Mit der Verlängerung von Aljoscha Kemlein sendet Union zwei Signale aus: Spieler aus dem eigenen Nachwuchs können sich bei den Profis festspielen. Und das Team soll verjüngt werden.
Als auf den Social-Media-Kanälen von Union Berlin ein Bild von einem Team-Pass und dazu das Sanduhr-Emoji gepostet wurde, rätselten die Fans der Eisernen, welchen Coup der Fußball-Bundesligist denn wohl in Kürze verkünden werde. Ein Internet-User vermutete gar „Yamal“ und meinte höchstwahrscheinlich Spaniens Ausnahmetalent Lamine Yamal vom FC Barcelona. „Yamal schauen“, lautete die kecke Antwort des 1. FC Union auf den Kommentar. Wenig später wurde die Vertragsverlängerung mit dem größten eigenen Talent verkündet: Aljoscha Kemlein bleibt eisern. „Unser Eigengewächs schlägt weiter Wurzeln“, schrieb Union auf der Plattform X und postete dazu Porträtfotos des Mittelfeldspielers aus neun Jahren im Union-Trikot. Er ist der erste Jugendspieler, der sich seit dem Aufstieg in die Bundesliga im Profiteam festgespielt hat.
„Der Verein ist Familie“
„Es freut mich, dass ich Menschen im Verein glücklich machen kann, die lange darauf gewartet haben, dass einer aus der Jugend hochkommt. Im Nachwuchs kenne ich immer noch jedes Gesicht. Der Verein ist Familie“, sagte Kemlein. Als Elfjähriger war er in das Nachwuchsleistungszentrum der Rot-Weißen gewechselt und hatte danach sämtliche Jugendmannschaften des Clubs durchlaufen. Sein Profidebüt gab er im August 2023 im Alter von 19 Jahren, wenig später lief er in der Champions League auch für ein paar Minuten gegen Real Madrid im legendären Bernabéu auf. Der Durchbruch im Männer-Fußball gelang ihm aber erst beim FC St. Pauli. Als Leihspieler sammelte er unter dem damaligen Pauli-Trainer Fabian Hürzeler viele wertvolle Erfahrungen, er war ein wichtiger Teil der Aufstiegsmannschaft. Auch Union profitierte von der Leihe, denn Kemlein kam als deutlich gereifter Spieler zurück. Bis zu seinem Ausfall wegen einer Fußverletzung war Kemlein einer der wenigen Gewinner der ansonsten lange Zeit enttäuschenden Saison 2024/25. Und er soll in Zukunft dem Union-Spiel noch stärker seinen Stempel aufdrücken.
„Wir sehen in ihm großes Potenzial. Er bringt jetzt schon viel Qualität mit, hat sein Spielverständnis und seine Art bereits auf höchstem Niveau bewiesen“, sagte Sport-Vorstand Horst Heldt: „Trotzdem sehen wir bei Aljoscha, dass er sich täglich weiterentwickelt und sind daher überzeugt, dass er für unser Team in den kommenden Jahren eine noch wichtigere Rolle spielen wird.“ Kemlein ist dafür bereit. „Ich bin hoch motiviert für die kommende Saison, will mich weiterentwickeln und meinen Beitrag auf dem Platz leisten“, sagte der 20-Jährige. Es ist für ihn auch eine Herzensangelegenheit, denn: „Union ist mein Verein, hier bin ich groß geworden und habe meine ersten Schritte im Profifußball gemacht.“ An der Seite von Routinier Rani Khedira war er in der Mittelfeld-Schaltzentrale für die kreativen Momente zuständig. Den teaminternen Vergleich mit gestandenen Profis wie Lucas Tousart, András Schäfer und Janik Haberer muss Kemlein nicht scheuen. Bei der Bewertung des Fachmagazins „Kicker“ war der Youngster gemessen am Notendurchschnitt sogar Unions bester Mittelfeldspieler. Aufgrund seiner Verletzung wurde er von U21-Nationaltrainer Antonio Di Salvo aber nicht für die EM im Sommer in der Slowakei nominiert.

So hat Kemlein mehr Zeit, wieder richtig fit zu werden – körperlich wie mental. Die Umstellung vom Aufstiegskampf mit Pauli auf den Abstiegskampf mit Union war eine Herausforderung, gab er zu. „Es ist schwieriger, im Kopf klar zu bleiben und das Selbstbewusstsein hochzuhalten“, sagte er. Dass ihm und den Teamkollegen dennoch der vorzeitige Klassenerhalt gelungen ist, habe auch am neuen Trainer Steffen Baumgart gelegen. Dieser habe mit seiner Art frischen Wind reingebracht, meinte Kemlein: „Baumgart ist einer, der den Verein lebt. Seine Emotionalität tut uns gut. Man merkt, dass er dem Verein etwas geben will.“ In dieser Hinsicht ticken Trainer und Spieler gleich. Auch Kemlein nehmen die Fans ab, dass er für Union sein Herz auf dem Platz lässt.
