Während Deutschland digitale Bauanträge feiert, schaffen die USA und China Tatsachen: Der Wettlauf zum KI-Gipfel ist längst entbrannt. Nun will auch die EU mitmischen. 200 Milliarden Euro sollen künftig in die Entwicklung Künstlicher Intelligenz in Europa fließen.
Deepseek versetzt die Welt gleichermaßen in Aufregung wie in Panik: Die chinesische KI ist leistungsfähiger als das aktuelle ChatGPT, hat mehr Fähigkeiten und wurde, so sagt es jedenfalls das Start-up dahinter, mit weniger Geldaufwand trainiert. Von sechs Millionen Dollar ist die Rede. Kein Wunder, dass im Silicon Valley plötzlich die Alarmglocken schrillten. Das 2023 gegründete Unternehmen aus Peking hat mit seiner Ankündigung die etablierten Tech-Giganten aufgeschreckt. GPT-3, das Sprachmodell hinter ChatGPT, kostete etwa vier Millionen Dollar, das aktuelle Modell GPT-4 bereits 79 Millionen Dollar im Training. Dahinter stecken jedoch mehr Kosten wie etwa die der Hardware, die von KI-Analysten im Falle von Deepseek auf 1,6 Milliarden US-Dollar plus Hunderte Millionen an Betriebskosten geschätzt werden. Auch im Falle von ChatGPT steckt milliardenschwere Hardware hinter dem Modell, die von OpenAIs Partner Microsoft bereitgestellt wird.
Simon Ostermann, Forscher am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), einem der weltweit größten Forschungszentren auf dem Gebiet der KI, ist gegenüber dem vermeintlichen Erfolg von Deepseek skeptisch. „Die Darstellung von Deepseek, dass das Training sehr viel effizienter gewesen sei, ist bis zu einem gewissen Grad irreführend. Die niedrigen Trainingskosten beziehen sich der wissenschaftlichen Veröffentlichung zufolge nur auf einen einzigen Trainingszyklus. Zum Entwickeln dieser Modelle sind viele solche Zyklen nötig. Außerdem scheinen die Anschaffungskosten der Hardware nicht mit eingerechnet zu sein.“
Trotzdem bietet Deepseek technische Vorteile: Es ist im Gegensatz zu beispielsweise ChatGPT ein „Open-Source“-Modell, durchaus technisch wie auch finanziell effizienter aufgestellt als andere KI-Modelle. Der Open-Source-Ansatz bedeutet, dass andere Entwickler und Forscher den Quellcode einsehen, verstehen und für eigene Projekte nutzen können – ein bedeutender Unterschied zu den proprietären Systemen amerikanischer Tech-Giganten. Diese Vorteile machen westliche Modelle jedoch bald wett, heißt es etwa in einem Bericht des KI-Forschungsunternehmens SemiAnalysis.
„Grundsätzlich zeigt die wissenschaftliche Arbeit trotzdem einige sehr effiziente Methoden des Trainings auf und einige interessante Kniffe, was die Daten angeht“, sagt Ostermann. „Wenn dies nun einen Effizienzwettlauf auslösen sollte, ist das eigentlich zu begrüßen: Das Training solcher Modelle erzeugt nicht nur hohe Kosten, sondern auch Emissionen in immensem Ausmaß. Werden effizientere Methoden entwickelt, ist dies nicht nur für den Wettbewerb, sondern auch für die Umwelt sehr gut.“ Schätzungen zufolge verbraucht das Training eines großen Sprachmodells so viel Energie wie 126 amerikanische Haushalte in einem Jahr.
Deepseek birgt Gefahren für Nutzer

Dass beides, Leistungsfähigkeit und Nachhaltigkeit, auch in Sachen Künstlicher Intelligenz gelten muss, war zuletzt in Europa Chefsache. In Frankreich trafen sich kürzlich Vertreter von Unternehmen und Politiker zum KI-Gipfel, der als Antwort auf die zunehmende KI-Dominanz der USA und Chinas gedacht war. Frankreich selbst mobilisiert für seine KI-Forschung 100 Milliarden Euro private Gelder. Das französische Unternehmen Mistral, das erst 2023 gegründet wurde und bereits eine Bewertung von zwei Milliarden Euro erreicht hat, und das deutsche Aleph Alpha aus Heidelberg gelten als einzige europäische Unternehmen, die derzeit mit internationalen Konkurrenten aus den USA und China mithalten können. In Paris hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen „InvestAI“ ins Leben gerufen, eine Initiative zur Mobilisierung von 200 Milliarden Euro für Investitionen in KI, darunter ein neuer europäischer Fonds in Höhe von 20 Milliarden Euro für KI-Gigafabriken. Die USA hatten im Januar Investitionen von 500 Milliarden US-Dollar angekündigt, ein klares Signal im globalen Wettlauf um die KI-Vorherrschaft. Das Rennen ist eröffnet.
Von Panik wegen des chinesischen Modells ist bei deutschen Wissenschaftlern derweil nichts zu spüren. Auch Kevin Baum bleibt gelassen. „Ich bin nicht alarmiert“, sagt der Leiter des Center for European Research in Trusted Artificial Intelligence (CERTAIN) am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz. Der Erfolg in Sachen Effizienz sei durchaus gegeben. Aber: „Mit meiner europäischen Brille sehe ich bei alldem eher eine Chance: Mehr frei verfügbare Modelle, die gleichzeitig durchaus interessant sind.“ Das „Reasoning Model“ von Deepseek R1 beispielsweise erlaube es, der KI beim „Denken“ zuzuschauen. Ein Blick in die „Blackbox“ sozusagen – eine Eigenschaft, die besonders im Hinblick auf die neue EU-KI-Verordnung relevant ist, die Transparenz und Nachvollziehbarkeit von KI-Systemen fordert. „Dies bringt uns Forschern und potenziell auch der Industrie zusätzliche Möglichkeiten und Einsichten. Und vielleicht noch wichtiger: Wir dürfen weiterhin hoffen, auch sehr fortgeschrittene europäische und vielleicht auch deutsche Modelle zu sehen, obwohl wir nur einen Bruchteil an Investitionen aufbringen.“
Deepseek, das auch in Deutschland über eine URL zu erreichen ist, birgt jedoch Gefahren für den Nutzer, sagt KI-Forscher Ostermann. „Sollte man Deepseek über die offizielle Website nutzen, werden alle Daten nach China gesendet und auch gegebenenfalls zum Re-Training verwendet, das heißt für zukünftige Entwicklungen. Insofern würde ich davon abraten, vertrauliche Daten in Deepseek einzugeben oder mit Deepseek zu teilen.“
Anders als OpenAI bietet Deepseek aber einen anderen Ansatz. Dieser erlaubt es, dass Entwickler die Modelle herunterladen und auf lokalen Servern nutzen können, und dies auch ohne Verbindung zum Internet. Auf diese Weise werden dann auch keine Daten geteilt. „Allerdings ist dies für Privatleute nur bedingt nützlich, da natürlich auch zum Hosten eines lokalen Modells eine bestimmte, starke Hardware benötigt wird“, sagt Ostermann weiter.
Die Hoffnung von CERTAIN-Leiter Kevin Baum auf neue KI-Modelle aus Europa beschränkt sich jedoch nicht nur auf große Sprachmodelle wie ChatGPT oder Deepseek, sondern auch auf andere fortgeschrittene KI-Modelle. „Insofern bin ich eher zuversichtlicher geworden, nicht vollends von den USA abhängig zu sein. Vielleicht ein wenig traurig, dass Deepseek nicht aus Europa kommt.“