Seine Landsleute hatten Winston Churchill zur bedeutendsten Persönlichkeit ihrer gesamten Geschichte gekürt. Allerdings war es ein langer und beschwerlicher politischer Weg, bis der Nachkomme eines berühmten Adelsgeschlechts mit 65 Jahren sein ersehntes Ziel des Premierministers erreichen konnte.
Winston Churchill war gerade 23 Jahre alt, als er am 26. Juni 1897 seine erste öffentliche politische Rede in einem noblen, etwas außerhalb der Stadt Bath gelegenen Anwesen namens Claverton Manor vor Mitgliedern der Primrose League hielt. Diese war von seinem Vater Lord Randolph Churchill mit dem Ziel gegründet worden, sich für die Bewahrung konservativer Werte in Großbritannien einzusetzen und damit auch die Conservative Party, die umgangssprachlich als Tories bezeichnet werden, zu unterstützen. Schon damals hatte Winston Churchill den Entschluss gefasst, in die Fußstapfen seines von ihm bewunderten Vaters zu treten, der es in seiner politischen Laufbahn immerhin bis zum Schatzkanzler geschafft hatte. Bis zu seinem Ausscheiden aus der Regierung im Jahr 1886 im Unfrieden war Lord Randolph sogar als künftiger Premierminister gehandelt worden.
Bei seiner Polit-Karriere war Winstons Vater fraglos auch die Abstammung aus einem der historisch bedeutsamsten Adelsgeschlechter der Insel zu Hilfe gekommen. Randolph war der dritte Sohn des siebten Herzogs von Marlborough. Ihm war es gelungen, seinem Adelshaus neuen gesellschaftlichen Glanz zu verleihen – dieses zählte einen Glücksritter namens Winston Churchill im 17. Jahrhundert und den als Militärgenie zum ersten Duke of Marlborough berufenen John Churchill im 18. Jahrhundert zu seinen bekanntesten Vorfahren.
Seine Mutter öffnete ihm viele wichtige Türen
Als glühender Anhänger des British Empire wollte dann auch Winston Churchill seinem Land an vorderster Front dienen. Eine Karriere im Militärdienst sah er aber als falschen Weg an, da dieser aus seiner Sicht nur unzureichend finanziell honoriert wurde. Also entschloss er sich für die politische Laufbahn, wofür er sich allerdings zunächst einmal das nötige Geld beschaffen musste. Seine Vermögensverhältnisse waren von Haus aus nicht sonderlich üppig gewesen, weil ihm sein 1895 verstorbener Vater kaum etwas hinterlassen hatte und ihm seine aus reichem Hause stammende Mutter Jennie – Tochter des mehrfach bankrottgegangenen US-Börsenspekulanten Leonard Jerome, Spitzname „The King of Wall Street“ – nur eine bescheidene Rente hatte aussetzen können. Dafür gelang es ihr, ihrem Sohn mit besten Beziehungen zu den Eliten des Landes viele Türen zu öffnen.
Immerhin konnte er für seine diversen Publikationen und Vorträge vergleichsweise hohe Honorare einstreichen. Allein in den Jahren 1899 und 1900 erwirtschaftete er sich so ein nettes Sümmchen von 10.000 britischen Pfund, was umgerechnet auf heutige Verhältnisse an die 500.000 Pfund entsprach. Damit konnte er den Sprung ins brotlose Unterhaus wagen, denn um die Jahrtausendwende erhielten die Mitglieder des House of Commons noch keinerlei Diäten. Dies änderte sich erst ab 1911, als ein Jahressalär von 400 Pfund eingeführt wurde. Für Churchill allenfalls ein Zubrot. Er frönte einem aufwendigen Lebensstil als gleichsam barocker Genussmensch samt Koch, Chauffeur, Butler, unvermeidlicher Zigarre und reichlich Alkoholkonsum und bewegte sich trotz seiner beachtlichen Schreib- und Vortragshonorare mehrfach am Rande der Pleite. So war ihm von Anfang an klar, dass er sich nicht mit einem Dasein als Unterhaus-Hinterbänkler zufriedengeben würde. Er strebte nach gut bezahlten Ministerämtern.
Sein erster Anlauf für einen Sitz im Unterhaus endete am 6. Juli 1899 in einer krachenden Niederlage. Bei einer Nachwahl in der Industriestadt Oldham konnte er als Ortsfremder für die Tories keinen der beiden vakanten Sitze erobern. Bei der regulären Parlamentswahl am 1. Oktober 1900 kandidierte er erneut im Wahlbezirk Oldham und hatte dieses Mal Erfolg.
Dabei kam ihm sein neuer Ruhm als Volksheld im Zuge seiner geglückten Flucht aus dem Buren-Gewahrsam ebenso zu Hilfe wie die Tatsache, dass sein wichtigster Fluchthelfer ausgerechnet aus Oldham stammte. Bei der offiziellen Parlamentseröffnung im Dezember 1900 glänzte Churchill allerdings durch Abwesenheit. Er zog es vor, lukrative Vortragsreisen durch Großbritannien und die USA zu machen, wo ihn der renommierte Schriftsteller Mark Twain scherzhaft, aber letztlich prophetisch als „Held von fünf Kriegen, Autor von sechs Büchern und künftigen Premierminister von England“ begrüßte.
Versierter wie gefürchteter Redner
Erst im Februar 1901 nahm der 26-jährige Churchill erstmals seinen Platz im Unterhaus als jüngster Parlamentarier ein. Er sollte dem House of Commons mehr als 60 Jahre lang – mit einigen kurzen Unterbrechungen – angehören. In dieser Zeit wurde er mit so ziemlich allen wichtigen Regierungsämtern betraut – mit Ausnahme des Amtes des Außenministers. Da er von wirtschaftlichen Zusammenhängen so gut wie nichts verstand, zählt seine Amtszeit als Schatzkanzler, sprich als Finanz- und Wirtschaftsminister, nicht gerade zu den Höhepunkten seiner Laufbahn. Auch seine Einmischung in militärstrategische Entscheidungen des Ersten und Zweiten Weltkriegs wurden von höchsten britischen Amtsträgern wie dem Admiral John Godfrey äußerst skeptisch beurteilt: „Churchills Tragödie war es“, sagte Godfrey kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, „dass er das, was er am meisten mochte, am wenigsten beherrschte: Strategie.“
Quasi vom ersten Tag seiner Mitgliedschaft im Unterhaus an machte sich Churchill einen Namen als ebenso versierter wie gefürchteter Redner. Es gelang ihm, seine angeborene Neigung zu einem leichten Lispeln durch diszipliniertes Sprechtraining zu überwinden. In seiner Partei erwarb er sich schnell den Nimbus des jugendlichen Heißsporns, Außenseiters, konservativen Hardliners, Meisters der Selbstinszenierung und Exzentrikers. Er fühlte sich im Unterhaus wie ein Fisch im Wasser. Oder in seinen eigenen Worten: „Zwei Dinge stelle ich in meinem Leben über alles: Gott und das Unterhaus.“ Ein britisches Blatt zollte dann auch dem hohen Unterhaltungswert Churchills im Parlament seine Hochachtung: „Wenn Churchill seinen Platz einnimmt, riecht es im Unterhaus nach Pulver und Dampf, sonst nur nach Narzissen.“
Erneuter Wechsel des politischen Lagers
Als Churchill am 31. Mai 1904 publikumswirksam von den Tories ins Lager der Liberal Party wechselte, war dies ein Skandal. Unter dem Vorwand einer Verteidigung des Freihandels gegenüber der von den Konservativen präferierten Einführung von Schutzzöllen wechselte er das Lager. Für den als hochmütig, aufbrausend beschriebenen und im Kollegenkreis weitgehend unbeliebten Churchill lohnte sich der Wechsel in jedem Fall. Er stieg erst zum Unterstaatssekretär für die Kolonien (1905 bis 1908) auf, dann zum Handelsminister (1908 bis 1910), zum Innenminister (1910 bis 1911) und schließlich zum Ersten Lord der Admiralität, sprich dem Amt des Marineministers. Da ihm allerdings die Hauptverantwortung für das britische Desaster rund um die Schlacht von Gallipoli auf der europäischen Seite der Dardanellen zur Last gelegt wurde, musste er den Posten des Marineministers im Mai 1915 niederlegen.
Im Juli 1917 wurde er mit dem Amt des Munitionsministers betraut und stieg im Januar 1919 als Kriegs- und Luftfahrtminister wieder eine Stufe der Karriereleiter hinauf. Nachdem er 1921 zum Kolonialminister berufen wurde, schien Churchills Blitzkarriere mit dem Ausscheiden der Liberalen aus der Regierungsverantwortung im Oktober 1922 beendet. Doch ganz im Sinne eines Stehaufmännchens wechselte Winston Churchill 1924 erneut das Lager und kehrte zu den Tories zurück. Trotz reichlich innerparteilichen Widerstands wurde er nach seiner Rolle rückwärts mit dem Amt des Schatzkanzlers belohnt. Allerdings erwies sich die von ihm veranlasste Wiedereinführung des Goldstandards als großer Fehler – und wurde bald schon wieder rückgängig gemacht.
Nach dem Wahlsieg der Labour Party im Mai 1929 verabschiedete sich Churchill zunächst vom politischen Tagesgeschehen und kümmerte sich vor allem um seine schriftstellerischen und künstlerischen Belange. In seiner Partei galt er mit seiner Unnachgiebigkeit gegenüber der indischen Unabhängigkeitsbewegung als standfester Kolonialist, zeittypischer Rassist und Imperialist. Und mit seinen ab 1933 ständig erhobenen Warnungen vor den Gefahren des Nazi-Militarismus wurde er als ewig Gestriger und reaktionärer Kriegstreiber eingestuft. Die Mehrheit seiner noch immer kriegsmüden Landsleute hatte sich lieber mit der von Premier Neville Chamberlain seit 1937 verfolgten Appeasement-Politik angefreundet. Entsprechend lehnte sie die von Churchill vehement geforderte Aufstockung der britischen Rüstungsausgaben ab. Spätestens mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht am 1. September 1939 in Polen galt die Appeasement-Politik dann aber als gescheitert.
Zwei Tage später wurde mit dem Kriegseintritt Großbritanniens ein neues Kabinett gebildet, dem der aus der selbst gewählten politischen Isolation zurückberufene Churchill als Erster Lord der Admiralität angehörte. Im Eiltempo nahm dieser die Modernisierung der britischen Flotte in Angriff. Zeitgleich mit dem Angriff Nazi-Deutschlands auf Frankreich wurde Winston Churchill am 10. Mai 1940 zum Premierminister an der Spitze einer nationalen Allparteien-Regierung berufen. Dem Amt, das seinem von ihm bewunderten Vater verwehrt geblieben war. Gleichzeitig wurde er auch zum Verteidigungsminister ernannt.
Nationales Symbol des Widerstands
Winston Churchill war von Anfang an bewusst, dass bei diesem Krieg die Existenz Großbritanniens ernsthaft auf dem Spiel stand. Zwangsläufig sah er Parallelen zum Kampf seines Ahnherrn, des ersten Duke of Marlborough, gegen Ludwig XIV. Entsprechend schwor er die britischen Bürger in seiner berühmten Kriegsrede vom 13. Mai 1940 auf „Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß“ sowie auf „viele Monate des Kampfes und des Leidens“ gegen Nazi-Deutschland ein. Mit seinem eisernen Durchhaltewillen und seinem stets optimistisch zur Schau gestellten Victory-Zeichen wurde er für seine Landsleute zum nationalen Symbol des Widerstandes gegen die Hitler-Diktatur sowie zur Personifikation eines Kämpfers für die Bewahrung von Freiheit und Demokratie.
Nachdem die Gefahr einer Invasion Großbritanniens in der berühmten Luftschlacht um England gebannt war und Hitlers Armeen daraufhin im Juni 1941 den Russland-Feldzug begannen, wurde für den Premierminister das Schmieden einer Allianz zwischen Briten, Amerikanern und den von ihm eigentlich abgrundtief gehassten Sowjetrussen alternativlos. Auch wenn Churchill schließlich im Konzert der großen Drei nur noch die dritte Geige spielte und er sein weltweites Renommee durch das umstrittene „Morale Bombing“ wehrloser deutscher Städte etwas beschädigte.