Über Krankenhauskeime sind viele unzureichende Informationen im Umlauf. Prof. Dr. med. Barbara Gärtner, Mitglied der Lenkungsgruppe des Infectio Saar Netzwerkes, möchte mit falschen Begrifflichkeiten aufräumen.
Frau Prof. Gärtner, es heißt ja immer „der Krankenhauskeim". Aber „den" gibt es so ja nicht. Können Sie bitte den Unterschied erläutern?
Das ist gut, dass wir darüber reden. Dieser Begriff Krankenhauskeime wird häufig falsch genutzt. Ich bin oft Gutachterin vor Gericht. Ich war neulich bei einem Fall, der womöglich schlicht aus diesem Missverständnis heraus vor Gericht gegangen ist: Ein Patient hatte einen multiresistenten Keim und schloss daraus, dass er sich diesen im Krankenhaus zugezogen hatte, weil er den Erreger unter dem Begriff Krankenhauskeime kannte.
Ich erlebe ganz oft, dass es Missverständnisse gibt, die zum Teil auch Menschen dazu bringen zu meinen, wenn sie mit bestimmten Keimen infiziert sind, dass sie die ausschließlich aus dem Krankenhaus bekommen haben. Es gibt also noch sehr viele andere multiresistente Erreger. Die bekommt man aber in der Regel aber gar nicht aus dem Krankenhaus, sondern aus der Umwelt. Das kann über Lebensmittel passieren, das kann über Baden in einem See passieren oder über viele andere Wege.
Wo kommt denn diese Begrifflichkeit „Krankenhauskeim" eigentlich her?
Das kommt daher, dass einer der ersten und bedeutendsten Erreger, den wir kannten, tatsächlich dorther kommt. Das war MRSA. Und bei MRSA gibt es verschiedene Stämme, die werden eingeteilt beispielsweise in „Health care associated", also Krankenhaus assoziiert. Dann gibt es „livestock associated", das sind die, die über Tiere übertragen werden. Und dann gibt es noch die dritte Sorte, „Community acquired". Das sind die, die in der Allgemeinbevölkerung unterwegs sind. Und die gab es bis etwa 2015 in Deutschland nur sehr selten. In der Zwischenzeit sind sie häufiger geworden.
Es gibt drei oder vier ganz bekannte, aber generell viel mehr dieser „Krankenhauskeime". Gibt es eine Übersicht, wie viele es gibt?
Es gibt zwei große Gruppen auf der Seite der grampositiven Erreger, das sind die Staphylokokken, und das sind die Enterokokken. Auf der Seite der gramnegativen Erreger gibt es ganz viele. Die können ihre Gene, die Resistenz gegen das Antibiotikum vermitteln, untereinander austauschen. Multiresistente Viren gibt es hingegen eher selten, und wenn, dann meistens bei Menschen, die konstant Therapien erhalten, also etwa HIV-Patientinnen und -Patienten. Aber das sind keine Erreger, die man im Krankenhaus überträgt.
Wenn ich Patient in einem Krankenhaus bin und mich mit etwas anstecke: Kann ich diese einzelnen Keime unterscheiden anhand der Symptome?
Bei der Klinik führend ist der jeweilige Erreger, die Multiresistenz spielt bei den Symptomen keine Rolle. Also ob Sie so einen „normalen" (antibiotikaempfindlichen) Staphylococcus aureus haben oder einen MRSA, macht in der Klinik erst mal gar keinen Unterschied. Der Unterschied entsteht erst, wenn man anfängt zu therapieren. Wenn man den Erreger noch nicht kennt, beginnt man oft mit einer Therapie, die in aller Regel – also beim nicht-resistenten Erreger – gut funktioniert. Das nennt man eine kalkulierte Antibiose. In den Fällen, in denen aber ein multiresistenter Erreger mit dieser kalkulierten Antibiose behandelt wird, wäre die Therapie unwirksam, solange bis man den Erreger und seine Resistenzen nachweisen kann und dann die richtige Antibiose wählt.
Kalkulierte Antibiose als mögliche Therapieform bei noch nicht identifizierten Erregern
Was sind denn meistens die Symptome?
Das kann man so direkt nicht sagen, weil es einfach zu viele unterschiedliche Erreger gibt, und der Erreger auch häufig dort Probleme macht, wo er hingebracht wird. Also wenn man zum Beispiel den Erreger Staphylococcus aureus in einer Wunde hat, dann kann es eine Wundinfektion geben. Es kann eine Blutstrom-Infektion geben, wenn er sich in einem Gefäß ansiedelt. Es kann alle möglichen Infektionen im Zusammenhang mit künstlichem Material geben, etwa bei künstlichen Gelenken, künstlichen Herzklappen, Kathetern. Je nachdem, wo dieses Material ist, siedeln sich alle Bakterien gerne dort an, auch multiresistente. Aber da unterscheiden die sich eigentlich gar nicht von den antibiotikaempfindlichen Erregern.
