Während die EZB den digitalen Euro vorantreibt, soll es ab dem 1. Januar ein Bargeldverbot ab 10.000 Euro in Deutschland geben. Kritiker warnen jedoch vor den Folgen einer schleichenden Abschaffung.
Sie schreibt täglich E-Mails und SMS, nutzt ihr Smartphone und ist sowohl analog als auch digital mit ihren Freunden gut vernetzt. Doch ihre EC-Karte nutzt Alice Michaelis (Name von der Redaktion geändert) so gut wie nie. Die 54-jährige Berlinerin zahlt so oft wie möglich bar. „Ich möchte nicht so viele Spuren im Netz hinterlassen und digital überwacht werden“, sagt sie. Mit ihrer Präferenz steht die Berlinerin nicht allein da. Laut einer Studie der Deutschen Bundesbank will die überwiegende Mehrheit der Menschen in Deutschland auf Bargeld nicht verzichten. Ein unverändert großer Teil von fast einem Drittel zahlt sogar am liebsten bar, heißt es dort. Und: 58 Prozent aller alltäglichen Zahlungen werden bar getätigt. Dennoch kommen die Verfasser der Studie zu dem Ergebnis, dass es zwischen 2017 und 2021 „einen „deutlichen Rückgang des Barzahlungsanteils und der Bargeldabhebungen“ für den täglichen Bedarf gegeben habe. Ein allgemeiner Trend hin zu elektronischen Zahlungsmitteln sei bereits seit Beginn 2008 zu beobachten. Jedoch hat die Pandemie zu einer zusätzlichen Reduktion der Barzahlungen geführt.
Ärmere werden benachteiligt
Derweil forciert die Wirtschaft den Vormarsch des digitalen Geldes. In Großstädten wie Berlin und München gibt es zunehmend Cafés und Restaurants, in denen die Gäste nur noch mit Kredit- oder EC-Karte zahlen können: „Kreditkartenanbieter, Digitalkonzerne, Banken und Teile des Handels treiben bargeldloses Zahlen voran“, sagt auch Dorothea Mohn, Leiterin des Teams Finanzmarkt im Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). So hat der Computergigant Apple die „Apple Card“ auf den Markt gebracht – unterstützt von der Investmentbank Goldman Sachs. „Google Pay“ kooperiert mit Citibank, einem der größten Finanzdienstleister der Welt. Und Meta, ehemals Facebook, treibt sein eigenes Zahlungsprojekt namens „Facebook Pay“ voran. „Regierungen, große Banken und Finanzkonzerne arbeiten weltweit daran, das Bargeld abzuschaffen, warnt der frühere Broker und Autor Brett Scott in seinem Fachbuch „Cloud Money. Cash, Karte oder Krypto: Warum die Abschaffung des Bargelds unsere Freiheit gefährdet“ (FORUM berichtete am 30. September 2022). Für Banken, so sagt der Finanzexperte, seien einzelne Kunden oft lästig und viel zu arbeitsaufwendig.
Doch die Forcierung der digitalen Zahlungsmöglichkeiten geht zulasten des Bargelds. Das ist allerdings nicht im Interesse der Kunden. Laut einer Umfrage des VZBV gaben drei Viertel der Befragten an, dass sie wählen möchten, ob sie mit Bargeld oder bargeldlos bezahlen. 35 Prozent der Bargeldbefürworter gaben an, dass sie ihre Ausgaben mit Bargeld besser kontrollieren könnten. Außerdem nannten sie die persönliche Freiheit über die Bezahlform (17 Prozent), den Datenschutz (13 Prozent) und eine grundsätzliche Befürwortung des Bargelds als Zahlungsmittel (13 Prozent). „Bargeld sichert Kontrolle, Freiheit, Datenschutz und Wettbewerb. Das alles sind wichtige Grundlagen für unsere Soziale Marktwirtschaft“, erläutert Dorothea Mohn vom VZBV.
