New York meets Prenzlauer Berg: Im Diner „Bertie“ kocht der amerikanische Küchenchef Matthew Maue Köstliches aus seinem Heimatland. Dabei versteht es der kreative Kopf aus Buffalo, den kulinarischen Klassikern stets einen besonderen Twist zu verleihen.
Mehr als 6.300 Kilometer und ein ganzer Ozean trennen Berlin von New York. Wer einmal über den Großen Teich geflogen ist, weiß, dass die Metropole am Hudson River und der gleichnamige Bundesstaat nicht nur ein Schmelztiegel verschiedener Nationen ist, sondern sich auch kulinarisch äußerst divers präsentiert. Überhaupt ist die US-amerikanische Küche eine Art Tummelplatz der Aromen aus aller Herren Länder. Der wilde Mix in dem mehr als neun Millionen Quadratkilometer großen Land ist beeinflusst von seinen zahlreichen Einwanderern. Europäische Einflüsse spielen ebenso eine Rolle wie die der Nachbarländer Mexiko und Kanada. Auch die afroamerikanische Küche aus den Südstaaten prägt die kulinarische Vielfalt. Die amerikanische Küche kann nur Fast Food wie Burger und Hot Dogs? Weit gefehlt! Sie kann sehr viel mehr. Eine kleine Auswahl typisch US-amerikanischer Leckereien können Berlinerinnen und Berliner seit einigen Monaten jetzt im „Bertie“ in Prenzlauer Berg genießen.
Erfolgreiches Trio mit drei Lokalen
Wir sind an einem Wochentag kurz nach Öffnung des Lokals dort. Und nein, wir machen keine Zeitreise in die Sixties: Anstatt rot gepolsterter Stühle und einem Boden in Schachbrettmuster machen wir Bekanntschaft mit einem puristisch gestalteten Restaurant in hellen Farben, mit rotbraunem Mobiliar und bodentiefen Fenstern. Vor dem abgerundeten Tresen stehen Barhocker aus Metall, dahinter eine geflieste Wand und ein Spiegel. Das amerikanische Diner ist das nunmehr dritte Baby des Gastronomen-Trios Sophie Hardy, Hannes Haake und Matthew Maue.
Angefangen hat alles mit den beiden Wahl-Berlinern Sophie Hardy und Hannes Haake. Die Kaffee-Enthusiastin aus England und der Zugezogene aus Lübeck träumten davon, gemeinsam ein eigenes Café zu eröffnen. Vor zehn Jahren wurden die beiden an der Bergstraße in Berlin-Mitte fündig. In den dortigen Räumen riefen sie mit dem „District Coffee“ ihr erstes gastronomisches Projekt ins Leben. Das neue Kaffeehaus florierte, und nur wenige Monate später holten die beiden Entrepreneure Matthew Maue als Küchenchef mit ins Boot. Der passionierte Koch kommt von der amerikanischen Ostküste, genauer gesagt aus Buffalo im US-Bundesstaat New York.
Als Sophie Hardy und Hannes Haake mit dem Tagesrestaurant „Annelies“ in Kreuzberg schließlich ihren nächsten gastronomischen Coup landeten, war der Amerikaner bereits ihr Geschäftspartner. Er als der dritte im Bunde steht schon seit 15 Jahren an verschiedenen Kochtöpfen. So hat der US-Amerikaner schon im Fine Dining, als Sushi-Koch und sogar in der Karibik sein Bestes für anspruchsvolle Gaumen gegeben.
Muscheln wahres Gaumenfeuerwerk
Weil aller guten Dinge bekanntlich drei sind, öffnete das Trio vor wenigen Monaten schließlich ein weiteres Lokal: das „Bertie“ an der Schwedter Straße 13 – genau dort, wo der Prenzlauer Berg nur noch einen Steinwurf von Berlin-Mitte entfernt ist. In amerikanischem Englisch ausgesprochen hört sich der Name des neuen Diner-Restaurants wie „birdy“ an, also wie das Vögelchen. Tatsächlich ist der Name auch eine Hommage an Matthew Maues amerikanische Familie. „Matts Opa hieß Herbert, das fanden wir aber etwas zu nerdy, dann hat seine Freundin ‚Bertie‘ vorgeschlagen“, erläutert uns Mitgründer Hannes Haake auf Nachfrage. Mit „Lust auf was Neues“ beschreibt der Gastronomie-Unternehmer auch die Motivation des Trios, gehobene amerikanische Diner-Küche in den Prenzlauer Berg zu bringen.
Dort zaubert nun Matthew Maue Klassiker aus seiner Kindheit an der Ostküste aus Kochtöpfen hervor. Dabei ist natürlich auch sein Lieblingsgericht: Buffalo Wings. Der Amerikaner verleiht den frittierten Hühnerflügeln mit einem Dressing aus Blauschimmelkäse noch einen besonderen Twist. Chicken Wings, in den USA auch Buffalo Wings genannt, gelten als das amerikanische Fingerfood schlechthin. Sie wurden, wie ihr Name nahelegt, Mitte der 1960er-Jahre in Matthew Maues Heimatstadt erfunden.