Warum sind sie letztendlich so gefährlich?
Sie sind de facto nicht gefährlicher, sie müssen anders therapiert werden. Wenn man eine Erkrankung mit einem antibiotikaresistenten Erreger therapiert, als ob es ein antibiotikaempfindlicher Keim wäre, dann hat man einige Tage nicht wirksam therapiert. Die Infektion schreitet fort und ist gegebenenfalls später nicht mehr gut zu therapieren. Also ein Patient oder eine Patientin kommt, hat hohes Fieber, und jetzt geben Sie ein unwirksames Medikament, bis Sie nach zwei oder drei Tagen durch Labordiagnostik feststellen, dass es ein resistenter Erreger ist. Dann hat er oder sie quasi keine Therapie bekommen. Das ist eines der Grundprobleme. Das andere Problem ist, dass diese Medikamente, die die Patientinnen und Patienten dann brauchen, sehr teuer sind. Die Erkrankung selbst ist identisch, die unterscheidet sich gar nicht.
Gibt es da Abläufe, dass man auf die Krankenhauskeime schon relativ am Anfang untersucht?
Es gehört zum Ablauf, dass man evaluiert, ob der Patient oder die Patientin ein besonderes Risiko für multiresistente Erreger hat oder nicht. Die Faktoren kennen wir relativ gut. Und wenn es kein spezielles Risiko gibt, dann macht man kein Screening, weil die Wahrscheinlichkeit extrem niedrig ist, dass man so einen Erreger in sich trägt. Und wenn die Wahrscheinlichkeit hoch ist, weil ich zum Beispiel aus einem Pflegeheim komme, oder weil ich sehr viel Antibiotika bekommen habe in letzter Zeit, vielleicht, weil ich früher schon mal so einen Erreger hatte, dann würde ich natürlich sofort gescreent werden und wahrscheinlich auch erst mal behandelt werden, wie wenn ich einen hätte.
Auch die Übertragung durch Tiere ist möglich. Da ist man jetzt natürlich gerade durch Corona sensibilisiert für das Thema. Wie hoch ist die Gefahr einer Ansteckung durch welche Tiere?
Tiere können genauso besiedelt werden. Das können sowohl Haustiere sein wie auch Nutztiere. Wenn wir mit einer Katze kuscheln, und wir würden uns von der Katze MRSA holen, dann macht uns das erst mal nichts. Wir werden ja nicht krank durch den Erreger. Der lebt nur auf unserer Haut oder Schleimhaut wie seine nicht resistente Schwester auch. Es wird erst ein Problem, wenn er zum falschen Zeitpunkt an den falschen Ort kommt, weil man zum Beispiel eine Wunde hat. Er braucht eine Eintrittspforte in den Körper, und das sind häufig offene Wunden oder Fremdmaterialien, die in den Körper gehen, wie ein Schlauch im Bauch oder ein Katheter. Dann hat er so eine Art Autobahn, über die der Keim von der Haut in den Körper reinkommt. Solange man diese Autobahn nicht hat, tut er einem in der Regel nichts. Da lebt er bei uns, ohne Symptome zu machen. Irgendwann ist er dann vielleicht auch wieder weg.
Mit einem überdachten Einsatz von Antibiotika lassen sich auch multiresistente Erreger zurückdrängen
Infectio Saar gibt Infomaterial heraus. Was beinhaltet dieses?
Wir haben eine Menge Infomaterial zum Dekolonisieren, das ist eine Methode wie man MRSA möglicherweise wieder aus dem Körper entfernen kann. Wir haben für Ärztinnen und Ärzte eine allgemeine Antibiotika-Leitlinie, die „InfectioApp", bei der man nachschauen kann, bei welcher Erkrankung welches Medikament gegeben werden soll. Die ist frei im App-Store verfügbar. Daneben gibt es auch viele Information zu den Erregern die gar keine Multiresistenz haben, aber trotzdem wichtig sind. Wir haben auch sehr viel Patienten-Materialien in unterschiedlichen Sprachen. Auch spezielle Dokumente für Pflegeheime sind dabei. Zudem finden viele Fortbildungsveranstaltungen durch das Netzwerk statt.
Und ein wichtiger Punkt ist, dass man bei der MRSA-Dekolonisierung sektorübergreifend zusammenarbeiten muss. Hier ein Beispiel: Ein Patient kommt ins Krankenhaus. Dort wird MRSA festgestellt. Der Patient ist nach drei Tagen aber wieder entlassen. Jetzt ist er in der Betreuung des Hausarztes, ist vielleicht im Pflegeheim und muss dekolonisiert werden. Die Dekolonisierung wurde vielleicht schon im Krankenhaus begonnen. Jetzt muss sie woanders weitergemacht werden. Und dafür braucht man einen Sektor-Übergang – und nichts ist schwieriger im deutschen Gesundheitswesen als ein Sektor-Übergang vom stationären ins ambulante System.