Auch deswegen ist das große Talent eine der Schlüsselfiguren für eine erfolgreiche Zukunft von Union. Er soll mittelfristig in die Anführer-Rolle von Khedira schlüpfen, dessen Vertrag ebenfalls nochmals verlängert wurde. Kemlein steht für die Verjüngung im Team, die Heldt als eine Hauptaufgabe für die kommenden Jahre auf seiner Agenda hat. „Wir haben schon vor, uns zu verändern“, sagte der Sportvorstand. Man brauche auch junge Spieler, „weil sie in bestimmten Situationen weniger nachdenken. Das ist deren Vorteil. Wir nehmen uns aber schon vor, insgesamt jünger zu werden.“ Die Vertragsverlängerungen der Routiniers Khedira (32) und Christopher Trimmel (38) seien diesbezüglich nicht kontraproduktiv, meinte Heldt: „Wir müssen einen guten Mix aus jungen und erfahrenen Spielern finden. Die Routiniers haben uns in kritischen Momenten extrem weitergeholfen, wie zum Beispiel Christopher Trimmel.“
Verjüngung ist eingeleitet
Eine weitere Lehre aus der abgelaufenen Saison deckt sich mit der aus der Vorsaison, in der Union ebenfalls lange im Abstiegskampf festgesteckt hatte: Es braucht mehr Konstanz. „Es war eine Saison mit Höhen und Tiefen“, sagte Heldt. Er sollte als Sportvorstand gemeinsam mit Coach Bo Svensson für neue Euphorie und neue Erfolge sorgen, doch schon nach wenigen Monaten sah er sich zum Trainerwechsel gezwungen. Eine riskante Entscheidung, die in der Szene auch für Kopfschütteln gesorgt hatte. Doch Svensson-Nachfolger Steffen Baumgart erfüllte nach Anfangsschwierigkeiten die Zielstellung und nahm damit auch Druck von Heldt. „Steffen hat eine erstklassige Rückrunde als Trainer abgeliefert. Es gab auch dort kritische Momente. Aber wir haben am 30. Spieltag den Klassenverbleib gesichert“, sagte der Ex-Nationalspieler: „Die Analyse, was wir gut und schlecht gemacht haben, folgt dann jetzt, damit wir in Zukunft die Fehler abstellen können.“
Heldt und Baumgart wissen, dass dazu eine noch effektivere Transferpolitik zählt. Die Sommer- und Winterwechsel waren zwar nicht alle schlecht. Doch Volltreffer wie vor ein paar Jahren mit Taiwo Awoniyi, Max Kruse oder Robert Andrich sind den Unionern schon lange nicht mehr gelungen. „Auf jeder Position schauen wir uns um, ich würde es aber nicht direkt als Baustellen betrachten. Es geht um eine Weiterentwicklung“, sagte Baumgart. Erstmals kann er bei der Kaderplanung mitwirken – und dabei will er sich auch ernsthaft einbringen. „Es gibt viele Ansätze, wir sind in Gesprächen und in den Ideen drin. Wir haben viele Sachen, wo wir uns umgucken“, sagte der Ex-Profi. Er weiß aber auch, dass Union finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet ist. Geduld ist gefragt. „Wir sind auch davon abhängig, wann und welche Spieler gehen werden“, bestätigte Baumgart: „Wir wissen aber insgesamt, wo wir hinwollen.“
Einige Leihspieler wie Livan Burcu oder Alex Král kehren zu Union zurück, haben im Team aber sportlich keine Zukunft. Leistungsträger wie Topscorer Benedict Hollerbach oder Innenverteidiger Diogo Leite könnten den Club bei einer entsprechenden Ablösesumme verlassen. Mit Leihgabe Andrej Ilić würde Union gern weiter planen, Union hat eine Kaufoption auf den Angreifer vom OSC Lille. „Wir haben viel Freude an ihm gefunden. Und daher beschäftigen wir uns auch mit einem möglichen Verbleib“, sagte Heldt: „Wir sind in der Rolle, das zu entscheiden. Aber wir haben auch noch ein bisschen Zeit.“