Plötzlich sind sie ein Stück Fußballgeschichte: Der FCS wirft Rekordmeister Bayern München aus dem DFB-Pokal. Ein Tag, der vielen in Erinnerung bleiben wird.
Manche Dinge brauchen keinen Kontext. Das 6:1 zum Beispiel. Noch heute ist für jeden, der auch nur kleine Berührungspunkte mit dem 1. FC Saarbrücken hat, klar, um was es dabei geht: der 6:1-Erfolg gegen den FC Bayern München am 16. April 1977. „Bei dem legendären Spiel gegen den FC Bayern München hat mein Papa ja vier Tore erzielt“, erinnert sich Oliver Stegmayer, der Sohn von Roland Stegmayer. Seinerzeit war er zwar noch sehr jung, aber immerhin mit im Stadion. Wirklich gut daran erinnern kann er sich nicht mehr. „Aber mein Dad hat mir viel von diesem Spiel erzählt.“ Vom ausverkauften Ludwigspark, der tollen Unterstützung durch die Fans und einer leidenschaftlichen Mannschaft war die Rede. „Fans müssen am nächsten Tag vor unserer Wohnung gestanden haben und gesungen haben: ‚Stegy, Stegy, noch einmal, es war so wunderschön‘“, so Stegmayer. Auch das Pokalspiel der Saarbrücker gegen die Bayern ließ Oliver Stegmayer sich nicht entgehen. „Meinem Papa ist es aufgrund gesundheitlicher Probleme leider nicht möglich gewesen, selber vor Ort zu sein“, erzählt der 49-Jährige. Dafür waren er und sein Sohn vom Verein eingeladen worden. Mit der Sensation gerechnet hatte er aber vor dem Spiel nicht: „Natürlich macht man sich Gedanken ob es so sein könnte“, so Stegmayer. „Aber die Vernunft sagt dann wieder: eigentlich nicht.“
Vernunft versus Hoffnung
Die Vernunft gänzlich außer Acht gelassen hat Mark Muchow. Der kultige FCS-Fan war bereits im Vorfeld des Spiels an den Verein, genauer gesagt an Vize Salvo Pitino und den Merchandising-Verantwortlichen Andreas Wolny, herangetreten um einen Pokalschal aufzulegen. „Da der Verein in den letzten Jahren öfters mal vergessen hat, solche Pokal-Schals anzugehen, war es mir sehr, sehr wichtig, dass es zumindest gegen die Bayern wieder einen geben wird“, erzählt Muchow, der in der Fanszene als „Mutcho jr“ bekannt ist. „Ich wusste aber, dass wir da jemanden mit ins Boot nehmen müssen, der weiß, was Fans wollen und einen, dem solche Gestaltungen am Herzen liegen. Es muss jemand dabei sein, der wie ich diesen Verein liebt und ihn unterstützt aber halt ein wenig mehr Gestaltungsideen hat und auch weiß, was geil ankommt. Und da haben wir Daniel Zanner dazugenommen.“ Mit der Aufschrift „Macht es noch mal“ spielten sie dabei auf den 6:1-Erfolg an. Mutcho selbst war auch davon überzeugt, dass das gelingen kann: „Ich wusste, wenn wir mit einem Unentschieden in die Kabine gehen, brennt bei denen der Baum in der Kabine. Ja, ich wusste, wir können sie schlagen.“ Aufgeregt aber war er dennoch: „Ich war bei keinem Spiel vor Aufregung so oft auf Toilette“, lacht er. „Es war immer ein auf und ab, sodass ich meine Emotionen gar nicht beschreiben kann. Für mich war es einfach nur ein wunderschöner Abend, den ich mit meiner Tochter und meinem Vater und ganz vielen Freunden erleben durfte.“
