Im Kino sind es fast immer Gangster, die mit der „G-Klasse“ von Mercedes protzen. In der Realität röhrt der Luxus-Geländewagen jetzt elektrisch.
Sind Sie ein Oligarch? Haben Sie im Lotto gewonnen? Oder leiten Sie die Geschicke eines Weltkonzerns? In diesem Fall können Sie getrost weiterlesen. Ansonsten natürlich auch. Dann heißt es allerdings: nur gucken, nicht anfassen! Wir reden vom Mercedes-Benz G 580 EQ, einem elektrischen Geländewagen, der selbst als Serienmodell mehr kostet als eine kleine Wohnung auf dem Land. Die G-Klasse – egal mit welchem Antrieb – ist so exklusiv, dass ich sie während meines 14-tägigen Tests ansonsten nur zweimal gesehen habe: einmal auf der Düsseldorfer Königsallee, ein anderes Mal vor einer Shisha-Bar in Berlin.
Die meisten Normalsterblichen kennen das Gefährt ohnehin nur aus dem Fernsehen, wo Drogenbosse, Mafia-Chefs und Clan-Mitglieder ihre rollenden Ungetüme zur Schau stellen. In Wahrheit ist die G-Klasse natürlich nicht nur für Kriminelle gemacht, sondern taugt als vollwertiger Geländewagen. Safari, Bergtour oder Dschungeltrip? Mit diesem Statussymbol kein Problem! Vorausgesetzt, im Dschungel gibt’s Strom.
„G-Turn bitte nicht ausprobieren“
Was schon zur ersten Frage führt: Wird die Zielgruppe eine Elektroversion akzeptieren? Damit das gelingt, klotzt Mercedes mit Technik und Power. Gleich zwei Elektromotoren treiben den Drei-Tonnen-Luxusklotz an, unter der Haube stecken 432 Kilowatt beziehungsweise 587 PS. Gleichzeitig hat Mercedes penibel darauf geachtet, am Äußeren nicht zu viel zu verändern. Eigentlich sieht der EQG genauso aus wie sein fossiler Vorgänger – gut für die Tradition, schlecht für den Verbrauch. Sogar beim Gasgeben – oder besser: Stromgeben – brüllt er wie ein Benziner. Der sogenannte „G-Roar“ stammt aus dem Lautsprecher, lässt sich aber abschalten.
Die einzige Safari, auf die ich mich begebe, führt in den Großstadt-Dschungel. Genauer gesagt von Bonn nach Berlin und im Anschluss nach Freiburg, fast einmal quer durchs Land. Bevor ich losfahre, fühle ich mich ein wenig unwohl. Diagnose: SUV-Scham. Werden mich Radfahrer mit Eiern bewerfen, wenn ich mit G-Sound an ihnen vorbeilärme? Oder wenn ich in der Innenstadt aus meinem fahrenden Thron steige, nach hinten stolziere und den am Kofferraum befestigten Ersatzradkasten öffne? Dort drin befindet sich nicht etwa das Ersatzrad, sondern das Ladekabel. Großstadtdschungel eben.
Nichts davon passiert. Selbst in der ökologischen Vorzeigestadt Freiburg recken mir zwei muskelbepackte Typen den Daumen nach oben. Der Innenraum verstärkt dieses Machtgefühl. Ich schwebe über den Dingen, fast wie in einem Lkw. Dazu Massagesitze, lederbezogene Flächen und eine Anzeigen-Armada, die auf Wunsch sogar die GPS-Koordinaten, die Reifentemperatur und den Neigungswinkel des Fahrzeugs anzeigen. Wenn man den EQG wirklich durchs Gelände jagt, sind diese Funktionen vermutlich Gold wert. Bringt man hingegen nur kurz den Nachwuchs zur Privatschule, hält sich der Nutzen in Grenzen.
Was mich wirklich überrascht, ist, dass sich die elektrische G-Klasse auch im urbanen Raum gut schlägt. Trotz ihrer Größe und Form kann man damit erstaunlich sicher einparken. Dafür sorgen unzählige Assistenzsysteme und Kameras, die jeden noch so kleinen Winkel ausleuchten. Natürlich werden die Parklücken dadurch nicht größer. Aber man kann einschätzen, ob die teuren Edelstahlfelgen am Bordstein schrammen.
