Passen Photovoltaik und ein 100 Jahre altes Ziegeldach zusammen? Bei dieser Frage geraten Denkmalschutz und Klimaschutz schon mal aneinander. Beide Seiten schützen, was ihnen am Herzen liegt. Und am Ende schließen sie sich gar nicht zwangsläufig aus.
Rote Ziegeldächer und bunte Häuserfassaden prägen die Altstadt von Regensburg. Über 1.000 Baudenkmäler, viele davon mehrere Jahrhunderte alt, erstrecken sich über das gesamte Altstadtgebiet. Inmitten der Fassaden ragen die beiden Kirchtürme der gotischen Basilika in die Höhe. Das Wahrzeichen Steinerne Brücke überquert die Donau, dahinter beginnt der Stadtteil Stadtamhof. Historie findet man hier auf den ersten Blick reichlich, nach einer Sache hält man dagegen auf den alten Dächern vergeblich Ausschau: Photovoltaik-Anlagen.
Regensburg gilt als die am besten erhaltene mittelalterliche Großstadt und Handelsmetropole des Heiligen Römischen Reichs. Seit 2006 gehört die Altstadt mit Stadtamhof zum Unesco-Welterbe, 2021 kam mit dem Donaulimes der zweite Teil dazu. Die Altstadtsatzung über örtliche Bauvorschriften wurde nach dem strengen Regelwerk der Unesco noch enger gezurrt. „Die Montage jeglicher Solarzellen war in der Altstadt-Schutzverordnung mit Androhung eines Bußgeldes in Höhe von 500.000 Euro verboten“, erinnert sich der Regensburger Architekt Manfred Blasch.
Immer mehr Städte und Landesdenkmalämter erarbeiten mittlerweile Richtlinien zum Umgang mit erneuerbaren Energien – insbesondere Photovoltaik (PV) – und denkmalgeschützten Gebäuden. Bayern und Niedersachsen reformierten sogar ihr komplettes Denkmalschutzgesetz.
„Nicht die Denkmalpflege hat diese Anpassung vorgenommen, sondern die Politik hat aktiv für diese Anpassung gesorgt“, erklärt Nicola Halder Hass, die Vorsitzende der „Arbeitsgruppe Denkmalpflege, Stadtentwicklung, Umwelt“ des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz (DNK). Es scheint, als seien Denkmäler und Photovoltaik-Anlagen nur schwer miteinander zu vereinen. Oder trügt der Schein?
Manfred Blaschs Wohnhaus ist zwar nicht denkmalgeschützt, allerdings befindet es sich inmitten des Regensburger Welterbes und unterliegt damit denselben Richtlinien. Trotzdem konnte der Architekt kürzlich eine PV-Anlage auf seinem Wohnhaus installieren. Denn die Stadt Regensburg hat Anfang 2023 entschieden, dass im Einzelfall abgewogen werden darf, ob eine PV-Anlage möglich ist. Auslöser war im vergangenen Jahr, wie in so vielen Fällen, die Energiekrise als Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. „Das hat mich sehr gewundert, weil man sonst mit der Altstadt sehr streng bewahrend umgegangen ist. Die Angst, den Welterbe-Status zu verlieren, schwang immer mit“, erinnert sich Blasch. Doch die Angst davor, nicht durch den Winter zu kommen, war größer.
Klimafragen teilweise vor Denkmalschutz
In der Stadt Regensburg gilt für die Installation von PV-Anlagen auf denkmalgeschützten Gebäuden die Einzelfallabwägung. Manfred Blasch konnte das Hauptkriterium erfüllen: „Regensburg lässt nun Photovoltaik im Welterbebereich zu, aber die Module dürfen vom öffentlichen Straßenraum aus nicht sichtbar sein. Das trifft auch auf Gebäude zu, die selbst nicht denkmalgeschützt sind, aber in einer Gruppe von Einzeldenkmälern stehen“, erklärt er.
Seine relativ kleine PV-Anlage mit 3,5 Kilowattpeak (kWp) konnte circa vier Wochen nach Antragstellung in die Tat umgesetzt werden. Allerdings forderten die Vorschriften, die Module mit einer einprozentigen Neigung zu installieren, bei Blaschs Flachdach also sehr viel geringer als der optimale Neigungswinkel eines PV-Moduls von 20 bis 30 Grad. „Bei sehr flach geneigten PV-Modulen muss man mit einem Abschlag bei der Effektivität der Stromausbeute rechnen. Auch die Verschmutzung der Module ist größer als bei einer stärker geneigten Fläche, bei der das Regenwasser die Module reinigt. Aber das nimmt man in Kauf unter der Rücksichtnahme auf das Welterbe und dessen herausgehobenen Denkmalstatus“, sagt Blasch.
