Wer vom Verbrenner umsteigt, findet sich im Elektro-SUV EQB von Mercedes sofort zurecht. Aber reicht das aus, um eine technikaffine Kundschaft zu begeistern?
Winfried Kretschmann ist nie um eine Anekdote verlegen. „Neulich habe ich für meinen Enkel eine Tonne Sand geholt“, erzählte der baden-württembergische Ministerpräsident 2017 in einem Interview mit der „taz“. „Da brauche ich einfach ein gescheit’s Auto.“ Ein „gescheit’s Auto“ – das konnte in seinen Augen nur eines mit Verbrennungsmotor sein. Ganz falsch war diese Aussage zum damaligen Zeitpunkt nicht. Selbst heute hält sich die Zahl der E-Autos, die mit einer Anhängerkupplung ausgestattet sind, noch in Grenzen. Und selbst wenn, dann dürfen sie wegen des schweren Akkus nur selten große Lasten transportieren. Eine Tonne Sand für den Enkel? Dafür muss man erst mal einen Stromer finden.
Der Mercedes EQB ist so ein Auto. Mit einer maximalen Anhängelast von 1.400 Kilogramm könnte Kretschmann sogar noch eine Schippe drauflegen. Auch sonst dürfte dem Grünen-Politiker, der dienstlich eine elektrische Mercedes-Limousine fährt, der SUV gefallen: kastig, geräumig, schwäbisch. Na ja, fast. Hergestellt wird er in Ungarn, aber da wollen wir mal nicht so sein. Doch reichen die Kriterien, die ein Mittsiebziger an ein Auto stellt, um eine breite Zielgruppe zu begeistern? Oder ist der EQB der Inbegriff der Seniorenklasse?
Überzeugendes Platzangebot innen
Von vorne sieht er aus wie ein Entenschnabel, von hinten wie abgehackt. Aber die Design-Elemente sind schön, am Heck mit durchgezogener Lichtleiste, vorne mit kleinen Mercedes-Sternen, die im glatten Kühlergrill funkeln. Was ihm an optischer Finesse fehlt, gleicht der EQB mit seinem Platzangebot aus. Zwar ist er kein Fünf-Meter-Riese wie der Kia EV9, doch auch hier lässt sich auf Wunsch eine dritte Sitzreihe einbauen. So kommen maximal sieben Personen unter, wenngleich sich der Kofferraum dadurch signifikant verkleinert.
Wer sich für die fünfsitzige Version entscheidet, bekommt einen knapp 500 Liter fassenden Kofferraum. Ein Spitzenwert ist das nicht, doch die Ladekante liegt tief und ermöglicht das Verstauen von schwerem Gepäck. Mit umgeklappten Rücksitzen entsteht eine noch größere Fläche. In unserem Fall passt sogar ein kompletter Gartentisch hinein, plus zwei Stühle. Um sperriges Gepäck mit Spanngurten zu befestigen, hat Mercedes mehrere Metallringe in die Karosserie eingelassen. Daran merkt man, dass es sich beim EQB eben doch nicht nur um eine Seniorenklasse handelt, sondern dass der alltägliche Nutzen mitgedacht wurde. Und der besteht bei einem solch großen Auto nun mal im Transport – sei es von Menschen, Möbeln oder Sand.
Auch innen überzeugt das Platzangebot. Vor allem auf dem vorderen „Thron“ sitzt der Fahrer fürstlich. Die Federung pariert Schlaglöcher so gut, dass selbst ein zehnstündiger Autobahntag ohne Hexenschuss zu bewältigen ist. Nur hinten fällt die Qualität ab, weil die Sitze keinen Seitenhalt bieten. Ebenfalls suboptimal: die Sicht des Fahrers auf den Hauptbildschirm. Dieser ist so weit links angeordnet, dass das Lenkrad einen Teil verdeckt – ausgerechnet den, der die Kilometer bis zum Ziel anzeigt. Klar, mit einer leichten Kopfdrehung ist das Problem behoben. Ein Premiumhersteller wie Mercedes sollte sich solche Fehler aber nicht leisten.
Nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit
Kommen wir zum Elektroantrieb. 533 Kilometer weit fährt der EQB auf dem Papier. In der Realität schafft er es mit Ach und Krach von Münster bis Hamburg, also knapp 300 Kilometer. Wer kraftvoller aufs Strompedal drückt, muss weitere Einbußen in Kauf nehmen. Erst recht bei winterlichen Minusgraden, unter denen E-Auto-Batterien leiden. Verglichen mit der Konkurrenz schneidet der EQB damit ausgesprochen schlecht ab. Der Kia EV9 kam im Test rund 450 Kilometer weit, auch das Tesla Model Y und der VW ID.5 schafften Reichweiten um die 400 Kilometer– zugegeben im Hochsommer, doch auch bei der Mercedes-Testfahrt herrschen milde zwölf Grad.
An der Ladestation kommt der EQB auf eine maximale Leistung von 100 Kilowatt. Auch dies ist im Vergleich zu den Mitbewerbern ausgesprochen wenig. Doch man muss dem Mercedes zugutehalten, dass er den Höchstwert der Ladeleistung lange hält. So dauert es am Ende knapp 40 Minuten, die Batterie wieder auf 80 Prozent zu laden. Damit liegt der EQB dann doch wieder im E-Auto-Durchschnitt.
Richtig gut funktioniert die Routenplanung über das Mercedes-eigene Navigationssystem MBUX. Das Navi plant automatisch Ladestopps auf der Route ein und berücksichtigt dabei auch die Topografie. Geht es stundenlang den Berg rauf, wird früher eine Strom-Tanke angesteuert, als wenn die Strecke schnurgerade verläuft. Sogar die Belegung von Ladestationen wird angezeigt, vorbildlich! Auch die Spracherkennung leistet sich keine Fehler. Der EQB kennt Adressen, Wetterlagen und sogar den einen oder anderen Witz. Nur an den Pointen sollte das Auto noch arbeiten: „Was ist ein anderes Wort für Kfz-Mechaniker? Autokorrektur.“
Vom Navi abgesehen, ist die Qualität der Software durchwachsen. Die wichtigsten Anzeigen – Geschwindigkeit, Reichweite, Navi – sind klar erkennbar, die Menüs selbsterklärend. Doch im Alltag offenbaren sich Schwächen. So geht auf Parkplätzen mehrfach ohne ersichtlichen Grund die Alarmanlage los. Danach startet das System komplett neu: Die zuletzt einprogrammierten Radiosender und Adressen sind weg und müssen neu eingestellt werden. Ärgerlich.
Bei den Assistenzsystemen überwiegt der positive Eindruck. Der Tempomat mit Abstandshalter funktioniert super, der Spurhalteassistent leistet gute Arbeit. Beide Systeme sind serienmäßig an Bord. Richtig gut gelungen ist die aufpreispflichtige Rückfahrkamera. Sie zeigt selbst in der Dunkelheit ein gestochen scharfes Bild.
Deutlich schlechter läuft die Verkehrszeichen-Erkennung. Hier kommt es im Laufe der zweiwöchigen Testphase gleich mehrfach zu Verwechslungen. Mal zeigt der EQB innerorts ein angebliches Tempolimit von 80 km/h an, mal mahnt er zu langsamem Fahren, obwohl es gar keine Begrenzung gibt. Schwer tut er sich besonders mit temporären Tempolimits, also zum Beispiel solchen vor Schulen, die nur tagsüber gelten. Der EQB zeigt sie immer an.
Auch an anderer Stelle merkt man dem Stromer an, dass er schon seit 2021 auf dem Markt ist. Zwar kann er inzwischen „Plug and Charge“ – er startet Ladevorgänge automatisch, sobald man den Stecker einsteckt. Es ist also keine Autorisierung durch Ladekarten oder Apps mehr nötig, wenn die Bankdaten im Auto gespeichert werden. Andere wichtige Features wie bidirektionales Laden sind für den EQB jedoch ein Fremdwort. Anders als etwa die Kia- oder VW-Konkurrenz kann der Mercedes Strom nur „tanken“, nicht aber abgeben. Gerade im Hinblick auf die Energiewende werden solche Funktionen langfristig aber wichtig. So kann man selbst produzierten (Solar-)Strom in der Autobatterie speichern und nachts, wenn keine Sonne scheint, wieder nutzen oder ins Netz abgeben.
All das ist freilich kein Muss, aber eben doch ein Indikator, dass der EQB trotz guter Navigation und bequemer Sitze nicht mehr so ganz auf der Höhe der Zeit ist. Wer von einem Verbrenner umsteigt, wird sich darin sofort zurechtfinden. Langweilig wird es hingegen wohl für alle, die ihr E-Auto für mehr nutzen möchten als lediglich zum Sandholen.