Die Prognosen über die Wirtschaftsentwicklung verheißen wenig Erfreuliches. Die Stimmung trübt sich bei Wirtschaft und den Menschen ein. Transformation ist zur gesellschaftlichen Herausforderung geworden.
Auf der weltweit größten Automobilmesse IAA glänzen BYD und Tesla, während die deutsche Automobilindustrie nach staatlichen Flankierungen im Nachholprozess ruft. Der Ifo-Geschäftserwartungsindex (Erwartung) schrumpft seit April kontinuierlich, der Geschäftsklimaindex (Einschätzung der aktuelle Lage) zeigt nach unten. Historisch betrachtet hat der Ifo-Index in der Vergangenheit die Entwicklung ziemlich präzise vorausgesagt.
Das sind nur einige der Schlagzeilen, die ein Bild fortschreiben, das manche Kommentatoren schon auf den alten Begriff vom „Kranken Mann“ Deutschland zurückgreifen lässt. Der wurde geprägt, als Deutschland zu Beginn des Jahrtausends wirtschaftlich im Euroraum von allen anderen abgehängt wurde.
Die Stimmung ist alles andere als gut. In weiten Teilen der Wirtschaft, in der Politik – und in großen Teilen der Bevölkerung. Es braucht eigentlich keine der zahlreichen Umfragen, um die zunehmenden Verunsicherungen zu greifen.
Die Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung, damit verbunden um den eigenen Arbeitsplatz, an dem die eigene Lebensplanung hängt, ist seit jeher zentrales Thema der Menschen in Deutschland. Und mit den Folgen des Kriegs in der Ukraine steht auch wieder die Sorge um steigende Lebenshaltungskosten ganz oben auf der Liste der Ängste der Deutschen. Bei vielen kratzt die Inflation an Lebensplänen.
Seit drei Jahrzehnten veröffentlicht die R+V Versicherung jährlich eine Studie über „Die Ängste der Deutschen“. In diesem Zeitraum stand zwölfmal die Sorge vor steigenden Lebenshaltungskosten auf Platz eins, so oft wie kein anderes Thema. Dicht gefolgt von einer wechselhaften Angst vor einer Rezession.
Viele Sorgen um Lebenshaltungskosten
Wenn in Phasen, in denen diese Hauptsorgen besonders hoch sind, gleichzeitig latente Themen wie Klimaschutz mit konkreten Auswirkungen auf Wirtschaft und das private Leben dazu kommen und insbesondere die Bundesregierung nicht gerade den Eindruck vermittelt, mit einem klaren Kurs durch die multiplen Krisen zu steuern, ist wenig überraschend, dass Verunsicherung zu- und Vertrauen rapide abnimmt. Eine Spirale, die das Zeug zu erheblichen gesellschaftlichen Verwerfungen hat.
Die Ergebnisse der sogenannten „Sonntagsfrage“, die eine Partei wie die AfD zuletzt relativ konstant bei um die 20 Prozent gesehen haben, sind nur der äußere Ausdruck einer inneren Entwicklung.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat kürzlich in der Debatte um den umstrittenen Bundeshaushalt für das kommende Jahr nicht umsonst versucht, mit dem Schlagwort von einem „Deutschland-Pakt“ das Ruder ein Stück weit rumzureißen. Bürgerinnen und Bürger wünschten sich klare Orientierung und kein „Schattenboxen“ zwischen Regierungspartnern, so die Selbsterkenntnis.
Wenn der Kanzler nun zu einer „nationalen Kraftanstrengung“ aufruft, trifft das auf eine schwierige Stimmungslage. Menschen sehen die riesigen Aufgaben, vor denen das Land steht. Die meisten Ziele wie Klimaschutz und wirtschaftliche Transformation stoßen im Grundsatz auf eine breite Zustimmung, nur wenn es konkret wird und insbesondere, wenn es die eigene wirtschaftliche Basis, sprich den Arbeitsplatz betrifft, wird es schwierig. Insgeheim wissen die meisten, dass der jetzt entstandene enorme Druck auch viel damit zu tun hat, dass in der Vergangenheit vieles aus einer Gemengelage unterschiedlichster Gründe aufgeschoben wurde und jetzt eben alles unter einem enormen Druck gleichzeitig und sprichwörtlich an allen Ecken und Enden passieren muss. Was nichts anderes heißt, als dass gewohnte Gewissheiten infrage gestellt werden, und das grundlegend und umso mehr, als zu dem inneren Druck (Ergebnis zu lange versäumter Veränderungen) nun auch der äußere Druck durch globale wirtschaftliche und politische Entwicklungen massiv zugenommen hat.
