Vom Rookie zum Führungsspieler: Martin Hermannsson nimmt bei seiner Rückkehr zu Alba Berlin eine andere Rolle ein als bei seiner ersten Zeit im Club. Davon sollen die jungen Point Guards profitieren.
Kaum hatte Martin Hermannsson seinen Vertrag bei Alba Berlin unterschrieben, war er schon wieder auf der Suche nach einem neuen Kontrakt. Nicht für einen anderen Basketballclub, sondern für eine Wohnung. Nach seiner Rückkehr in die deutsche Hauptstadt zog der Isländer mit seiner Familie zunächst in das alte Apartment von Teamkollege Marcus Eriksson. „Vielleicht werde ich dadurch ja ein besserer Schütze“, scherzte der Point Guard: „Aber wir sind jetzt auf der Suche nach etwas Eigenem.“ Aber noch dringender gestaltete sich die Suche nach einem geeigneten Krankenhaus, denn er und seine Ehefrau erwarten ihr zweites Kind. „Sie ist im siebten Monat, es wird ein weiterer Junge.“ Und als wäre das noch nicht genug, suchten die Hermannssons auch noch nach einer passenden Schule für ihren älteren Sohn. „Die ersten Tage hier“, bilanzierte der Alba-Profi daher wenig überraschend, „sind wirklich verrückt“. Für eine kurze Stippvisite nimmt Hermannsson diese organisatorischen Strapazen nicht auf sich, er plant einen längeren zweiten Aufenthalt in Berlin. „Ich habe für zweieinhalb Jahre unterschrieben“, sagte er: „Aber hoffentlich werden es noch viele mehr.“
„Ich habe den Schritt nie bereut“
Schon zwischen 2018 und 2020 war der 29-Jährige für Alba aufgelaufen – mit großem Erfolg für den Club und für ihn selbst. Im letzten Jahr seiner ersten Zeit bei den Gelb-Blauen gewann er das Double aus Meisterschaft und Pokal. Danach zog es ihn in die spanische Liga zum Valencia Basket Club. „Ich habe den Schritt nie bereut“, sagte Hermannsson der „Sport Bild“, auch wenn es dort sportlich für ihn nicht ganz wie gewünscht lief. Ein Kreuzbandriss im Juni 2022 warf ihn weit zurück, auch andere Blessuren verhinderten den großen Durchbruch. „Natürlich hätte ich gern auf die Verletzung verzichtet. Dann wäre es anders gelaufen. Aber alles passiert aus einem Grund“, sagte er. Nachdem die Clubbosse Kevin Pangos verpflichtet hatten, standen gleich vier Top-Point-Guards im Kader. Das schmälerte Hermannssons Chancen auf mehr Spielanteile, um nach der schweren Verletzung wieder in Spielrhythmus zu kommen. Auch wenn er in Valencia zum Kapitän ernannt worden war, stand für ihn fest: „Ich wollte aus Valencia weg.“ Er erhielt die Erlaubnis, mit anderen Clubs zu verhandeln. Er hätte „drei, vier Angebote“ gehabt, verriet Hermannsson. Doch Alba war sein Wunschziel. „Mein Herz hat mir gesagt, dass ich zurückmuss. Es war eine einfache Entscheidung.“
Finanziell habe sich der Wechsel nach Valencia ohnehin gelohnt („Ich musste es machen“) und auch in seiner Entwicklung als Persönlichkeit und als Spieler habe ihn der Schritt nach Spanien weitergebracht: „Ich wollte ja auch mal in der spanischen Liga spielen. Das Team, das wir im ersten Jahr hatten, war unglaublich.“ Er sei vor allem menschlich gereift und diesmal wirklich bereit, eine Führungsrolle bei Alba einzunehmen. „Ich bin genau der Spieler, den das Team jetzt braucht“, sagte Hermannsson selbstbewusst. Er sei nun erfahrener und habe „diese Anführermentalität“, die damals zum Beispiel ein Luke Sikma eingebracht hatte, als er selbst noch als unbekannter Neuling seine ersten Sporen bei Alba verdiente. „Jetzt muss ich die Stimme in der Kabine, auf dem Court sein“, weiß der Isländer. Damit habe er keine Probleme, auch in der Nationalmannschaft gebe er den Ton an. „Also für mich nichts Neues. Das kann ich ganz gut.“
Davon könnten nun die „Jungen Wilden“ wie Matteo Spagnolo (21), Ziga Samar (22) oder Malte Delow (22) profitieren. „Wir haben sehr junge, talentierte Point Guards, aber ihnen fehlt manchmal noch etwas die Ruhe“, meinte Hermannsson: „Ich will ihnen mit meiner Erfahrung helfen.“ Und genau deswegen wurde er in diesem Winter geholt. „Martin ist ein erfahrener Point Guard, der uns auf dem Court helfen wird, aber auch eine Mentorenrolle für unsere jungen Aufbauspieler einnehmen kann“, sagte Albas Sportdirektor Himar Ojeda zur Nachverpflichtung, die er als eine „großartige Verstärkung“ betrachtet. Dass er damit richtig liegt, zeigte Hermannsson gleich in seinen ersten drei Spielen nach seiner Rückkehr, als er teilweise brillierte und bei den Berlinern viel Verantwortung übernahm. Doch danach fiel Hermannsson in ein kleines sportliches Loch, genau wie das gesamte Team. „Man darf nicht vergessen, dass er vorher ein Jahr mehr oder weniger raus war“, sagte Ojeda erklärend. Nachdem auch noch Weltmeister Johannes Thiemann zwischendurch wegen Muskelproblemen verletzt ausfiel, lastete zudem zu viel Druck und Verantwortung auf den Schultern des Isländers, der nur wenig gemeinsame Trainingseinheiten mit den neuen Teamkollegen hatte.
