Seit dem 1. Dezember gilt die beinahe verdoppelte Lkw-Maut auf deutschen Fernstraßen. Doch der von Fahrern und Spediteuren angekündigte Proteststurm ist ausgeblieben. Die Branche ist verunsichert.
Routiniert zieht Karsten G. die Spanngurte der Ladung auf seinem Auflieger fest. Heute hat der 61-Jährige aus Sachsen die Ladefläche voll mit Paletten eines großen deutschen Getränkeherstellers, die vom Abfüller ins Zentrallager nahe bei Nürnberg müssen. „Bislang kann ich tatsächlich nicht genau sagen, wie sehr die Maut-Verdopplung auf meinen Transportpreis durchschlägt, da die Maut immer ein Quartal im Voraus abgerechnet wird. Doch das neue Quartal beginnt ja logischerweise erst am 1. Januar. Doch ich gehe davon aus, das wird bei mir ein fünfstelliger Betrag werden.“
Ob das nun 10.000 oder 50.000 Euro bei ihm ausmacht, will Fuhrunternehmer Karsten G. aus Gründen des Geschäftsgeheimnisses nicht verraten. Aber es wird für seinen Kleinst-Familienbetrieb deftig, soviel verrät er. Auch seine Frau ist Lkw-Fahrerin, beide sitzen seit mehr als 30 Jahren „auf dem Bock“. Nach dem Ende der DDR musste das Paar beruflich umsatteln und landete in der Transportbranche. „In dieser Zeit hat sich das Gewerbe immer wieder verändert. Aber das, was sich in den letzten Monaten abspielt und weiter abspielen wird, haben wir in dieser Verdichtung noch nicht erlebt.“ Doch er versucht entspannt zu bleiben, G. und seine Frau müssen noch gut drei Jahre mit ihrem 40-Tonnen-Sattelzug durchhalten. Dann gehen sie in Rente. Das wichtigste für sie, ihr Lkw, die Zugmaschine und der Auflieger, den sie vor zehn Jahren nagelneu angeschafft haben, ist dann auch bezahlt. „Ich hoffe, wir können die Mehrkosten durch die Mauterhöhung komplett an unsere Auftraggeber durchreichen, dann müssen wir bei den laufenden Krediten bei der Tilgung nicht runtergehen.“
Fehlende Kapazitäten
Momentan sieht es laut dem Kleinspediteur gut aus. Er hat schon mit seinen Hauptauftraggebern gesprochen, und die sind ganz offensichtlich bereit, bei den Preisen nicht lange zu pokern, sondern die zwangsläufigen Preiserhöhungen pro Frachttonne zu akzeptieren. „Viel anderes bleibt den Auftraggebern vermutlich auch nicht übrig, denn es fehlen Lkw-Transportkapazitäten. Aber irgendwie müssen die Waren ja von der Fabrik in die Läden kommen. Dafür sind wir Versorger der Nation zuständig“, gibt sich der Einzelunternehmer gegenüber FORUM zuversichtlich.
Doch ihm ist anzumerken: Recht wohl ist ihm dabei nicht. Kein Wunder, nach der 83-prozentigen Mauterhöhung, die an die CO2-Abgabe der einzelnen Lkw gekoppelt sein wird, kommt auch die CO2-Steuer an der Tankstelle. Sie steigt am 1. Januar von derzeit 30 auf 40 Euro pro Tonne. Das wird beim Sprit mit vermutlich elf Cent pro Liter zu Buche schlagen. Die Kosten für die Einzelfahrer und Speditionsunternehmen werden also erneut steigen.
