Da ist er wieder. Donald Trump, ein verurteilter Krimineller, gewinnt die meisten Wählerstimmen, die meisten Swing States in den USA. Angstkampagnen, offensichtliche Lügen, Frauenhass und Hetze gegen Migranten gewinnen mittlerweile auch in den Vereinigten Staaten Wahlen.
Wie konnte das passieren? Diese Frage beschäftigt die Demokratische Partei in den USA, aber auch ganz Europa. 2016 gewann Trump, weil die US-Amerikaner dachten, ein Sieg Hillary Clintons wäre ohnehin bereits sicher – und zu Hause blieben statt zu wählen. 2020 verlor er, weil die Wählerinnen und Wähler Joe Biden und Kamala Harris als Positivbeispiel nach einer erschöpfend chaotischen Trump-Präsidentschaft und einer verheerenden Pandemie mit 1,2 Millionen Toten in den USA den Vorzug gaben.
Weniger Menschen gingen zur Wahl
Heute wählt das selbsternannte „Land der Freien“ Trump erneut. Trotz eines von ihm verursachten Aufstandes gegen das Kapitol am 6. Januar 2020, in dessen Verlauf mehrere Menschen starben und auf den noch ein Prozess folgen sollte (der nun nach US-Angaben wahrscheinlich eingestellt wird); trotz eines Prozesses wegen unerlaubten Besitzes geheimer präsidialer Dokumente (der nun ebenfalls eingestellt wird); trotz seiner Versuche, „Stimmen zu finden“, um seiner Abwahl 2020 zu entgehen und eines noch anhängigen Prozesses in Georgia (der nun auf unbestimmte Zeit vertagt wird); eines Prozesses wegen Steuerbetrugs (dessen fehlendes Urteil jedoch nun fraglich ist); einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs; eines Prozesses wegen vertuschter Schweigegeldzahlungen aus der Wahlkampfkasse an einen Pornostar; einer unterirdischen Wahlkampfrhetorik, angekündigten Massendeportationen, Rassismus, Sexismus, der völlig enthemmten Hetze gegen einen „Feind im Innern“, den politischen Gegner, die Medien, die Ukraine oder Immigranten.
Kamala Harris musste einen Blitzstart mit ihrer Kampagne hinlegen. 107 Tage machten sie und ihr designierter Vize Tim Walz politische und wirtschaftliche Angebote: eine Politik für Ältere und Familien und Frauen, den Mittelstand, Hausbesitzer, Start-ups, aber auch eine striktere Migrationspolitik. Sie traten gegen eine erstaunlich vage, jedoch laute Kampagne der Gegenseite an. Harris ging es unter anderem darum, zu schnelle Preiserhöhungen bei Lebensmitteln durch effektive Regierungskontrollen zu verhindern. Kommunismus, konterte die Trump-Kampagne, und versprach, künftig die Preise zu senken. Wie, ist unklar. Harris stellte Hausbesitzern Steuererleichterungen und Zuschüsse in Aussicht, Trump versprach weniger Regulierung, weniger Einwanderer als Konkurrenten auf dem Wohnungsmarkt und eine Senkung der Hypothekenzinsen. Wie diese sinken sollen – unklar, darauf hat eine US-Regierung keinen unmittelbaren Einfluss.
Zunehmend freidrehende und lautstarke Wahlkampfunterstützung kam von Elon Musk, dem reichsten Mann der Welt, künftig einflussreicher Berater oder gar Kabinettsmitglied Trumps. Über seine Plattform X nahmen die Pro-Trump-Nachrichten des Tech-Unternehmers über die vergangenen Wochen ständig zu, Musk postete hunderte Male am Tag, der Algorithmus bevorzugte Pro-Trump-Tweets. Millionen von Immigranten würden von den Demokraten in die Swing States verfrachtet, dort legalisiert, damit sie demokratisch wählen können, warnte Musk im reichweitenstärksten US-Podcast von Joe Rogan. Der Unternehmer tourte selbst durch Pennsylvania, verschenkte Geld an registrierte Wähler und beschwor, wie Trump, das Ende der Demokratie, sollten die Demokraten gewinnen. Liberale Agenda, wokes progressives Denken werde Amerika zerstören.