15.903 Zuschauer waren anwesend, als der FCS ein weiteres Mal Geschichte schrieb. „Es war gute Stimmung. Kurz vor der Halbzeit fiel das 1:1 da waren alle happy“, erinnert sich auch Eva Christ. Sie ist mit ihrem Team verantwortlich für die Verpflegung im Business- und im Logenbereich. „Alle waren sehr ausgelassen und gut gelaunt“, erzählt auch Dennis Maurer, der sich während des Spiels um das Catering im sogenannten Businessclub kümmerte. Etwa 200 Gäste mehr als sonst galt es, hier zufriedenzustellen. Das bedarf auch guter Vorbereitung. „Die Getränkebestellung im Vorfeld war extra hoch“, erzählt Eva Christ. „Wir haben damit gerechnet, dass – selbst wenn wir verlieren – das ein Spiel ist, das zum Verweilen einlädt. Das war ein klassisches Spiel zum Party machen.“ Und die wurde gemacht. „Die Leute waren sehr lange draußen. Sie kamen zwar Bier holen, aber standen wahnsinnig lange draußen und haben mit der Mannschaft gefeiert“, erzählt sie. „Das war bestimmt eine Stunde länger als sonst“, bestätigt auch Maurer. Rund 2.000 Liter Bier wurden allein im Businessbereich des Stadions getrunken. „Sonst sind das etwa 800 Liter“, vergleicht Maurer. „Es wurde auch sehr viel Wein getrunken, was sonst nicht so ist“, sagt Christ. Vom Spiel selbst hatten die beiden nicht viel mitbekommen. „Es waren so viele Gäste. Ich habe das Spiel mehr auf dem Fernseher verfolgen können“, sagt Dennis Maurer. Und auch Eva Christ, die sich in den Logen aufhielt, erzählt: „Das 2:1 habe ich gerade noch so im letzten Augenzwinkern mitbekommen.“
Emotionale Überforderung
Dafür ganz viel mitbekommen hat Stadionsprecher Christoph Tautz. Hautnah dabei, war er aber wenig optimistisch für den Abend: „Ich hab mich tatsächlich schon Tage vorher auf eine Niederlage eingestellt und mir eingeredet, dass das dann auch vollkommen okay ist und dass ich dann nicht – wie sonst – traurig sein muss“, erzählt er. „Ansonsten wusste ich, dass unsere sensationellen Fans für Gänsehautstimmung sorgen werden – und genauso war es dann auch. Da kann man dann auch als Stadionsprecher einfach nur noch genießen.“
Vor dem Spiel sei seine Vorfreude dennoch riesig gewesen. „Weil es mich so gefreut hat, dass wir so ein großes Spiel im neuen Ludwigspark erleben“, verrät er. Das ganze Spiel über habe er damit gerechnet „dass die Bayern jetzt den Sack zumachen“ – aber es passierte nicht. „Am Ende war ich einfach nur fassungslos“, lacht der Wahl-Frankfurter. „Es hat lange gedauert bis ich wirklich realisiert habe, dass wir die großen Bayern rausgeworfen haben – und dass wir tatsächlich ein Jahrhundert-Spiel für den FCS erlebt haben.“ Alles sei so schnell passiert, dass er viele Dinge im ersten Moment gar nicht einzuordnen wusste: „Mein erster Gedanke nach dem 2:1 war: Wer war der Torschütze? Alle um mich herum haben geschrien, und niemand wusste es. Ich war von diesem Moment emotional so überfordert, dass ich erst mal gar nix fühlen konnte. Das kam erst viel, viel später.“
„Nach 46 Jahren schreibt der FCS mit einer neuen Generation Geschichte. Unfassbar auch, dass man so was live erleben darf“, sortiert Oliver Stegmayer das Spiel ein. „Ganz Saarbrücken war ein Tollhaus. Der FCS ist ein schlafender Riese, und hoffentlich kann dieser Verein wieder an die glorreichen Zeiten anknüpfen.“ Stolz sei er darauf, dass er gleich bei zwei historischen Siegen live dabei sein durfte. „Es macht nicht nur mich und meinen Sohn, sondern die ganze Familie Stegmayer sehr, sehr stolz“, sagt er. „Im Namen meines Vaters nochmals herzlichen Dank für alles – es freut ihn sehr, dass er unvergessen ist.“ Und das wird er auch bleiben. Er und nun auch eine komplett neue Generation Fußballhelden.