Kritiker wie Brett Scott befürchten mit der forcierten Digitalisierung ein langsames Sterben von Münzen und Scheinen. „Es wird oft so getan, als handele es sich bei der Digitalisierung des Geldes um einen ‚Bottom-up-Prozess‘, bei dem gewöhnliche Menschen den Wandel ‚weg vom Bargeld‘ vorantreiben“, sagt Scott. „In Wirklichkeit hat es aber überall auf der Welt einen Druck von oben nach unten gegeben, einen richtigen ‚Krieg gegen das Bargeld‘. Es sind mächtige Akteure, die die Gesellschaft beeinflussen und massiv gegen das Bargeldsystem vorgehen.“ Die Forcierung setzt einen Teufelskreislauf in Gang. Denn wenn immer weniger Menschen bar bezahlen und immer weniger Verkäufer Bargeld annehmen wollen, könnte es bald gar nicht mehr akzeptiert werden. Eine Wirtschaft, in der Bargeld nicht mehr als Zahlungsmittel akzeptiert wird, werde vor allem Einkommensschwache treffen, mahnt der Finanzexperte Scott: diejenigen, denen Banken eine Giro-, Debit- und noch öfter eine Kreditkarte verweigern. Und wer keine Karte hat, ist in einem voll automatisierten, rein bargeldlosen Bezahlsystem praktisch von jeglichen Transaktionen ausgeschlossen – einschließlich lebenswichtigen Dingen wie Essen, Trinken und Kleidung.
Unterdessen treibt auch die Europäische Union die Digitalisierung des Geldes voran. Im Frühjahr hat die EU-Kommission angekündigt, einen Gesetzentwurf für einen digitalen Euro in der ersten Hälfte 2023 vorzulegen. In vielen europäischen Ländern wird derweil das Bargeld sukzessive begrenzt. Zumindest was die Höhe von Zahlungen betrifft. Aktuell plant die Bundesinnenministerin Nancy Faeser ein Bargeldverbot ab 10.000 Euro in Deutschland zum 1. Januar 2023. In vielen anderen europäischen Ländern gibt es schon längst Bargeldgrenzen, die unter 10.000 Euro liegen. In Frankreich darf man laut Gesetz beim Shoppen nur noch Waren bis zu einer Höhe von 1.000 Euro cash bezahlen. Was sowieso kaum noch passiert, weil das Gros der Franzosen weitgehend bargeldlos zahlt – außer vielleicht auf der Terrasse eines Straßencafés. In Italien dürfen Rechnungen oder Güter zurzeit nur bis zum Wert von 2.000 Euro bar bezahlt werden. Ursprünglich wollte der frühere Ministerpräsident Mario Draghi das Limit zum Jahreswechsel auf 1.000 Euro senken. Doch dann kam der Machtwechsel mit Giorgia Meloni. Die neue Ministerpräsidentin kündigte kürzlich an, die Grenze wieder auf 10.000 Euro anheben zu wollen – zum Unmut der Opposition.
Begrenztes Bargeld in Europa
Derweil treibt die Europäische Zentralbank (EZB) die Digitalisierung weiter voran. Schon 2020 hatte die EZB angekündigt, die Einführung eines digitalen Euro ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Mittlerweile nehmen die Überlegungen Form an. Im September hat die EZB bekanntgegeben, dass sie den digitalen Euro in einer zweijährigen Pilotphase auf seine Gebrauchstauglichkeit testen will. Nicht im Alleingang, sondern mit fünf Privatunternehmen. Mit dabei sind der E-Commerce-Gigant Amazon und die spanische Caixa Bank sowie EPI, Nexus und Worldline.
Auf einer Konferenz, die neulich in Brüssel stattfand, plädierte Christine Lagarde, Präsidentin der EZB, für eine baldige Entwicklung des digitalen Euro. Sie argumentierte vor allem damit, dass die Menschen immer weniger mit Bargeld bezahlten. Dadurch könnte das Bargeld als öffentliches Geld seine Ankerfunktion für das „hybride System“ aus von der EZB herausgegebenem öffentlichen Geld und dem privaten Geld der Geschäftsbanken verlieren. Der digitale Euro müsse unbedingt den Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels erhalten, so wie Bargeld, sagte Christine Lagarde. „Ein positiver Nebeneffekt eines Status als gesetzlichem Zahlungsmittel wäre, dass das Netzwerkeffekte begünstigen würde, indem es den Bürgern erlauben würde, überall mit dem digitalen Euro zu bezahlen.“ Von einer Stärkung des Bargeld als paralleles Zahlungsmittel der Zukunft wurde indes kein Wort verloren.