Die aktuelle Bundesregierung hat Klimaschutz in ihren politischen Zielen zum übergeordneten Belang gemacht, was auch die Entscheidungen der Länder in Sachen Denkmalschutz beeinflusst. Der ist Länderangelegenheit, aber nicht jedes Land räumt ihm Verfassungsrang ein. In Hessen und Nordrhein-Westfalen sind Denkmalschutz und Klimaschutz gleichrangige Güter. In anderen Ländern werden Klimafragen priorisiert, weiß Prof. Dr. Markus Harzenetter, Vorsitzender der Vereinigung der Denkmalfachämter in den Ländern (VDL). „Die Bedürfnisse und die Nöte der Menschen mit Denkmaleigentum machen heute in der Waagschale ein anderes Gewicht aus als noch vor zehn Jahren, wo man klassische denkmalpflegerische Belange stärker in den Vordergrund gerückt hat, wie Erscheinungsbild und historische Materialien“, erklärt der Kunsthistoriker.
Entscheidungen im Einzelfall abwägen
Nicola Halder-Hass beurteilt die politischen Eingriffe in den Denkmalschutz kritisch. Laut ihr sollte gelten, dass alle Belange gleichrangig sind und gegeneinander abgewogen werden. Harzenetter erinnert sich, dass man in der Denkmalpflege lange Zeit aus gutem Grund keine Photovoltaik wollte. Doch das habe sich insbesondere infolge der Energiekrise relativiert. Denn die brachte massenhaft Anträge im Bereich Photovoltaik, vor denen sich auch der Denkmalschutz nicht drücken kann. „Im letzten Jahr gab es einen Diskurs. Es war eine Sondierungsphase, in der sämtliche Aspekte abgewogen wurden. Inzwischen hat die VDL und haben zahlreiche Landesdenkmalämter Leitfäden zum Umgang mit PV-Anlagen veröffentlicht“, bestätigt Nicola Halder-Hass. Alternative Lösungen erleichtern schwierige Einzelfallabwägungen, zum Beispiel Solarziegel, in denen die Solarzelle kaum sichtbar integriert ist.
Allerdings kann eine Dachhaut laut dem Kunsthistoriker Harzenetter bis zu 80, wenn nicht sogar 100 Jahre halten, während die dahinter verborgene Technik unter Umständen schon nach 20 bis 25 Jahren den Geist aufgibt. In so einem Fall müsse dann das ganze Dach neu gedeckt werden. Doch wie nachhaltig ist das?
„Innerhalb der Denkmalpflege gibt es zwei unterschiedliche Positionen, die je nach Einzelfall und gesetzlicher Lage in den einzelnen Bundesländern zum Tragen kommen. Für denkmalgeschützte Bereiche, die sehr stark auf das Erscheinungsbild orientiert sind, kann das aber eine gute Lösung sein“, findet Harzenetter.
Solche komplexen Abwägungen können Privatbesitzer und Hauseigentümerinnen von denkmalgeschützten Gebäuden schon mal zur Weißglut treiben. „Die wenden sich dann an die Politik oder suchen den Gerichtsweg, was in einem Rechtsstaat selbstverständlich auch völlig legitim ist“, sagt der Vorsitzende des VDL. Grundsätzlich bearbeite man jedoch 85 Prozent der Fälle im Konsens. Für Harzenetter gilt im Denkmalschutz das Schlagwort: Einzelfallgerechtigkeit. Bei der Stadt Regensburg gingen 14 Anträge ein, seit die Altstadtsatzung im Hinblick auf PV gelockert wurde. Davon wurden sechs genehmigt, einer abgelehnt, sieben stehen noch aus. Architekt Manfred Blasch hält das für einen guten Schnitt.
Nicola Halder-Hass findet solche Debatten zu einseitig, da es „nicht nur darum ginge, zu schauen, wie viel PV man auf ein Dach bekommt“. Viel mehr gehe es um ein gutes Mischkonzept. „Wir müssen nicht jedes Denkmal zum Kraftwerk transformieren, wenn wir das Quartier mitdenken und Quartierslösungen entwickeln. Die können den Druck der maximalen energetischen Ertüchtigung vom Einzeldenkmal nehmen, weil ein Teil der Strom- und Wärmegewinnung über das Quartier eingespeist wird. Da liegt der Hebel für die Zukunft“, sagt sie. Zumal der Anteil an denkmalgeschützten Gebäuden in Deutschland gerade einmal zwischen 3,5 und 4 Prozent der Bausubstanz ausmacht.