Diese Entwicklungen kommen inzwischen unmittelbar und konkret im Alltag der Menschen an. Der unselige Streit um das sogenannte „Heizungsgesetz“ ist nur ein besonders sichtbarer Ausdruck davon, dass sich so manche politische Debatte – unter dem Druck objektiver Notwendigkeiten freilich – von dem konkreten Lebensalltag, den unmittelbaren Sorgen und Ängsten der Menschen entfernt hat.
Die saarländische Ministerpräsidentin und stellvertretende SPD-Vorsitzende Anke Rehlinger hält Beschreibungen wie „Angst“ oder gar „Panik“ für nicht unbedingt angemessen, rät aber der eigenen Zunft im Blick auf die ernsthaften Sorgen der Menschen, dass Politik zeigen müsse, „dass man das erkannt hat“. Ihre Erfahrung aus vielen Begegnungen zeige ein gehöriges Maß an Verunsicherung, schließlich stelle sich jeder die Frage: „Kann ich meinen Lebensstandard noch halten?“
Das Saarland ist eine der Regionen, die in besonderem Maß von den großen Herausforderungen betroffen ist: als exportorientiertes Autoland von der strukturellen Transformation und als Stahlstandort von der grünen Transformation. Das Land hat als erstes Bundesland einen drei Milliarden Euro schweren Transformationsfonds aufgelegt. Für das finanziell notorisch klamme Land eine enorme Herausforderung. Jede Maßnahme, die aus diesem Fonds vorangetrieben wird, „zahlt ein auf Arbeitsplätze und Klimaschutz“, soll somit den beiden zentralen Herausforderungen gleichzeitig dienen.
Herausforderungen betreffen Saarland stark
Dabei stößt die Politik immer wieder auf gegensätzliche Reaktionen: Den einen geht alles nicht schnell genug, andererseits fühlen sich Menschen von den Veränderungen überfordert. Insbesondere für letztere formuliert Rehlinger: „Ich verspreche nicht, dass es nicht anstrengend wird, aber, dass es sich lohnt.“ Womit zugleich gesagt ist, dass es bei den großen Veränderungen nicht allein um eine Aufgabe der Politik oder der Wirtschaft geht, sondern es letztlich eine „gemeinsame Verantwortung“ gibt.
Zur Stimmungslage gehören noch weitere, scheinbar gegensätzliche Befunde. Auf der einen Seite sieht eine Mehrheit Deutschland wirtschaftlich auf keinem guten Weg, zugleich beurteilt aber eine ebenso deutliche Mehrheit die eigene wirtschaftliche Situation als gut (ARD-Deutschlandtrend Juni 2023). Ähnlich auseinander geht auch die Einschätzung bei anderen Themen. So hat etwa die Angst vor Migration seit 2018 kontinuierlich abgenommen, gleichzeitig stieg aber in den letzten drei Jahren die Sorge, dass Behörden damit überfordert sind (Studie „Ängste der Deutschen“).
Die wirtschaftliche Entwicklung ist alles andere als einheitlich. Die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz ist aktuell nicht von derselben großen Bedeutung wie in früheren wirtschaftlich schwierigen Lagen. Das liegt auch daran, dass allerorten händeringend nach qualifiziertem Personal gesucht wird. Was Menschen umtreibt, ist die Sorge, ob sie von dieser Arbeit auch ihren Lebensstandard sichern können. Das hängt an Entwicklungen wie Inflation, aber auch daran, dass in bestimmten Sektoren Arbeitsplätze wegfallen werden, die bislang dank Tarifpolitik gute und attraktive Bedingungen hatten. Es geht somit also im Strukturwandel nicht nur um die Zahl, sondern auch die Qualität neuer Arbeitsplätze.
Gute Arbeitsplätze sind essenziell. Das allein wird aber kaum ausreichen, um Verunsicherungen abzubauen, denn das hängt auch von anderen, zusätzlichen Faktoren ab – beispielsweise von der Frage, ob Menschen das Empfinden haben, dass es bei all den Veränderungsprozessen auch gerecht zugeht. Was wiederum ein Spektrum an Aufgaben im Hinblick auf den sozialen Frieden aufmacht, der in der Vergangenheit zu einem entscheidenden Standortfaktor gehörte.
Wenn jetzt zu hören ist, dass Unternehmen, die auf qualifizierte ausländische Beschäftigte und Mitarbeitende mit Migrationshintergrund angewiesen sind, diesen Faktor besonders mit berücksichtigen, so ist das ein deutlicher Hinweis darauf, dass der Standort Deutschland neben sogenannten harten Fakten (wie beispielsweise Energiepreise) eine ganze Reihe weiterer Herausforderungen anzugehen hat.