die Malerin Berthe Morisot – hatten 1874 ihre erste Ausstellung gegen alle akademischen Widerstände in Paris präsentiert. In den Folgejahren haben sie den Impressionismus als neue Kunstbewegung etabliert.
Erst etwa 20 Jahre später wird der Impressionismus als reformierende Kunstrichtung auch ins übrige Europa schwappen. Als Ausläufer der Romantik, des Realismus und Naturalismus findet er auch in Deutschland seine Anhänger.Max Liebermann in Berlin, August von Brandis, Ernst Oppler und Lovis Corinth werden hierzulande seine bedeutendsten Vertreter. Berlin wird sich im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts zur deutschen Kunsthauptstadt entwickeln, in der sich auch die importierte, avantgardistische „Kunst der Eindrücke“, zügig verbreiten wird. Es geht fortan um das Einfangen flüchtiger Momentaufnahmen, bei dem sich Form in Licht und Farbe auflösen, und das Motiv hinter die individuell empfundene, stimmungsvolle Darstellungsweise des Malers tritt.
Auch in Berlin wird eine Sehnsucht nach Naturnähe und Ursprünglichkeit durch die rasante Verstädterung der schnell wachsenden Metropole und der damit einhergehenden Beschleunigung des alltäglichen Lebens genährt. In den weiten Landstrichen, den dichten Kiefernwäldern und an wild zugewachsenen Uferböschungen des Umlands entdeckten die Berliner Impressionisten eine bislang kaum beachtete Schönheit. Die Landschaft der Mark Brandenburg, die früher als zu unspektakulär galt, wird ein willkommener Kontrast zum Stadtraum.
Die Künstler sind berührt und fasziniert von den changierenden Lichtstimmungen der Jahreszeiten, die sich vor allem im Himmel manifestierten und das atmosphärische Kolorit der Landschaft ausmachen. Es gilt, die durch Wetter und Licht geprägten Stimmungsmomente realitäts- und empfindungsnahbar einzufangen. Die Œuvres werden nicht mehr im Atelier, sondern unter freiem Himmel und mitten in der Natur mit Öl oder Acrylfarben gemalt. Die neuen Industriefarben in Tuben machen die Freiluftmalerei möglich.
Frauen war der Zugang zur Akademie verwehrt
Auch in Deutschland gruppierte man sich: 1892 gründete sich in Berlin „die Vereinigung der XI“ als die erste moderne Künstlergruppe Deutschlands. 1898 wurde die Berliner Sezession eine Gegenbewegung zu allen akademischen Dogmen. Das konservative Kaiserreich war natürlich nicht d’accord, aber auch in den inneren Reihen sollten sich die Künstler immer wieder zersplittern. Sich über Kunst zu positionieren wurde in diesem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts seismograFisch längst als gesellschaftliches Standing ausgespielt. Im Impressionismus spiegelte sich eine moderne und zugleich nonkonforme Lebenshaltung.
Als wir, begleitet vom natürlich gemalten Himmel mit dem Wechsel aus Regen, Graupel, Wind und dem kurzen, prognostizierten Sonnengeleit, über den Schlossplatz zum Nebengebäude rollen, empfangen uns die schwarzweißen Konterfeis der Künstlerinnen und Künstler: Walter Leistikow, Lesser Ury und Karl Hagemeister waren wohl die bekanntesten Vertreter des „Berliner Impressionismus“. Emil Pottner, Philipp Franck und Paul Vorgang sind in Vergessenheit geraten. Die Malerin Julie Wolfthorn steht stellvertretend für die Frauen, die die Berliner Künstleravantgarde am Ende des 19. Jahrhunderts entscheidend mitgeprägt haben. Als ihr der Zugang zur deutschen Kunstakademie verwehrt blieb, lehrte sie in Paris. Ihr ganzes Leben kämpfte die jüdische Künstlerin unermüdlich für die Akzeptanz von Frauen in der Kunst und später gegen die Repressalien des Nazi-Regimes. Ihr Gegenstromdasein sieht man ihren mit lockerem Pinselstrich in hellen, leuchtenden Farben gemalten Landschaften – Orten des Glücks und der Leichtigkeit – nicht an.
