Wie sich die Internationale Funkausstellung zum 100. Geburtstag neu erfinden will
Erinnern Sie sich an Sommerferien mit Thomas Gottschalk, der an bedeckten Tagen den Spaß im Freibad ersetzte? Der frech und live von der Internationalen Funkausstellung in die Wohnzimmer hinein plauderte, spielte und coole Musik anmoderierte? Das ist ein paar Jahrzehnte her, gehört aber zu den guten Vibes, die mit der IFA von einst verbunden sind.
Seit mehr als einem Vierteljahrhundert schreibe ich über die Internationale Funkausstellung, die jetzt 100 Jahre alt wird. Die IFA in Berlin war früher ein Publikumsmagnet wie ihr Computer-Pendant, die CeBIT in Hannover. Schon Wochen zuvor zeigten die Aussteller bei kompakten „Previews“ in München und Hamburg, „von Journalisten für Journalisten“, welche technischen Neuheiten für einen gelungenen Feierabend ab dem Frühherbst beziehungsweise Frühling anstanden.
Zwölf Jahre ist es her, da berichtete ich unter dem Titel: „Volle Dröhnung“. Seither sind die Hightech-Feuerwerke komplexer geworden. „Einfach“ und „intuitiv“ beherrscht das Vordergründige, auch wenn Tüftler-Technik mit immer mehr IT-Anteilen dahintersteckt. Längst hat der „Funk“ seinen Ausstellungshorizont nicht nur um „Fernsehen“ und „Farbe“, sondern auch um Technik zu „Feinwäsche“, „Feinkost“ und „frisch gemahlenem Kaffee“ erweitert. Wer als Hersteller keine Neuheiten exakt zur IFA zu verkünden hatte und auf den Markt brachte, wusste nicht, wie technikaffine Kunden in Europa ticken. Party- und Ausprobier-Stimmung herrschten, wenn die IFA anstand. Nicht nur in Berlin. Das hat sich geändert.
Die Neuheiten überrollen uns in einem Tempo, dass wir uns mehr Beständigkeit und Haltbarkeit wünschen. KI ist bei Elektronik für Heim und Unterhaltung kaum ein Kaufanreiz. Der Branchenorganisation gfu Consumer & Home Electronics GmbH zufolge, entwickelte sich der Markt für Consumer-Electronics-Produkte und Elektrohausgeräte im vergangenen Jahr rückläufig – in einigen Segmenten sogar stark: Ein Minus im Umsatz um 4,4 Prozent auf knapp 47,3 Milliarden Euro beklagen die Hersteller nach den Pandemiejahren, die im Lockdown den Absatz hochbugsierten.
Wenn sich die Zeiten ändern und die Stimmung aufgehellt werden soll, muss ein neues Kleid her. Die alte IFA kokettiert mit neuem „Branding“ und „Logo“ und verabschiedet sich vom „Funk“ im Namen. Den Home Electronics widmet sie ihre neuen Farben. Vergangenheit und Zukunft sollen in uns erstrahlen, wenn uns TV-Testbildfarben in getrennten Dosierungen begegnen.
Sie erinnern sich? Bis Mitte der 1990er-Jahre stachen sich grelle Testbild-Farben nach Sendeschluss in die Träume der Zuseher. Künftig sollen sie das Image der Buntwäsche-Technik und anderer (Wasch-)Küchen-Neuheiten sanft pflegen. IFA steht in unauffälligen Allerweltslettern ab sofort für „Innovation für Alle“: Werden künftig auch klimafreundliche Fasern in schicker Mode gezeigt? Die ultimative Creme gegen Altersfalten? Neue Verpackungssysteme?
Worum kreist die IFA 100plus, wenn es nichts Neues mehr ist, dass uns der Kühlschrank den Einkaufszettel aufs Smartphone schickt oder die Lebensmittel direkt liefern lässt? Wenn vorgefertigtes Fernsehen von selbst inszenierten Videos verdrängt wird? Wenn wir als Avatare im Metaversum unterwegs sind? Wenn uns künstliche Intelligenzen am Frühstückstisch gegenübersitzen, sich nach unserem Befinden erkundigen und mit uns über Erinnerungen plaudern. Wenn Kaufen und Konsum im Klimawandel kritisch werden. Wenn Reparierbarkeit und Kreislaufwirtschaft kurios schnell verendende Geräte sowie knapp werdende Rohstoffe ersetzen sollen.
Die neue IFA will nunmehr – ihrer Losung nach – alles unter einen Hut bringen. Auch die lustig knallfarbenen Perücken ihrer Models? Wir werden sehen. Zu hoffen bleibt, dass die IFA nicht nichtig wird, sondern technische Neuheiten, die für jedermann im Alltag nachhaltig nutzbar sind, präsentiert. Ob wir uns an: „Innovation für Alle“ gewöhnen werden? Wohl kaum. Vielleicht sollte man eine Hundertjährige zu ihrem Ehrentag besser nicht umbenennen – damit der Funke ihrer Faszination noch viele Jahre auf uns überspringen kann.