Wieso ist das so?
Weil in jedem Sektor nur bestimme Dinge möglich sind oder erstattet werden. Man hat versucht, das ambulante System und das stationäre so weit wie möglich zu trennen. Das hat weniger mit dem Wohl der Patientinnen und Patienten zu tun als mit finanziellen Interessen. Hier ein Beispiel für den Sektor-Übergang bei MRSA. Für die Dekolonisierung werden verschiedenen Produkte eingesetzt, die im Krankenhaus in den Pauschalen mitfinanziert sind, im ambulanten System aber verschrieben werden müssten. Nicht immer werden die Kosten dann von den Kassen übernommen. In manchen Fällen sind bestimmte Produkte erstattungsfähig, dazu braucht man aber die Labordiagnose. Dies ist aber im Krankenhaus gelaufen. Das Netzwerk versucht, genau diesen Sektor-Übergang zu adressieren und Lösungen zu schaffen.
Wer kann Mitglied werden?
Jeder aus dem Gesundheitswesen kann das, und wir freuen uns über alle, die teilnehmen möchten. Ein Antrag kann formlos oder über unsere Homepage gestellt werden. Neben den Einzelmitgliedern sind aber auch Institutionen vertreten. Das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie des Saarlandes unterstützt das Netzwerk maßgeblich. Die kassenärztliche Vereinigung ist ebenso Mitglied wie auch alle Krankenhäuser des Saarlandes. Wir machen auch gerade einen Kurs dazu, wie man sinnvoll Antibiotika verordnet. Es geht uns insgesamt darum, die Verordnung von Antibiotika auf das sinnvolle Maß zu bringen
Ja, Antibiotika werden sehr gern sehr häufig verschrieben ...
Genau. Und da arbeitet man sehr aktiv dran, weil das natürlich ein Schlüssel ist, um die multiresistenten Erreger zurückzudrängen, damit man nur in den echt notwendigen Fällen Antibiotika verschreibt. Da machen wir sogenannte Antibiotika-Stewardships, Kurse für sowohl Krankenhausärzte wie auch für Niedergelassene und auch für Zahnärzte. Dann machen wir normalerweise zweimal im Jahr eine Netzwerk-Konferenz, bei der sich die Mitglieder des Netzwerkes treffen, Fortbildungsveranstaltungen machen et cetera. Wir führen das meistens an der Uni durch, weil wir hier große Hörsäle haben.
Ist es ein Verein oder ein eher loser Zusammenschluss?
Es ist eher ein loser Zusammenschluss, unter besonderer Förderung durch das Ministerium. In der Hygieneverordnung des Saarlandes steht zum Beispiel auch, dass die Krankenhäuser in so einem Netzwerk Mitglied sein müssen.
Das Netzwerk fing ursprünglich als MRSA-Netzwerk an. Da ging es eigentlich nur um diesen Erreger. Wir sind in Deutschland nicht das einzige Netzwerk dieser Art. Ursprünglich geht es zurück auf eine Gründung eines Kollegen, der in Münster das grenzüberschreitende Euregio-Netzwerk ins Leben gerufen hat. Das ist quasi die Urmutter. Dann wurde im Zuge dessen im Saarland ein regionales sektorübergreifendes Netzwerk gegründet. Das hieß damals „MRSAar Netz", dann haben wir es in „InfectioSaar Netzwerk" umbenannt, als der Fokus breiter wurde und es nicht nur um einen einzigen Erreger ging. In der Zwischenzeit geht es um alle multiresistenten Erreger, aber auch um viele andere Hygiene-Themen. Ein Schwerpunkt, den wir früher nicht auf dem Schirm hatten, ist die Verordnung von Antibiotika, sodass man an die Wurzel des Übels geht.
Genau das ist ja auch tatsächlich das Grundübel: dass zu viel Antibiotika verschrieben und genommen werden und sich daraufhin Bakterien bilden, die um zu überleben gegen die Antibiotika resistent werden. Ist das so korrekt formuliert?
Genau.
Die Angaben der Todeszahlen schwanken zwischen 10.000 und 100.000 jährlich. Besteht also ein Grund zur Panik? Das ist natürlich ein bisschen polemisch formuliert.
Nein. Zum einen beziehen sich die Zahlen nicht auf multiresistente Erreger allein, sondern in aller Regel auf Infektionen, die aus dem Krankenhaus erworben werden. Wie bereits erwähnt dürfen diese beiden Begriffe nicht als Synonym verwendet werden. Ins Krankenhaus kommen in der Regel schwer kranke Menschen, bei denen ein multiresistenter Erreger ein zusätzliches Risiko bedeutet, aber nicht unbedingt die alleinige Ursache einer schweren Erkrankung sein muss. Im Krankenhaus geht es oft darum, multiresistente Erreger frühzeitig zu erkennen und über Hygienemaßnahmen zu verhindern, dass sie auf Patienten übertragen werden. Aber es ist kein Grund zur Panik.