Chinesische Elektroautos drängen auf den Markt, auch als Dienstwagen. Fachleute mahnen zur Vorsicht: Mithilfe der Fahrzeuge könnten Geschäftsgeheimnisse ausgespäht werden.
Das Lädchen in der Kölner Innenstadt ist so klein, dass es als Boutique durchgehen könnte: Gebirgsfotos an den Wänden, Stehpflanzen in den Ecken. In der Mitte zwei Autos, sorgsam platziert wie im Museum. Jung und hip soll das Ganze wirken, und der Eindruck ist in gewisser Weise auch echt. Denn die chinesische Firma BYD (Build Your Dreams), die hier ihre E-Autos präsentiert, ist ein Neuling auf dem deutschen Markt. Erst im Dezember 2022 hat das Unternehmen die Filiale eröffnet, ausgerechnet in einem ehemaligen Tesla-Store.
Der Filialleiter hat früher bei Mercedes gearbeitet, was man fast schon als Symbol für den Branchenzustand deuten könnte: Laut Statistischem Bundesamt stammten im ersten Quartal 2023 bereits 28,2 Prozent aller nach Deutschland importierten E-Autos aus China, Tendenz steigend. Die meisten Modelle sind gut verarbeitet, überzeugen im Crashtest und bieten brauchbare Software. Billige B-Ware aus Fernost? Das war einmal. Heute muss die deutsche Autoindustrie, die E-Mobilität lange verschmäht hat, um Marktanteile kämpfen.
Die Auswahl ist groß: BYD bietet den kleinen SUV Atto 3, den größeren Tang und die Limousine Han. Ora punktet mit dem Funky Cat, der wie ein VW Käfer aussieht. Nio verkauft Modelle, deren Batterien an Wechselstationen binnen Minuten ausgetauscht werden können. Hinzu kommen die von Chinesen aufgekauften europäischen Traditionsmarken Volvo und MG.
Überwachung leicht gemacht
Verständlich also, dass sich immer mehr Unternehmen fragen, mit welchen Marken sie ihre Dienstwagen-Flotten bestücken – warum nicht mal einen China-Stromer probieren? „Wir sind ein technologieoffenes Unternehmen“, heißt es etwa von Siemens, „daher schließen wir grundsätzlich keine Hersteller aus.“ Auch die Deutsche Telekom gibt auf Nachfrage an, eine geringe Zahl von Volvo- und Polestar-Fahrzeugen zu nutzen. Der Pharmakonzern Merck nutzt nach eigenen Angaben ebenfalls einige Volvos.
Was vordergründig logisch erscheint, hat einen Haken: Spionage. Moderne Autos sind mit derart vielen Sensoren, Kameras und Mikrofonen bestückt, dass sie sich perfekt zur Überwachung der Insassen eignen. Selbst im Kleinwagen Funky Cat steckt serienmäßig eine hochauflösende Innenraum-Kamera inklusive Gesichtserkennung.
„Wo sind Sie hingefahren? Was haben Sie mit wem gesprochen? Das ist alles erfassbar“, warnt May-Britt-Stumbaum, China-Expertin am Center for Intelligence and Security Studies (CISS) der Universität der Bundeswehr. Natürlich sei nicht jedes chinesische Auto gleich ein Spionage-Auto. „Je nach politischer Lage ist die Wahrscheinlichkeit aber hoch, dass Informationen abgezapft werden. Immerhin ist in China jede Firma verpflichtet, mit dem Staat zusammenzuarbeiten.“
Noch deutlicher wird der Verfassungsschutz in seinem aktuellen Jahresbericht: Demnach ist China aktuell „die größte Bedrohung in Bezug auf Wirtschafts- und Wissenschaftsspionage“. Die Staats- und Parteiführung strebe eine globale Technologieführerschaft an, die spätestens 2049 erreicht werden solle. Besonders gefährdet sind laut Verfassungsschutz jene Branchen, die an Hochtechnologien arbeiten: Quantenforschung, Künstliche Intelligenz, Hyperschalltechnik, Überwachungs- und Biotechnologie.
Moderne Autos sind schon ohne das Eingreifen staatlicher Akteure anfällig für Überwachung und Manipulation. Den US-amerikanischen Hackern Charlie Miller und Chris Valasek ist es mehrfach gelungen, Autos per Laptop komplett fernzusteuern. Das wohl Aufsehen erregendste Experiment absolvierten sie 2015 für die Zeitschrift „Wired“: Vom Wohnzimmer aus übernahmen sie die Kontrolle über einen Jeep Cherokee. Klimaanlage, Radio, Scheibenwischer: Die Hacker hatten die totale Kontrolle, während der Reporter hilflos am Steuer saß. Am Ende lenkten sie das Fahrzeug in einen Graben.
