Das Northern Cape im Nordwesten des Landes ist in etwa so groß wie Deutschland und Heimat von weniger als 1,5 Millionen Menschen. Durch eine weite Wüstenlandschaft schlängelt sich der im südlichen Afrika zweitlängste Fluss.
Einen Leoparden zu sehen, ist ein bisschen kompliziert“, sagt Humphrey Jawangwe und lacht. Der 26 Jahre alte Mann aus Zimbabwe arbeitet seit Kurzem als Guide in der „Tutwa Lodge“ nahe der südafrikanisch-namibischen Grenze. In den vier Monaten, in denen er hier täglich mit Touristen auf Game Drive geht, hat er noch keine der Raubkatzen gesehen. Berto van Zyl, sein Chef, weiß aber genau, dass fünf Leoparden auf dem großen Gebiet seiner Lodge leben. Den sechsten hat vor einiger Zeit der Nachbar erschossen, als das Raubtier gerade eine seiner Kühe riss. Wütend sei er darüber, sagt van Zyl. Eigentlich habe man vereinbart, dass er für die Schäden aufkomme und die Leoparden bei ihren Streifzügen über die Nachbarfarm dafür unbehelligt bleiben.
Giraffen werde man aber auf jeden Fall zu sehen bekommen, verspricht Humphrey Jawangwe. Das passt, denn „Tutwa“ bedeutet in der Sprache der einheimischen Khoikhoi „Giraffe“. Im Morgengrauen geht es los. Mit müden Augen steigen die Gäste um kurz nach fünf in den Jeep. Dann sind mehr Tiere unterwegs und zudem ist es noch angenehm kühl. In einer Region, in der im Tagesverlauf die Temperaturen auf 40 Grad und mehr steigen können, macht das frühe Aufstehen also durchaus Sinn. Bevor die langhalsigen Stars des Tutwa Park auftauchen, erklärt Humphrey Jawangwe erst einmal deren Lieblingsspeise. Die grünen Triebe der links und rechts des Weges wachsenden Blackthorn-Büsche – Verwandte unserer Schlehen – schmecken den Giraffen besonders gut. Dass der Busch oft beachtliche Höhen erreichen kann und bis zu sieben Meter in den südafrikanischen Himmel wächst, stört die Giraffen verständlicherweise nur wenig. Nebenan im Köcherbaum, den die Einheimischen Kokerboom nennen, nisten die Webervögel. Die kleinen Vögel sind Koloniebrüter, das heißt, sie bauen ihre Nester dicht an dicht und oft flattern mehr als 1.000 Vögel wild durcheinander an einem Baum. Die riesige WG bietet Schutz vor Feinden. Allerdings werden die unzähligen Nester auch ziemlich schwer. Gar nicht so selten passiert es, dass Bäume unter deren Last zusammenbrechen. Der Name Köcherbaum ist gleichermaßen falsch und richtig. Ein echter Baum ist der Kokerboom nämlich nicht, sondern eine Aloe mit massivem Stamm. Über fünf Meter kann der hoch werden. Die Sache mit dem Köcher entspricht dagegen durchaus der Wahrheit, denn die einheimischen San fertigten früher die Köcher für ihre Pfeile aus den Ästen des Baumes. Außerdem wird dem Kokerboom, so Humphrey Jawangwe, auch eine aphrodisierende Wirkung nachgesagt. Beim Milkbush, der im freundlichen Grün überall in der Wüste herumsteht, muss man dagegen aufpassen. Die weiße Flüssigkeit, die er abgibt, wenn seine Äste brechen, ist nämlich giftig. Auf Deutsch spricht man wegen der Dicke seiner grünen glatten Äste vom Bleistiftstrauch.
Oft jahrelang kein Regen
Größere Raubtiere gibt es in Tutwa, mit Ausnahme der Leoparden, keine. Den Grasfressern gefällt’s. Und so können Gnus, Oryx- und Elenantilopen und Springböcke stressfrei ihrem Tagewerk nachgehen. Schon bald tauchen sie fotogen vor den Telelinsen der Touristen auf. Die Giraffen, die eigentlichen Stars des Parks, lassen ein bisschen divenhaft zunächst noch auf sich warten, dann aber tauchen sie nur ein paar Meter entfernt vor dem Jeep auf. Sie gehören, trotz ihrer Größe, nicht zu den sagenumwobenen Big Five. Dafür sind sie aber die heiligen Tiere der Khoikhoi. Mit ihren langen Hälsen können sie, einer alten Sage entsprechend, nämlich den Himmel berühren und so den im Northern Cape so heiß ersehnten Regen auslösen.
