Die Debatte in der Regierung um den Bundeshaushalt 2024 wird für die Ampel-Koalition in Berlin zum Offenbarungseid. Es geht um enorm viel Geld, politische Schwerpunkte und grundsätzliche Überzeugungen.
Bundeskanzler Scholz ist nach der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg im Brandenburgischen um Wohlfühlstimmung bei der abschließenden Pressekonferenz bemüht. Selbst das Wetter spielt an diesem Montagmittag mit, die völlig verregneten Märztage machen mal Pause. Die Mikrofone sind vor dem Barockportal aufgebaut, der Kanzler betont die konstruktive Stimmung während der letzten 48 Stunden „intensiver Gespräche“ mit den Kabinettskollegen. Doch das zelebrierte Regierungskuscheln funktioniert nicht mal zwanzig Minuten.
Spätestens als Bundesfinanzminister Christian Lindner das Wort ergreift, wird klar: Die Ausgaben-Bäume für das kommende Jahr sollen nicht weiter in den Himmel wachsen. Die Schuldenbremse soll eingehalten werden und das ohne Steuererhöhungen. Das kann nur funktionieren, wenn gespart wird und zwar in allen Etats, Zusatzwünsche sollen, so Lindner, nicht erfüllt werden.
Drei Tage später dann Lindners politischer Schachzug in Sachen Bundeshaushalt 2024. Er sagt alle Termine zur Präsentation des Haushaltsentwurfs für das kommende Jahr ab. Weder im Bundeskabinett, noch vor dem Haushaltsausschuss des Bundestages oder in der Bundespressekonferenz wird es, wie eigentlich geplant, Mitte März konkrete Zahlen geben. „Wir werden im Kabinett noch einmal gemeinsam über finanzielle Realitäten sprechen müssen“, so Lindner. Wann konkrete Eckpunkte für die Ausgabenplanung vorliegen sollen, wollte der Minister nicht in Aussicht stellen.
Es geht um immerhin rund 70 Milliarden Euro zusätzlich beantragter Mehrausgaben aus den einzelnen Ressorts. Damit wäre die Schuldenbremse nicht mehr einzuhalten. Soweit bekannt, wird der kommende Haushalt erstmals die 500 Milliarden Euro Grenze sprengen. In diesem Jahr liegen die Bundesausgaben bei über 476 Milliarden Euro, bei einer Neuverschuldung von fast 46 Milliarden Euro. Doch auch wenn der Bundeshaushalt im kommenden Jahr mehr als 500 Milliarden Euro betragen wird, dürfte bei der von Finanzminister Lindner angestrebten Einhaltung der Schuldenbremse die Neuverschuldung im kommenden Jahr trotzdem nicht höher liegen als in diesem Jahr.
Einen Posten der Mehrausgaben soll Finanzminister Lindner im zukünftigen Wehr-Etat offenbar schon abgesegnet haben, nämlich zehn Milliarden mehr für das Bundesverteidigungsministerium. Dabei kann sich Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) darauf berufen, dass die Aufgaben der Bundeswehr in diesem Jahr erheblich größer geworden sind, während sein Budget im Vergleich zu 2022 um 500 Millionen gekürzt wurde. Die Truppe braucht mehr Geld, allein schon, um die Waffen- und Munitionslieferungen aus dem eigenen Bestand an die Ukraine auszugleichen. Ein Argument, dem sich Christian Lindner nur schwer entziehen kann. Das Sondervermögen Bundeswehr von 100 Milliarden Euro spielt hier keine Rolle. Dieses Sondervermögen dient nicht der laufenden Finanzierung der Truppe, sondern der zukünftigen Verteidigungsbereitschaft der Bundesrepublik. Darum dürfte Verteidigungsminister Pistorius wohl das Geld bekommen.