Man glaubte ihm. Im Gegenzug warf Harris Trump vor, ein Faschist zu sein. Das hatten Ex-Mitarbeiter seiner Vorgängerregierung so verlauten lassen. Entsprechend gaben Wählerinnen und Wähler beider Lager in einer NBC-Nachwahl-Umfrage fast zu gleichen Teilen an, die US-Demokratie sei in Gefahr. Ausschlaggebend für die Wahlentscheidung war zwar letztlich laut NBC bei registrierten Demokraten der Zustand der US-Demokratie, bei registrierten Republikanern jedoch vor allem die Wirtschaft. Laut der Nachwahlbefragung von Fox News stehen Wirtschaft und Immigration an erster Stelle für republikanische Wähler; für demokratische sind es Gesundheit, Abtreibung und Klimawandel – Themen, für die sich teilweise nur einstellige oder niedrige zweistellige Prozentzahlen von republikanischen Wählern interessieren.
Ausschlaggebend: die Wirtschaft
Das Trommelfeuer der Trump-Kampagne fruchtete. In der großen Mehrzahl der Countys, in etwa vergleichbar mit deutschen Landkreisen, schnitt Trump besser ab als 2020, bekam mehr Stimmen von Bevölkerungsgruppen wie Latinos und People of Color als zuvor. 74,8 Millionen Wählerinnen und Wähler machten, ungeachtet aller Ressentiments und trotz oder gerade wegen ihres Wissens um den Kandidaten, ihr Kreuz bei ihm – in etwa so viele wie im Jahr 2020. Mobilisierung entschied die Wahl, und die Angstkampagne Trumps feierte die größeren Erfolge.
Nur 71,2 Millionen wählten Harris und damit deutlich weniger als Joe Biden vier Jahre zuvor (mehr als 81,2 Millionen Stimmen). Die noch amtierende Vizepräsidentin schaffte es nicht, dass die Themen ihres Wahlkampfes, der sich gegen Ende zu einem Anti-Trump-Wahlkampf entwickelte, genügend Unterstützer mobilisierte – trotz des Enthusiasmus, der sich letztlich eher als Erleichterung über Joe Bidens Rückzug herausstellte. Zu sehr blieb sie mit Bidens unpopulärer Politik verhaftet. Diese war zwar rein ökonomisch betrachtet hocherfolgreich, änderten aber nichts an den tatsächlich höheren Lebenshaltungskosten durch die Inflation. Billiger wurde dadurch nichts.
Zwar war die Inflation mittlerweile gesunken, die Reallöhne gestiegen. Dennoch gaben in der CNN-Nachwahlbefragung 31 Prozent aller Befragten an, es gehe vor allem um die wirtschaftliche Lage, 79 Prozent davon wählten deshalb Trump. 60 Prozent der Trump-Wähler gaben an, weniger als 100.000 Dollar pro Jahr zu verdienen – der ärmere Teil wählte also einen Milliardär, dessen politische Agenda den Durchschnittsamerikaner wahrscheinlich mehrere Tausend Dollar mehr pro Jahr kosten wird, so US-Ökonomen.
Herausragend: die ständigen Angriffe auf Frauen seitens der Trump-Kampagne. Trump selbst bezeichnete Harris als „dumm“ und „beschissen“. Der rechtsextreme Aktivist Nick Fuentes postete in der Wahlnacht auf X: „Dein Körper, meine Wahl“, Aktivisten an der Texas State University feierten den Wahlsieg Trumps mit Slogans wie „Frauen sind Besitz,“ „Homo-Sex ist Sünde“ und „Arten von Besitztum: Frauen, Sklaven, Tiere, Autos, Land“. Die Demo rief wütende Gegenproteste hervor. Misogynie, Frauenhass gegenüber einer Frau als mächtigster Politikerin der Welt, bestimmte den Wahlausgang ebenso wie der eigene Geldbeutel.
Eine beeindruckende Zurschaustellung der Effizienz von Lügenkampagnen, von Hass, Hetze und rhetorischer Gewalt gegen Frauen, Minderheiten, den politischen Gegner. Und eine Blaupause für die Neue Rechte, die in Gestalt von Vizepräsident J.D. Vance nun ins Weiße Haus einzieht. Nicht nur in den USA. Die jüngsten Erfolge rechtsextremer Parteien in Europa nutzten die gleichen Mobilisierungspotenziale, wie sie auch die Trump-Kampagne identifiziert hat: jene unter den politisch Unzufriedenen, Abgehängten, Einsamen. Das „Wir-gegen-die-Welt“-Gefühl vermag Identität zu stiften. Vernunft und Argumente finden darin keinen Platz.