Ein paar Kilometer weiter schauen die Hütten der „Khamkirri Lodge“ vom Hochufer aus zum Orange River hinab. Obwohl es im Northern Cape oft jahrelang nicht regnet, tritt der Fluss regelmäßig über seine Ufer. „Im vergangenen Jahr stieg das Wasser bis zu den Eingangstüren der Ferienhäuser“, erzählt Danie van Zyl, der Besitzer der Lodge. Er hält seine rechte Hand weit über seinen Kopf und unterstreicht so das Gesagte. Normalerweise liegen die kleinen Häuser gut zehn Meter über dem Fluss. 70 Prozent aller Flüsse Südafrikas enden irgendwann in dem fast 2.200 Kilometer langen Orange River, dem nach dem Sambesi zweitlängsten Fluss im südlichen Afrika. Das heißt, dass auch Niederschläge in Hunderten Kilometern Entfernung Auswirkung auf den Wasserstand am Northern Cape haben. Dann werden auch die nahen Augrabies Falls, die normalerweise nur ein spärliches Rinnsal sind, zu einer laut tosenden Naturgewalt, und für kurze Zeit zu einer der spektakulärsten Sehenswürdigkeiten des Landes. Und dann, aber nur dann, verdienen sie sich auch ihren Namen. Augrabies leitet sich nämlich von dem Wort „aukoerebis“ ab, das in der Sprache der San „Ort des tosenden Lärms“ bedeutet. In den vielen Monaten, in denen der Orange River friedlich durch sein Bett mäandert, veranstaltet van Zyl für seine Gäste Ausflüge mit dem Kanu oder Schlauchboot. Wer will, kann im Wasser vor der Lodge dann mit zum Fliegenfischen gehen. Van Zyl schwärmt vom Fischreichtum und erzählt, dass mancher Besucher nur zum Angeln anreist. Wenn der Orange River gute Laune hat, ist er das reinste Freizeitparadies. Böse ist dem Fluss für sein wildes Gehabe aber ohnehin niemand. „Ohne den Orange River gäbe es hier in der Kalahari-Wüste gar nichts“, so van Zyl. Und weiter: „Der Fluss schafft unser Paradies, fordert dafür aber auch seinen Preis.“
Traubenanbau auch für Deutschland
Was er damit meint, versteht man sofort, wenn man mit dem Flugzeug auf dem Flughafen der Provinzhauptstadt Upington landet. Von oben sieht man nichts als trockene Wüste, die von einem dünnen blaugrünen Band durchzogen wird, dem blauen Orange River und den saftigen grünen Feldern und Plantagen an seinen Ufern. Besonders Speisetrauben wachsen hier und deswegen haben die meisten Deutschen den Geschmack des Northern Cape auch schon einmal auf der Zunge gehabt. Die Hauptabnehmer der Trauben aus Südafrikas größter Provinz sind nämlich die großen Supermarktketten in Deutschland. Der Weinanbau spielt im Vergleich dazu eine untergeordnete Rolle. Trotzdem gib es entlang des Orange River einige Weinbauern, so wie André Landman von der Die Mas Vinery. Der 35-jährige empfängt die Besucher in T-Shirt, Shorts und einer Basecap auf dem Kopf. „Aardvark“, Erdferkel, steht drauf. Er erzählt, dass er 17 unterschiedliche Rebsorten anbaut. Wegen des Klimas hätten die mehr „Geschmack und Charakter“ als die der europäischen Konkurrenz, erzählt er stolz. „Wenn die Reben nicht perfekt sind, bekommt man das auch im Weinkeller nicht mehr hin“, so Landman. Und dann gibt er sich doch versöhnlich und sagt: „Natürlich hat jeder seinen eigenen Geschmack und ich will deswegen nicht sagen, dass unsere Weine besser sind als die in Frankreich.“ Er spricht im schweren und langsamen Dialekt des Northern Cape. Das passt zu der Provinz. Schon Danie van Zyl hatte zu Begrüßung gesagt: „Wir im Northern Cape machen alles entspannt und langsam. Nur wenn es ans Weintrinken geht, haben wir es eilig.“ Und Landman verabschiedet mich mit den Worten: „Ich traue niemandem, der nicht trinkt.“ Dann lacht er und schiebt hinterher: „In Maßen natürlich, sodass die Frau keinen Grund hat, sich zu beschweren.“