Die meisten der im Raum verteilten 41 Gemälde sind Leihgaben. Einige der Werke werden erstmalig in einer Ausstellung gezeigt. Beim Lesen von Theodor Fontanes stimmungsvollem Begrüßungssatz steht man vor dem ikonisch leuchtenden, durch horizontale Schichten aus Licht und Abendstimmung, stilisierten Himmel beziehungsweise „Sonnenuntergang über märkischer See“ von Paul Vorgang. Der Staatskunst verpflichtet, war der Professor für Landschaftsmalerei an der preußischen Akademie der Künste als einziger kein Mitglied in der Sezessionsgruppe. Er war aber dafür bekannt und beliebt, mit seinen Schülern das Zeichnen in der Natur zu üben. Er beherrschte mit Bravour das Spiel mit Nah- und Fernsicht. Zu Unrecht wurde er als „der kleine Leistikow“ betitelt.
Walter Leistikow war die treibende Kraft der Bewegung. Als Gründungsmitglied der „Vereinigung der XI“ und der Berliner Sezession war er schon zu Lebzeiten populär. Sein Werk „Märkischer Waldsee mit zwei Birken“ (um 1895) steht stellvertretend für seinen virtuosen Umgang mit atmosphärischen Lichtstudien und für eine in grafische Zonen unterteilte Vereinfachung der Landschaften. Mit Flächigkeit und schattigen Kontrasten erzeugte er eine Plastizität melancholischer Sehnsucht – als Kontrast zum städtischen Leben.
Leistikow gilt als Entdecker der märkischen Landschaft – als eine menschenleere, aber dem Menschen zugängliche, keinesfalls romantisierte Natur. Er verbrachte ganze Wochen und Monate an den Seen im Umland, in Friedrichshagen, Erkner und Grünheide sowie am Wannsee, der Havel und im Grunewald. „Ich wollte Natur in ihrem Wesen begreifen, mich in sie hineinfühlen. Ich will immer zwei Bilder auf einmal malen. Wozu habe ich denn zwei Hände“, soll Leistikow gesagt haben.
Zentral im Raum entdeckt man – in zeitlos abstrakter Schönheit – die Werke von Karl Hagemeister, der mit seiner wellenartig dynamischen, fast unscharfen und farblich bereits ins Expressionistische gehenden Malweise der vielleicht visionärste Berliner Impressionist war. Seine Motive entwickelte er aus der Farbe und nicht mehr aus der Form heraus. In seinen ausschnitthaften Bewegungs- und Lichtstudien wie die „Überwehten Frühlingswiesen im Wind“ nutzte er die Technik des „Patos“ (Italienisch für Impasto – das Gemisch), bei der die Farbe dick aufgetragen wird. Das Licht wird dadurch zusätzlich auf dem Bild reflektiert.
„Die Natur ist kein Stillleben, sondern ein schöpferischer, ewig arbeitender Mechanismus“, wird der wie ein Fischer und Jäger im Fischerdorf Ferch am Schwielowsee lebende Einzelgänger zitiert. Früh morgens fuhr er auf Motivsuche mit seinem Fischerboot die Böschung der Havel entlang, verharrte still, ließ wirken, dachte nach und fing an zu malen. Auch wenn jeder Künstler seine eigene, mal dynamische, mal kontrollierte Pinselführung und Motivauswahl anders auslebte, war allen der Wunsch gemein, ebenso physisch wie geistig in die Landschaft der Mark Brandenburg einzutauchen.
Auch wir schreiten bedächtig weiter durch die Ausstellungs-Landschaft aus Licht, Farben und Atmosphärischem, um alle Werke zu verinnerlichen. Auf dem Rückweg in die Stadt ist unser Blick noch sensibilisiert. Die Dramatik am Himmel über Brandenburg ist der Klarheit eines sonnigen Frühlingsabends gewichen.