Doch mit jeder Trainingseinheit und mit jedem Spiel sollten sich die Berliner besser finden, zumal Hermannsson das auf viele individuelle Freiheiten abzielende Alba-System noch aus dem Effeff kennt. „Das macht es für mich einfacher, reinzukommen“, sagte er. Erleichternd kommt hinzu, dass er im Club und in der Stadt keinerlei Eingewöhnungsprobleme hat. „Ich habe hier Freunde fürs Leben gefunden. Berlin gehört ein großer Teil meines Herzens.“ Vor allem mit Thiemann und Tim Schneider habe er auch nach seinem Abschied 2020 weiter in regelmäßigem Kontakt gestanden, verriet der Isländer. Die Alba-Spiele verfolgte er von Spanien aus mit einem Internetstream.
Dennoch Kritik am Transfer
Nostalgie ist gut und schön. Aber manche Experten meinen, dass Hermannsson nicht der Spielertyp sei, den Alba Berlin mit seinen Problemen im bisherigen Saisonverlauf wirklich braucht. Diese Kritik an der Transferstrategie kann der Neuzugang verständlicherweise nicht nachvollziehen. „Ich denke, es ist exakt das Gegenteil!“, betonte der Aufbauspieler: „Ich bin genau der Typ, den Alba wirklich braucht.“ Bei allem Talent, vor allem auf der Position des Point Guards, fehle im Team „ein bisschen Ruhe“, wie er festgestellt haben will: „Da kann ich helfen, die Erfahrung reinzubringen. Außerdem kann ich auf der 1 und der 2 spielen. Das ist perfekt für die Mannschaft.“ Und mit dem Brustton der Überzeugung ergänzte er: „Ich bin der perfekte Spieler für dieses Team.“
Ob das zumindest für diese Saison stimmt, wird sich in ein paar Monaten zeigen, wenn Bilanz für die Spielzeit 2023/24 gezogen wird. Zuletzt tat sich Alba schwer, in den Rhythmus zu kommen und Spiele in der Bundesliga auch mal mit Leichtigkeit und voller Überzeugung zu gewinnen. Die vielen Niederlagen in der EuroLeague, verbunden mit den großen Reise- und Spielstrapazen, scheinen den Berlinern in dieser Saison deutlich mehr zu schaffen zu machen als in den Vorjahren. „Es ist schwierig für uns, immer wieder jeden zweiten Tag auf dem höchsten Level zu performen“, gab Sportdirektor Ojeda zu. Verletzungen, Formschwankungen, fehlendes Selbstvertrauen – die Probleme sind vielschichtig und daher nicht auf Knopfdruck zu lösen. Aber: „Wir müssen wieder eine bessere Balance finden“, forderte Ojeda.
An der Tabellenspitze der Basketball-Bundesliga haben die Niners Chemnitz und auch Erzrivale Bayern München den deutlich besseren Lauf. Doch in der Hauptrunde gibt es nichts zu gewinnen, nur die Ausgangsposition für die heiße Saisonphase mit den Playoffs wird dort geregelt. Und in den vergangenen Jahren hat Alba Berlin oft genug bewiesen, dass es in der sogenannten „Crunchtime“ auf Top-Niveau agieren kann. Genau wie Hermannsson.