Der Bundeshaushalt für das kommende Jahr ist auf der Zielgeraden. Die Schuldenbremse wird eingehalten – trotz der geplanten Neuverschuldung. Ein Risiko bleiben die steigenden Zinsen.
Nach 18 Stunden „Bereinigungs-Sitzung“ des Haushaltsausschusses des Bundestages platzte am Freitagmorgen um vier Uhr dann die Schulden-Bombe. Das Bundesfinanzministerium legte den Haushaltspolitikern der Fraktionen endlich den Plan für die Neuverschuldung des Bundes im kommenden Jahr vor. Selbst den Fraktionsmitgliedern der Ampelregierung klappte in der Runde die Kinnlade herunter: 45,6 Milliarden Euro reguläre neue Schulden werden im kommenden Jahr dazukommen. Fast dreimal so viel wie von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ursprünglich noch im Sommer geplant. Und der Liberale ist stolz darauf – weniger auf die offiziellen neuen Staatschulden im kommenden Jahr als vielmehr auf den Umstand, dass trotz der Verdreifachung die ihm heilige Schuldenbremse eingehalten wird. Ein Argument mehr für Lindner, die Länder anzustacheln, die Schuldenbremse auch in ihren Haushalten einzuhalten. Insgesamt gibt der Bund 2023 mehr als 476 Milliarden Euro aus.
Entgegen den Beteuerungen von Kanzler Olaf Scholz (SPD), seinem Vize und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und auch dem Finanzminister mit Vetorecht im Kabinett steigen im kommenden Jahr damit die Mehrausgaben um 31 Milliarden Euro. Diese Steigerung war ursprünglich nicht vorgesehen, da die Bundesregierung sonst die Schuldenbremse nicht eingehalten hätte. Möglich wird dies erst durch die hohe Inflation: Die Steuerschätzer prognostizierten im Herbst Bund und Ländern in den kommenden drei Jahren Mehreinnahmen von gut 220 Milliarden Euro. Durch die Inflation von mittlerweile mehr als zehn Prozent steigen die steuerlichen Einnahmen durch den höheren Anteil der Mehrwertsteuer an einem teureren Produkt. Werden Lebensmittel und Konsumgüter rapide teurer, nimmt der Staat also mehr ein. Effekt dieser Mehreinnahmen: Die Grenze für die Neuverschuldung bei der Schuldenbremse steigt an. Mithilfe der Mehreinnahmen sollen Bürgerinnen und Bürger gleichzeitig entlastet werden, indem der Bund etwa die negativen Folgen der Inflation bei der Einkommenssteuer ausgleicht. Hinzu kommen Wohngeldreform und Kindergelderhöhung.
Steigende Grenze für Neuverschuldung
Wirtschaftsexperten prognostizieren, Deutschland könnte in eine Rezession rutschen, Industrie, Gewerbe oder Handwerk damit in eine existenzielle Notlage geraten. Damit wuchs erneut der Schuldenspielraum des Bundes, denn trotz Schuldenbremse darf er in Krisenzeiten mehr Schulden aufnehmen. Beide Erkenntnisse zusammen sorgten so innerhalb weniger Wochen für einen Schuldenrahmen von jenen 45,6 Milliarden Euro.
Das ist für den haushaltspolitischen Sprecher der Union im Bundestag, Christian Haase (CDU), völlig unverständlich. „Ohne die 31 Milliarden zusätzlicher Mehrausgaben hätte der Finanzminister zwar keine schwarze Null geschafft, aber zumindest ein klares Zeichen gegen immer mehr Schulden gesetzt und einen Puffer geschaffen.“ Besonders ärgerlich wird Haase im FORUM-Gespräch darüber, wofür die zusätzlichen Schulden gemacht werden und vor allem: wofür nicht. „Alle Ministerien haben etwas obendrauf bekommen, außer eines: das Verteidigungsministerium. Wir reden seit bald einem Dreivierteljahr davon, dass die Bundeswehr wieder in einen wehrbereiten Zustand versetzt werden muss, und nun bekommt sie im nächsten Jahr weniger Geld.“
Bei 50,1 Milliarden Euro fehlen im Wehretat 2023 im Vergleich zu diesem Jahr 332 Millionen Euro. Die Nato-Vorgabe von zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung, hoch und heilig von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) versprochen, wird um mehr als 16 Milliarden Euro unterlaufen und wieder nicht eingehalten. Die Ministerin verweist jedoch auf das 100-Milliarden-Sondervermögen, welches für die Bundeswehr eingerichtet wurde. Davon sollen 8,5 Milliarden Euro – alleine 8,2 Milliarden für die Beschaffung – im kommenden Jahr ausgegeben werden. Das lässt Unions-Chefhaushälter Haase nun gar nicht gelten. „Von den 100 Milliarden sind für das kommende Jahr gerade mal 8,5 Milliarden eingeplant. Doch eingeplant ist nicht gekauft und schon gar nicht geliefert. Außerdem dürfen über das Sondervermögen keine Anschaffungen für den regulären Betrieb getätigt werden. Bis heute ist nicht ein Cent aus dem Sondervermögen abgerufen worden und das wird wohl auch so noch eine Weile bleiben“, so Christian Haase, „dieser Regierung ist die Bundeswehr völlig egal, viel Ankündigung, kein greifbares Ergebnis.“
Zu wenig Geld für den Schienenverkehr
Ähnlich sieht es bei einem anderen schlagzeilenträchtigen Thema der letzten Monate aus. Die Forderung nach mehr Geld für Investitionen in den Schienenverkehr durfte nach der Einführung des 9-Euro-Tickets in keiner Rede fehlen. Doch der Bundeshaushalt 2023 spricht eine gänzlich andere Sprache. „Die Bundesregierung spricht von 1,5 Milliarden Euro Investitionen für die Schienen-Infrastruktur. Das ist falsch. Die Zahl steht zwar im Gesetz, davon freigegeben im kommenden Jahr sind aber nur 515 Millionen Euro.“ Der umverteilungspolitische Sprecher der Linken, Victor Perli, zeigt sich im FORUM-Gespräch maßlos enttäuscht: „Abgesehen davon, dass die Straße wieder mehr bekommt als die Schiene (8,47 Milliarden Euro im Jahr 2023; Anm. d. Red.) – die 515 Millionen Euro für die Bahn können auch für Investitionen in die Wasserstraßen genutzt werden. Da kann von einer ÖPNV-Offensive keine Rede mehr sein“, ärgert sich der 40-jährige überzeugte Bahnfahrer aus Niedersachsen.
Mit diesem Etat-Entwurf für den Schienenausbau verstoße die Ampelregierung obendrein gegen ihren eigenen Koalitionsvertrag. Darin steht, der Personen- und Güterverkehr auf der Schiene soll bis 2030 verdoppelt werden. „Was ich nicht verstehe: Warum lassen sich die Grünen so etwas bieten? Es ist zwar nicht ihr Ressort, aber im letzten Koalitionsausschuss hätten sie doch die Möglichkeit gehabt, da mal was zu sagen“, so Perli gegenüber FORUM.
Abgesehen von dem Umstand, dass zwei der derzeit meistdiskutierten Vorhaben der Bundesregierung, Verteidigungsbereitschaft und Ausbau alternativer Mobilität, von der Opposition als Mogelpackung kritisiert werden, droht Bundesfinanzminister Christian Lindner bei seinem ersten selbst gestrickten Haushalt Schiffbruch an unvermuteter Stelle: Zinszahlungen. Ein Wort, das in den letzten Jahren in Vergessenheit geraten ist, könnte bereits im Frühjahr zu einem notwendigen Nachtragshaushalt und damit zu weiteren Schulden führen. 2008 zahlte der Bund noch 40 Milliarden Euro Zinsen, 2021 nur noch vier Milliarden Euro. Diese Zeiten sind vorbei. Die Planung sieht für kommendes Jahr Zinszahlungen von 18 Milliarden Euro vor.
Und die Tendenz ist steigend. Die Europäische Zentralbank wird den Leitzins laut Präsidentin Christine Lagarde in den kommenden Monaten weiter erhöhen. Damit werden Kredite noch teurer. Dazu kommt: Die Bundesbank hat „inflations-indexierte Wertpapiere“ ausgegeben, die bei gewohnt niedriger Inflation ein gutes Geschäft für den Staat waren. Doch bei über zehn Prozent Teuerungsrate werden diese Staatsanleihen zum finanziellen Bumerang, was bei der jetzigen Haushaltsplanung mit gut zwölf Milliarden Euro zusätzlichen Renditezahlungen an die Anleger eingepreist ist. Die Inflation wird auch bis Mitte kommenden Jahres weiter hoch bleiben, so Finanzexperten. Mittlerweile kann der Bund nur noch Anleihen mit langer Laufzeit am Markt platzieren, wenn deutlich höhere Zinsen gezahlt werden. Für 2023 rechnet das Bundesfinanzministerium schon mit 35 Milliarden Euro reinen Zinszahlungen – und erreicht damit das Niveau von vor zehn Jahren. Ein Posten, der dem selbsternannten Schuldenbremseminister mehr Kopfzerbrechen bereiten könnte, wenn die Schuldenlast Deutschlands infolge der höheren Kreditaufnahmen weiter wächst.