Deshalb war die Denkmalpflege der Stadt Regensburg anfangs skeptisch, ob eine neue Verordnung für zwei Prozent des Gebäudebestandes nötig ist. Man hätte auch erst die Möglichkeiten bei 98 Prozent der übrigen Bausubstanz in der Stadt in Betracht ziehen können. „Aber da hat sich der Stadtrat nicht irritieren lassen“, erzählt Manfred Blasch. „Es gab große Übereinstimmung, dass es so nicht weitergehen kann. Der Stadtrat hat beschlossen, dass vertretbare Möglichkeiten ausgeschöpft werden müssen. Auch wenn sie im Einzelfall überwiegend nur untergeordnet oder klein sind. Aber die Summe aller kleinen Möglichkeiten leistet auch einen Beitrag zur Energiewende.“
„Nicht jedes Denkmal muss Kraftwerk sein“
Seinen Beitrag zum Klimaschutz leiste der Denkmalschutz im Grunde schon immer. Da sind sich Nicola Halder-Hass und Markus Harzenetter einig. „Denkmalschutz ist aktiver Klimaschutz, weil die Ressource im Sinne der grauen Energie bereits produziert und verbaut ist. Damit ist der CO2-Ausstoß für die Produktion der Baustoffe und des Gebäudes schon längst geschehen“, erklärt die Vorsitzende der Arbeitsgruppe Denkmalpflege, Stadtentwicklung, Umwelt. Sie sieht Bauen im Bestand als eine der Zukunftsaufgaben und ist sich sicher, dass der CO2-Ausweis als „dritte Währung“ kommen wird. Dann wird laut ihr der CO2-Verbrauch über die Baumaßnahme entscheiden und „die graue Energie des Bestandes zur goldenen Energie“.
Auch Harzenetter betont: „Wir sind Teil der Lösung und nicht Teil des Problems. Wir sind die Einrichtung, die schon am längsten mit dem Thema unterwegs ist: reparieren statt abreißen und neu bauen.“
Und auch Photovoltaik ist nur eine Stellschraube von vielen, an denen beim Denkmal gedreht werden kann. „Wenn man entsprechende Fenster und eine gute Heizungsanlage einbaut, man Kellerdecke und Dach von innen dämmt, ist schon ein Großteil geschafft. Wärmepumpen, Geothermie oder PV-Anlagen können ergänzt werden“, führt Nicola Halder-Hass aus. Das sei dann mit den zuständigen Denkmalpflegenden abzustimmen. Natürlich dürfe man für ein Denkmal nicht die gleichen energetischen Standards fordern wie für einen Neubau. „Aber wenn ich ersteres abreiße und neu baue, vernichte ich bestehende graue Energie und brauche noch dazu derartig viel neue – ganz zu schweigen von dem Thema Abfall“, fügt Harzenetter hinzu.
Die Denkmalpflege hat sich laut Nicola Halder-Hass in Sachen Klimaschutz auf den Weg gemacht. Sie suche nicht nur nach guten Konzepten, sondern versuche auch, die Bürgerinnen und Bürger über Werkstätten mitzunehmen. Zudem werden Hürden im Prozess der Energiewende nicht nur von Denkmalfachämtern gestellt, sondern liegen auch noch in ganz anderen Bereichen.
Manfred Blasch musste lange nach einer Firma suchen, die sich die Mühe machte, eine Solaranlage mit den entsprechenden Anforderungen für sein Flachdach zu bauen. „Die meisten wollen sich nicht mit den individuellen Mehranforderungen abgeben, die meistens zu leisten sind, wenn es sich um spezielle Solarlösungen im Welterbe-Bereich handelt“, erzählt er. Ein Handwerker beklagte sich bei ihm, in der Zeit, wo er seine neun Module auf spezieller Unterkonstruktion installieren müsse, hätte er schon 50 Module auf Standard-Dachflächen verbaut. „In so einem Welterbebereich braucht man natürlich ein bisschen Liebe. Aber das bringen viele Firmen nicht auf. Da geht es bevorzugt um große Flächen und die schnelle Abwicklung von Aufträgen, weil alle derzeit so viel zu tun haben“, gibt der Architekt zu bedenken.
Das Beispiel aus der Praxis zeigt einmal mehr, dass es reichlich wenig nützt, gegenseitig mit dem Finger aufeinander zu zeigen. Denn wenn der Klimaschutz und die Energiewende gelingen sollen, müssen alle an einem Strang ziehen. Im Einzelfall kann die Summe aller Möglichkeiten den Unterschied machen.