Die Aerodynamik kostet Reichweite
Nur eine Funktion ist so verrückt, dass ich sie nicht ausprobiere – nicht mal ausprobieren darf! Beim sogenannten „G-Turn“ dreht sich der Mercedes auf Knopfdruck im Kreis. Kein Witz! Der einzige Nutzen, den ich mir für diese Funktion vorstellen kann, ist ein umgefallener Baum auf einem engen Waldweg. An der Großstadt-Ampel sollte man mit diesem Manöver aber lieber nicht protzen. „Das Fahrzeug kann den G-Turn auch auf Asphalt, jedoch führt das zu einem immensen Reifenverschleiß“, informiert mich die Mercedes-Pressestelle. Selbst im Sand solle ich den Wagen bitte maximal zweimal drehen, „da sich das Fahrzeug aufgrund seines Gewichts eingraben kann, was wiederum zu Beschädigungen an den Felgen oder auch zum Reifendruckverlust führt.“ Ein Auto, das sich wie ein Panzer um sich selbst dreht und dabei sogar eingräbt – wie irre ist das denn?!
Doch selbst in einem 200.000-Euro-Auto ist nicht alles perfekt. Da wären Kleinigkeiten wie die glitschigen Touchfelder auf dem Lenkrad, mit denen man die Radiolautstärke und diverse Assistenzsysteme steuert. Schon bei seiner elektrischen Luxuslimousine, dem EQS, verbaut Mercedes diese fingerabdruckanfälligen Eingabetasten. Einem soliden Geländewagen hätten echte Knöpfe besser gestanden! Oder die Ladegeschwindigkeit: An langsamen Wechselstrom-Ladern schafft die G-Klasse nur 11 Kilowatt, nicht 22 Kilowatt wie der EQS. Damit dauert es satte zwölf Stunden, um den Riesenakku von null auf 100 Prozent zu füllen.
Am Schnelllader geht es freilich schneller. Bei meinem ersten Ladestopp braucht der EQG genau 36 Minuten, um von neun auf 80 Prozent aufzuladen. Dank seiner schlechten Aerodynamik kommt der Koloss rund 350 Kilometer weit auf der Autobahn. Wohlgemerkt: beim Fahrstil eines Autotesters, der SUV-Scham empfindet und brav Richtgeschwindigkeit fährt. Tritt man ordentlich durch, muss man auch schon mal nach 250 Kilometern die Ausfahrt zur Strom-Tanke nehmen.
Wo der Mercedes unterwegs laden kann, berechnet das Navi automatisch. Der Akku wird dann während der Fahrt vorkonditioniert, also aufgeheizt oder gekühlt. Bei der Ladeplanung macht das Navi einen hervorragenden Job. So zeigt es nicht nur freie und belegte Anschlüsse an, sondern bietet bei Problemen auch gleich Alternativen an. Als ich etwa am Rastplatz Porta Westfalica ankomme, blockiert ein Elektrobus gleich vier Ladesäulen. Kein Problem für den EQG: Auf seiner Navikarte sieht man, dass nur 200 Meter weiter die nächste Stromquelle wartet.
Nur 415 Kilogramm Zuladung möglich
Nur in einem Punkt wird das System dem Premiumanspruch nicht ganz gerecht: Wer bei einem bestimmten Anbieter laden möchte, kann dies nur sehr bedingt einstellen. Die einzige Filterfunktion lautet „Mercedes-Me“, also Ladesäulen, die mit der herstellereigenen Ladekarte kompatibel sind. Andererseits: In der Preisklasse werden Kunden vermutlich ohnehin nicht nach dem günstigsten Stromanbieter suchen. Was kost die Welt!
Weit mehr ins Gewicht – und zwar wörtlich – fällt die geringe Zuladung der elektrischen G-Klasse. Nur 415 Kilo dürfen transportiert werden, inklusive Insassen. Ansonsten würde das Fahrzeug die 3,5-Tonnen-Grenze überschreiten und dürfte nur noch von Personen mit Lkw-Führerschein gesteuert werden. Doch 415 Kilo sind schnell erreicht: Vier oder fünf wohlgenährte Personen könnten diese Grenze leicht knacken. Will man dann noch den Kofferraum füllen, wäre der EQG überladen. Mal eben das Wildschwein verstauen, das man auf dem eigenen Landgut erlegt hat? Schon möglich, aber dann muss eine Person zu Fuß nach Hause marschieren. Armer Stallbursche!
Nach rund 2.000 Kilometern bin ich froh, den Luxus-Stromer wieder unbeschadet zurückgeben zu können. Keine Frage: Der EQG ist ein Geländewagen, der den Umstieg ins Elektrozeitalter gemeistert hat. Wer mit ihm wirklich über Stock und Stein fährt, kann dies ohne Probleme tun, und das sogar umweltfreundlicher als mit der Benzinvariante. Bleibt nur die Frage, ob sich in der Sahara bei Bedarf die passende Ladestation findet. Ansonsten muss man per „G-Turn“ wieder umdrehen. Oder eben doch nur die Shoppingmall um die Ecke ansteuern, so wie vermutlich 99 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer.