Mit 31 Jahren gelang Linus Straßer jüngst der Doppel-Sieg bei den beiden direkt aufeinanderfolgenden österreichischen Weltcup-Slalom-Klassikern in Kitzbühel und Schladming.
Die Zeiten des einsamen Dominators, wie es einst der Italiener Alberto Tomba gewesen war, der saisonübergreifend 1994/95 stolze neun Slalom-Weltcups in Folge für sich entscheiden konnte, sind inzwischen vorbei. Nach dem Rücktritt des sehr erfolgreichen Österreichers Marcel Hirscher im September 2019 war die Spitze im internationalen alpinen Slalom-Sport immer näher zusammengerückt. Vor jedem Rennen konnte sich ein gutes Dutzend Athleten Hoffnung auf einen Sieg oder zumindest einen Podestplatz machen. Wobei sich im DSV-Lager nach dem Karriereende des langjährigen Anführers Felix Neureuther im Frühjahr 2019 und des zuletzt immer mehr in der sportlichen Versenkung verschwindenden deutschen Speed-Teams alle Augen mangels anderer Alternativen auf Linus Straßer gerichtet hatten.
Kein einsamer Dominator mehr
Auch wenn es dem gebürtigen Münchner bis zu seinem 31. Lebensjahr niemals so recht gelungen war, Zweifel daran restlos auszuräumen, dass sein Potenzial über das ihm ewig bescheinigte Mega-Talent hinaus zu einem dauerhaften Spitzenrang im Slalom-Weltcup reichen könnte. Weil es nach einem soliden Einstand in seiner ersten kompletten Weltcup-Saison 2014/2015 bis zu seinem ersten Podestplatz im Slalom-Wettbewerb ziemlich lange dauern sollte – Straßers Triumph im sportlich mehr als fragwürdigen Slalom-Parallel-Wettbewerb beim sogenannten City-Event von Stockholm am 31. Januar 2017 kann dabei getrost vernachlässigt werden (auch wenn er offiziell als Weltcup-Sieg gewertet wird). Am 6. Januar 2021 konnte Linus Straßer endlich bei seinem 57. Weltcup-Slalom in Zagreb das oberste Treppchen erklimmen. Gefolgt von einigen weiteren Podiumsplatzierungen und schließlich seinem zweiten Slalom-Weltcup-Erfolg am 25. Januar 2022 in Schladming. In der Saison 2022/2023 sollte Straßer zwar kein Sieg gelingen, aber er konnte sich immerhin mit zwei dritten und zwei vierten Plätzen in der Nähe der Weltspitze etablieren. Die aktuelle Saison begann für Straßer, der nach dem für ihn enttäuschenden neunten Platz bei der alpinen Ski-WM 2023 in Sachen Motivation zunächst schwer zu kämpfen hatte, mit dem jeweils neunten Platz in Gurgl und Madonna di Campiglio nicht gerade berauschend. Mit Rang vier hatte er sich beim dritten Event in Adelboden schon stark verbessert. In Wengen war er im ersten Lauf sehr flott unterwegs, sollte sich jedoch auf dem Weg zu einer klaren neuen Bestzeit kurz vor der Ziellinie einfädeln.
„Gefühlt kann kommen, was will“
Als fünfter Slalom-Wettbewerb der Saison wartete nun am Sonntag, dem 21. Januar 2024, ausgerechnet Kitzbühel mit dem ebenso berüchtigten wie prestigeträchtigen Ganslernhang. Für diesen empfindet Straßer eine regelrechte Hassliebe. Weil er genau an diesem Hang unter Leitung des damaligen Skilehrers und heutigen Hahnenkamm-Rennleiters Mario Mittermayer-Weinhandl ab dem zarten Alter von sechs Jahren das Skifahren und später das Skirennfahren erlernt hatte. Davon konnte er aber im Rahmen des Weltcups nie so recht hatte profitieren. Bei fünf seiner insgesamt sieben Kitzbühel-Slaloms war er vorzeitig ausgeschieden, weshalb er den Hang schon mal als „Schweinsberg“ bezeichnet hatte. Im Januar 2023 hatte er allerdings erstmals am Podest kratzen können, nur eine Hundertstelsekunde trennte ihn vom Podium. Vor der neuerlichen Herausforderung 2024 strahlte Straßer großen Optimismus aus, sein Hausrennen endlich mal gewinnen zu können. Weil er trotz Starts für die Skiabteilung des TSV 1860 München noch immer Mitglied des Kitzbüheler Ski Clubs (KSC) ist und mit einem Sieg in die Fußstapfen von Hansi Hinterseer treten konnte, dem als bislang letztem KSC-Mitglied ein Sieg auf dem Ganslern vor 50 Jahren gelungen war. „Gefühlt kann kommen, was will. Ich bin bereit und freue mich“, so Straßer vor dem Start.
Er hatte sich große Chancen ausgerechnet, weil er nach eigenem Bekunden über eine „wahnsinnig zentrale Position über dem Ski“ verfügte und daher „ganz spielerisch Ski fahren“ konnte. Nach dem ersten Lauf auf der komplett vereisten Piste vor rund 22.000 mitfiebernden Zuschauern lag Straßer mit einem Rückstand von 0,40 Sekunden quasi in Lauerstellung auf dem vierten Platz. Doch mit einem phänomenalen zweiten Durchgang sollte er sich noch an seinen ärgsten Konkurrenten, dem zur Halbzeit führenden Schweden Kristoffer Jacobsen und dem Schweizer Daniel Yule vorbeikatapultieren und den größten Sieg seiner Karriere einfahren. „Die Geschichte schließt sich. Ich habe so viel Verbundenheit zu Kitzbühel – unglaublich“, so Straßer, der mit seiner kleinen Familie inzwischen unweit des Nobelskiorts in Kirchberg lebt, nach seinem Triumph auf dem wichtigsten Kurs des gesamten Slalom-Weltcups. Dem ersten deutschen Torlauf-Triumph in Kitzbühel seit Felix Neureuther anno 2014. „Gewinnen muss passieren. Heute ist es passiert – ich bin sehr happy“, so Linus Straßer. Der auch von ARD-Experte Felix Neureuther mit Lob überschüttet wurde: „Sein zweiter Lauf war von oben bis unten aus einem Guss. So fährt man Kitzbühel.“
Schon drei Tage nach Kitzbühel stand mit dem Nachtslalom von Schladming, am Mittwoch, dem 24. Januar 2024, der zweite Torlauf-Klassiker auf dem Weltcup-Programm. Dass Straßer auch dieses Event für sich entscheiden sollte, wurde selbst in Expertenkreisen mit ungläubigem Staunen zur Kenntnis genommen. Im Alter von 31 Jahren war Straßer ganz urplötzlich in den Rang eines Siegfahrers aufgestiegen, der sogar ernsthafte Ambitionen im Kampf um die kleine Slalom-Kristallkugel anmelden konnte, auch wenn der Österreicher Manuel Feller zunächst noch die Nase vorn hatte. Zudem war Straßer als erstem deutschen Skifahrer überhaupt das Kunststück gelungen, die beiden Slaloms von Kitzbühel und Schladming in einer Saison für sich zu entscheiden. Das haben bislang auch international nur wenige Stars geschafft, zuletzt der Norweger Henrik Kristoffersen anno 2016. „Besser geht es nicht“, so das Kurzfazit Straßers nach dem Klassiker-Doppel-Sieg in Österreich. Er befinde sich in der Höchstform seines Lebens, gewissermaßen „bulletproof“, also unverwundbar. „Mir kann man hinsetzen, was man will.“
Fünf Weltcup-Erfolge für Straßer
Mit dem Planai-Hang in Schladming hatte Straßer nach seinem Einfädeln schon am zweiten Tor des 2023er-Parcours noch eine Rechnung offen. Beim ersten Durchgang war ihm diesmal das Losglück hold, weil er mit Startnummer drei noch kurz vor Einsetzen eines Starkregens den Ritt durch den Stangenwald in Angriff nehmen konnte. Straßer konnte dadurch die Bestzeit vorlegen, einzig der Norweger Timon Haugan und der Franzose Clément Noël waren noch in direkter Schlagdistanz. „Ich war am Start voll bei der Sache und habe meinen Plan gut umgesetzt – eine einwandfreie Fahrt“, so Straßer nach dem ersten Lauf. Auch beim Finale der Top Ten im zweiten Durchgang hatte Petrus seine Schleusen noch immer etwas geöffnet. Noël sollte als drittletztem Starter der Sprung an die Spitze gelingen. Haugan konnte danach die Messlatte für Straßer mit einer famosen Fahrt extrem hoch legen. Doch der Deutsche zeigte sich dem Druck, der auch von den 30.000 frenetischen Zuschauern ausgegangen war, gewachsen. Der Münchner carvte ganz rhythmisch und spielerisch anmutend von Stange zu Stange. „Ich hab’ die letzte Zwischenzeit gehört“, so Straßer in Bezug auf die für ihn günstige Stadionsprecher-Durchsage während seines Rennens, „.54 Hundertstel, das müsste sich ausgehen“. Straßer bekundete glücklich, dass es für ihn „total simpel“ sei, die Rennen erfolgreich ins Tal zu bringen. „Mir fällt Skifahren im Moment einfach sehr leicht. Ich gehe mit einer Lockerheit an den Start. Ich will das Momentum beibehalten und so weitermachen.“ Mit seinen fünf Weltcup-Erfolgen (das City-Event mitgerechnet) zog Straßer in der ewigen deutschen alpinen Herren-Siegerliste mit dem zurückgetretenen Abfahrer Thomas Dreßen gleich. Vor ihm stehen nur noch Felix Neureuther mit 13 Weltcup-Triumphen, Markus Wasmeier (neun), Armin Bittner (sieben; Bittner waren 1990 ebenfalls mal zwei Slalomsiege nacheinander gelungen) und Christian Neureuther (sechs). „Die zwei Siege zeigen“, so DSV-Alpin-Chef Wolfgang Maier, „dass Linus jetzt in der absoluten Weltspitze angekommen ist.“
Dass Siege selbst für Straßer in seiner aktuellen Top-Verfassung alles andere als ein Selbstläufer darstellen, konnte am für ihn enttäuschenden Ergebnis des siebten Saisonlaufes im französischen Chamonix am 4. Februar 2024 abgelesen werden. Auch wenn der Sensationserfolg des Schweizers Daniel Yule, dem vom weit abgeschlagenen 30. Platz nach dem ersten Lauf noch der Sieg-Coup gelingen sollte, allein den durch Sonneneinstrahlung extrem unterschiedlichen Pistenverhältnissen geschuldet war. Aber dem Super-Techniker Linus Straßer war im ersten Lauf auf dem flachen und vergleichsweise einfachen Kurs ein unverzeihlicher Patzer unterlaufen. Was sich im zweiten Lauf bei ungünstiger Startnummer und auf sulzig-aufgeweichtem Untergrund nicht mehr geradebügeln ließ. Viel mehr als der 14. Platz war daher kaum möglich gewesen. Dennoch richtete Straßer schon mal seinen Blick voller Zuversicht Richtung Olympische Spiele 2026. „Mailand will ich auf jeden Fall noch mitmachen“, so Straßer. Und noch ein konkretes Ziel hat er sich vorgenommen: „Adelboden will ich noch gewinnen.“