Neuere Recherchen des ARD-Magazins „kontraste“ legen nahe, dass sich die Probleme eher verschlimmert als verbessert haben – und dass sie längst nicht nur einen Hersteller betreffen. So lassen sich Standorte von Fahrzeugen offenbar auch dann noch orten, wenn die Besitzer diese längst verkauft haben. Das Handy mit dem Bordcomputer erst gar nicht verknüpfen? Sicherlich eine Möglichkeit, die Überwachung zumindest einzuschränken. Aber wer macht das schon bei einem Neuwagen, der genau diesen Komfort bietet? Dass sich ein Geheimdienst auch in Mikrofone und Kameras einhacken kann, erscheint da nur logisch. Noch leichter geht’s, wenn die passende Hard- und Software auch gleich aus China stammt.
Bewusstsein für die Gefahr kaum da
Doch es erscheint fraglich, ob diese Botschaft in Deutschland schon angekommen ist. Während beim Ausbau des 5G-Netzes leidenschaftlich über den Huawei-Konzern diskutiert wird, ist es seltsam stumm im Autobereich. Als die Mietwagen-Firma Sixt im vergangenen Jahr ankündigte, 100.000 E-Autos der Marke BYD zu kaufen, blieb der große Aufschrei aus. Lediglich die „Bild“ schimpfte, die Anschaffung sei eine „Entscheidung für die chinesische Diktatur, die Hongkong unterworfen hat, die Taiwan bedroht, die Menschen in Lager sperrt“. Heute betont Sixt: Die Bestellungen zögen sich über sechs Jahre und machten nur einen einstelligen Prozentbereich an der Gesamtflotte aus. Kundendaten teile man nicht mit Lieferanten.
Rein rechtlich ist die Sache klar: Laut EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) müssen Unternehmen auflisten, welche Informationen sie erheben und speichern. Doch die Sache hat einen Haken. „Häufig muss man bereits bei der Übergabe eines neuen Fahrzeugs seitenlange Datenschutz-Bestimmungen unterschreiben“, moniert der ADAC – „und damit stimmt man meist auch Ausnahmen vom Datenschutz zu.“ Neutrale Untersuchungen, ob und wie Positionsdaten, Kamerabilder und Audio-Aufzeichnungen genutzt werden, gebe es kaum.
Dabei sind es längst nicht nur chinesische Hersteller, die ein fragwürdiges Verhalten an den Tag legen. Im Frühjahr sorgte ein Bericht für Furore, wonach Tesla-Mitarbeitende zahlreiche Videos fremder Innen- und Außenkameras geteilt hatten – darunter von einem Mann, der sich nackt seinem Fahrzeug nähert.
Ist die Sorge vor chinesischen Autos also übertrieben, weil es die Konkurrenz nicht besser macht? „Der große Unterschied ist das politische System“, meint China-Expertin May-Britt Stumbaum. „In den USA gibt es Gewaltenteilung und eine unabhängige Justiz. In China dient die Rechtsprechung ausschließlich dazu, die Ziele der kommunistischen Partei umzusetzen.“
China ist deutlich restriktiver
Wie große deutsche Unternehmen zu dieser Thematik stehen, lässt sich nur erahnen. Von zehn angefragten Dax-Konzernen äußern sich alle entweder ausweichend oder gar nicht zu der Frage, wie sie über potenzielle Wirtschaftsspionage durch chinesische Fahrzeuge denken. „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir spekulative Fragen nicht beantworten“, heißt es etwa vom Chemie-Riesen BASF. Das Unternehmen nutzt nach eigenen Angaben keine chinesischen Dienstfahrzeuge. Der Auto-Zulieferer Continental weist darauf hin, dass Mitarbeitende frei entscheiden könnten, welche Hersteller und Modelle sie nutzen. Der Pharmakonzern Fresenius erklärt, man habe in Deutschland nur europäische Dienstwagen. Allen Warnungen zum Trotz boomt das Geschäft mit der Volksrepublik. 2022 wurden Waren im Wert von 298,9 Milliarden Euro zwischen China und Deutschland gehandelt, wie das Statistische Bundesamt mitteilt. Das entspricht einer Zunahme um 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Wer will sich wegen ein paar neugieriger Autos da schon das Geschäft vermiesen lassen?
Auch der Staat verhält sich ziemlich sorglos. Seit 2014 nutzt das Bundesinnenministerium einen sogenannten „No-Spy-Erlass“. Bei öffentlichen Ausschreibungen müssen sich Bieter verpflichten, keine vertraulichen Informationen weiterzugeben. Offenbar wird dieser Erlass aber nicht flächendeckend umgesetzt: So kommt im Fuhrpark des Bundesverkehrsministeriums laut eigenen Angaben keine solche Klausel zum Einsatz. Auch die Bundesdatenschutzbehörde gibt an, bisher keine öffentlichen Stellen zum Auto-Thema beraten zu haben.
Die Ironie der Geschichte: Ausgerechnet China geht deutlich konsequenter mit Autos um, die es für rollende Wanzen hält. So dürfen sich laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters in der Küstenregion Beidaihe keine Teslas mehr aufhalten, wenn dort die Parteiführung tagt. Die Befürchtung: Spionage.