„Natürlich bekommt man überall in den USA Buffalo Wings, aber nirgendwo schmecken sie gut wie in Buffalo selbst“, erzählt uns Matthew Maue mit hörbarem Lokalpatriotismus in der Stimme. An diesem Abend aber schlemmen wir uns durch ein paar andere Köstlichkeiten aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Unter anderem landen Deviled Eggs auf unseren Tellern. Wider Erwarten sind die gekochten Eier mit dem geräuchertem Eigelb und der feinen Senfnote gut gewürzt, aber lange nicht so teuflisch scharf, wie ihr Name vermuten lässt. Kross und lecker sind auch die frittierten, gut gewürzten Kartoffelecken an einer Aioli aus Zitronen. Dann zieht eine weitere Beilage auf an unserem kulinarischen Firmament, die zum Star des Abends werden soll: Das leicht angesengte Flatbread kommt frisch aus dem Ofen und schmeckt wie eine neapolitanische Pizza voller Röstaromen.
Ihre Krönung aber ist ein Nest aus Safran-Aioli und Muscheln. Ich bin alles andere als ein Muschelfan, doch diese Komposition ist ein Gaumenfeuerwerk ohnegleichen. Die Aromen verschmelzen zu einem Traum von einer perfekten Bouillabaisse, gut gebettet in die fluffig-krossen Texturen des ofenwarmen Fladenbrotes. So viel ist klar: Matthew Maue versteht sein Handwerk!
Auf Nachfrage verrät er uns, dass er während der Corona-Jahre an einem speziellen Teig aus verschiedenen Mehlen getüftelt hat, was schließlich dieses Pizzabrot hervorgebracht hat. Zudem erfahren wir, dass in die Bouillabaisse auch ein Schuss Pernod kommt – ganz wie in der Provence. Eine Liaison zwischen amerikanischem Comfort Food und Cuisine française hätte ich nun wirklich nicht erwartet. Prickelnd ist dieser kulinarische Flirt allemal.
Der Funke springt auch beim Crudo sofort über. Hier harmonieren die Aromen des Thunfisch-Tatars mit Basilikum, Chiliöl und eingelegten Blaubeeren. Auch die unterschiedlichen Texturen des zart schmelzenden Fisches und der in der Pfanne gepufften Maiskörner sind jeden Bissen wert. Der mir gegenübersitzende Fotograf gibt genussvolle Geräusche von sich und zeigt sich von der Speise ebenso angetan wie ich.
Ein Traum für Naschkatzen
Während ich schon einmal mit den Drinks vorliebnehme, lässt es sich der Fotograf beim BBQ gut gehen und schmaust ein Stück Dry-aged-Schweinekotelett mit eingelegten Peperoni. „An Gewürzen wird hier nicht gespart“, murmelt er zufrieden und schiebt sich einen weiteren Bissen Grillfleisch in den Mund. Ich erfreue mich derweil an einem Pisco Sour mit einer angenehm fruchtigen Hibiskusnote. Dabei schiele ich gedanklich schon auf die nächste Frucht des Abends: Banana Pudding. Ich brenne schon vor lauter Neugier auf diesen Nachtisch.
In den vergangenen Monaten ging das populäre Dessert aus der renommierten „Magnolia Bakery“ in New York City viral – dank Tiktok und anderen sozialen Netzwerken. In der deutschen Hauptstadt wurde die Süßspeise eine Zeit lang unter anderem in einer Cookie-Bakery nahe des Alexanderplatzes verkauft – allerdings nur an zwei oder drei Tagen pro Woche. Jedes Mal, wenn ich dort nachmittags oder abends aufkreuzte, war der angesagte Bananenpudding bereits ausverkauft. Ich bin froh, dass mir diese wiederkehrende Enttäuschung an der Schwedter Straße erspart bleibt. Und so landet zu guter Letzt ein opulentes Schälchen mit dem ersehnten Nachtisch auf unserem Tisch.
Zufrieden löffeln der Fotograf und ich von der geschichteten Kreation aus Banane, Vanillepudding, Sahne und Eierplätzchen. Verfeinert ist das Ensemble mit gesalzenen Erdnüssen und Karamellstückchen. Ein Traum für Naschkatzen! Ein bisschen erinnert mich das Ganze an Tiramisu – nur eben mit einem Bananen-Twist anstelle von Espresso.
Zu seinem Kaffeegenuss soll mein italienischer Begleiter trotzdem kommen. Ein, zwei Schlucke Caffè americano, und dann muss er auch weiter zum nächsten Termin. Auch ich mache die Biege – satt und sehr zufrieden, an diesem Abend eine weitere kulinarische Bildungslücke geschlossen zu haben.
Als ich zur Tür hinausgehe, hat sich draußen schon eine Schlange gebildet. Die Wartenden sind sicher froh, dass drinnen endlich wieder ein Tisch frei geworden ist.