Zwischen Zuversicht und Schuldenbremse
Anders sieht es bei Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) aus. Sie fordert zwölf Milliarden Euro mehr um damit die Kindergrundsicherung finanzieren zu können. Doch da stellt sich die FDP quer, allen voran Finanzminister Lindner. Erst in diesem Jahr ist das Kindergeld erheblich erhöht worden, ein weiteres Milliardenprojekt, das in den aktuellen Bundeshaushalt erstmal eingepreist werden musste. Das für Grüne und SPD besonders wichtige politische Projekt der Kindergrundsicherung soll darum, geht es nach der FDP, um ein Jahr auf 2025 verschoben werden. Und über die Höhe der Grundsicherung gegen Kinderarmut will sich Lindner zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht äußern. Die Hoffnung von SPD und Grünen ruht deshalb auch auf der anstehenden Steuerschätzung im kommenden Mai. Es ist kein Geheimnis, dass der Bund aufgrund der Inflation mit zwischen acht und zehn Prozent Mehreinahmen allein aus der Umsatzsteuer rechnen kann. Überschlagsrechnungen gehen von gut und gern 30 bis 40 Milliarden Euro nur im Bund aus. Der Grünen-Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler sieht deshalb neue Spielräume für den Bundeshaushalt 2024. „Einige Entspannung dürfte die nächste Steuerschätzung geben“, so der haushaltspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag „Die Entwicklung ist deutlich besser als erwartet.“ Er ist zuversichtlich, dass die Ampel-Koalition bald zu einer Einigung über die strittigen Eckwerte des Bundeshaushalts im kommenden Jahr gelangen werde. Dem finanzpolitischen Frohlocken des Grünen hält Bundesfinanzminister Lindner entgegen, dass zweifelsfrei die Steuereinahmen aufgrund der hohen Inflation steigen, aber im Zuge der Bekämpfung der Inflation auch die EZB-Leitzinsen gestiegen sind und vermutlich im April abermals angehoben werden, auf dann vermutlich vier Prozent – mit entsprechenden Folgen für den Zinsdienst der Bundesrepublik. Die werden sich aktuell bemerkbar machen, aber so richtig erst mit Zeitverzögerung durchschlagen, weil die Aufnahme der Schulden mittel- bis langfristig angelegt ist. Das Problem aber besteht. Hatte der Bundeshaushalt zuletzt sogar für seine Schulden Geld bekommen (eine Folge der Null- und Negativzinspolitik), werden jetzt Zinszahlungen fällig. Das Geld fehlt im Haushalt.
Trotzdem bleibt die Steuerschätzung im Mai die große Hoffnung von SPD- und Grünen-Bundesministern.
Der Arbeitskreis Steuerschätzungen ist ein Beirat im Bundesfinanzministerium und legt zweimal im Jahr seine Annahme vor, wie sich das Steueraufkommen von Bund, Ländern und Gemeinden in den kommenden Monaten entwickeln wird. Ihm gehören unter anderem die fünf großen Wirtschaftsforschungsinstitute an, die im Auftrag des Bundesfinanzministeriums ihr Gutachten erstellen. Dazu kommen das Statistische Bundesamt und die Deutsche Bundesbank, die ja einen Teil ihrer Gewinne an die Bundesregierung abführen muss. Unterstützt wird dieses Gremium vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, den Länderfinanzministerien und der Bundesvereinigung kommunaler Spitzenverbände. Doch den Ton bei der Beurteilung der Einnahmen im Kreis der Steuerschätzer geben die fünf Wirtschaftsweisen der Bundesregierung an. Das weiß auch der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Christian Haase. Seit Jahren beschäftigt sich der CDU-Mann im Bundestag mit den Finanzen des Bundes. Er sieht hier FDP-Finanzminister Lindner in einem echten Zwiespalt. „Wenn man sich die Aufgaben, die daraus resultierenden Ausgaben und die weiteren Pläne der Bundesregierung genau ansieht, wird der Bundeshaushalt 2024 zum Dilemma der FDP. Schuldenbremse ohne Steuererhöhungen wird nicht funktionieren, da hilft nur sparen. Christian Lindner sitzt da zwischen den Stühlen“, so Haase gegenüber FORUM.
Heftige Diskussionen um die Verteilung knapper Mittel sind Kerngeschäft der Politik. Es geht darum, wofür man Geld ausgeben will, weil man es für politisch wichtig erachtet, und wofür nicht, weil als unwichtig bewertet. Der Bundesrechnungshof empfiehlt jedenfalls vor dem Hintergrund der Entwicklung der jüngsten Vergangenheit mit hohen Ausgaben zur Bekämpfung der Pandemie und ihrer Folgen und jetzt des Krieges in der Ukraine, alles auf den Prüfstand zu stellen und neue zu priorisieren. Das geht nun mal nicht ohne intensive Auseinandersetzungen, denn jeder wird für seine politischen Projekte streiten. Genau das empfiehlt übrigens der Bundesrechnungshof. Der mahnt, Interessenkonflikte jetzt richtig auszutragen, statt sie über Verschuldung auf die Zukunft zu vertagen.