Die Sorgen in der Branche werden mit diesen Aussichten noch größer, bestätigt auch Udo Skoppek, Vorsitzender der Lkw-Fahrerinitiative „Allianz im deutschen Transportwesen“ (A.i.d.T.), der selbst seit fast 40 Jahren sein Geld als Kapitän der Landstraße verdient. Allerdings ist er nicht direkt betroffen von den Kostensteigerungen: Der 62-Jährige ist bei einem Spediteur fest angestellt. Ein Glücksfall? „Von Glück möchte ich in Anbetracht der Maut-Erhöhung und der anstehenden Spritpreiserhöhung nun nicht sprechen. Mein Arbeitgeber ist ein klassischer Familienbetrieb und auch bei uns wächst das Geld nicht an Bäumen, also es wird knirschen, auch bei uns.“ A.i.d.T.-Chef Skoppek hat schon von vergleichbaren Betrieben gehört, die erwägen, einfach nur noch die Hälfte ihrer Transport-Flotte auf die Straße zu schicken. Die anderen bleiben auf dem Hof, weil die Unternehmen nicht für alle ihre Lkw die Mautverdoppelung durch die Bank vorfinanzieren können. „Das ist natürlich eine Milchmädchenrechnung, weil sich damit der Betriebsumsatz halbiert, das ist also wirtschaftlich auf lange Sicht auch nicht darstellbar. Ganz abgesehen davon, dass die Hälfte der Fahrer dieser Betriebe erstmal in Kurzarbeit landen.“

Was in Anbetracht dieser Schwierigkeiten in der Transportbranche verwundert: dass es bislang zu keinen Massenprotesten der Betroffenen gekommen ist. „Das ist seit Jahren das Grundproblem bei uns Lkw-Fahrern. Wir sind gewerkschaftlich sehr schlecht, ja eigentlich gar nicht organisiert. Hätten wir eine so mächtige Transportarbeitergewerkschaft wie in den USA, sähe es in diesem Winter anders aus, aber vielleicht bekommen wir im Januar ja doch noch was auf die Reihe“, sagt Skoppek. Nur Hoffnung hat er wenig. Neben seiner Initiative ist da noch die Bundesvereinigung Logistik und Verkehr (BLV-Pro). Diese hat zumindest im November in Heilbronn und Wiesbaden zwei Fahrerdemonstrationen organisiert, was beachtlich ist, aber eben nur auf regionaler Ebene und eben nicht öffentlichkeitswirksam vor dem Brandenburger Tor.
Warnung vor Preiserhöhungen
BLV-Pro-Vorsitzender Konstantin Popov, Spediteur aus Neckarsulm in Baden-Württemberg, verweist da nicht ganz zu Unrecht auf die schwierigen Arbeitsbedingungen der Fahrer, die nicht einfach mal unter der Woche für einen Tag mit ihrem Lastzug einen Umweg zur Demo nach Berlin fahren können. „Eine Kundgebung für die Logistikbranche macht nur Sinn, wenn viele Lkw die Straßen verstopfen. Doch den Fahrern gehört zum Großteil die Zugmaschine nicht, sondern ihrem Arbeitgeber. Die können sich diese nicht einfach mal so ausleihen.“ Popov ist in Anbetracht von exorbitanten Kostensteigerungen in der Logistikbranche auch entsetzt über das Gebaren des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), der bereits bei den Vorgesprächen der verschiedenen Interessengruppen zu möglichen Protesten im Herbst eine Großdemonstration in Berlin ablehnte.
„Damit erreichen wir nicht viel, sondern wir müssen mit den Entscheidern in der Politik an einem Tisch sitzen und verhandeln“, bringt der Vorsitzende Dirk Engelhardt die Position des BGL auf den Punkt. Wobei auch Engelhardt grundsätzlich mit A.i.d.T. und BVL-Pro übereinstimmt: Die beinahe Verdoppelung der Lkw-Maut und anstehende 25-prozentige Steigerung der CO2-Bepreisung ist eine reale Gefahr für Existenzen, kleiner wie großer, in der Logistikbranche. „Ich weiß von einem Spediteur aus Niedersachsen, der seit dem 1. Dezember gar nicht mehr fährt, andere lassen nur noch die Hälfte ihrer Fahrzeuge vom Hof“, bestätigt auch er manche Reaktionen der Branche. „Weniger verfügbarer Transporttraum bedeutet auch immer höhere Frachtpreise, die dann zusätzlich noch obendrauf kommen.“
BGL-Chef Engelhardt warnt, Logistik und Transport betreffe alle Menschen in Deutschland, fast 90 Prozent der Waren des täglichen Bedarfs im Land werden per Lkw transportiert. „Das heißt ganz klar, die Kostensteigerungen landen beim Kunden im Einkaufswagen. Allein mit der Mauterhöhung spielt der Staat zusätzlich 7,6 Milliarden Euro ein. Wenn man diese Summe durch 80 Millionen Bundesbürger teilt und dann auf einen Vier-Personen-Haushalt durchrechnet, heißt das 300 bis 400 Euro Mehrbelastung pro Jahr. Damit ist klar: Die Ampelregierung erhöht die Preise ohne Not und wir Endverbraucher werden zur Kasse gebeten.“
Dabei aber wird es nicht bleiben: Zum 1. Juli 2024 soll die Mautpflicht dann auch schon für kleinere Transporter ab mehr als 3,5 Tonnen gelten. Bisher greift sie ab 7,5 Tonnen. Davon ausgenommen bleiben sollen aber Fahrten von Handwerksbetrieben. Die Hälfte des Geldes fließt in den Ausbau der Straßen, der Rest überwiegend in die Schienenwege.