In der Wissenschaft herrscht Einigkeit darüber, dass Mikrobiom-Analysen derzeit keinerlei Sinn machen. Dennoch boomt der Markt für teure Test-Sets, die häufig in Verbindung mit Nahrungsergänzungsmitteln zur vermeintlichen Optimierung der Darmbakterien-Zusammensetzung angeboten werden.
Im Zuge eines gesteigerten Gesundheitsbewusstseins versuchen immer mehr Menschen, das eigene Wohlbefinden und die persönliche Fitness zu optimieren. Wobei sie sich nicht nur auf professionelle Hilfe verlassen möchten, sondern ihre Gesundheit gewissermaßen selbst in die Hand nehmen wollen. Neuerdings gibt es auch die Mikrobiom-Analyse als Selbsttest für Zuhause. Weltweit wird diese von 31 kommerziellen Anbietern zum Kauf angeboten – verbunden mit dem Versprechen der Hersteller, Auskunft über die Zusammensetzung der individuellen Darmflora erhalten und etwaige „abnormale“ Mikrobiome erkennen zu können. Auf Basis einer im Labor der Hersteller erfolgten Untersuchung der eingereichten Stuhlprobe im Rahmen einer sogenannten Mikrobiom-Analyse werben die Hersteller damit, unklaren Darmbeschwerden auf die Spur kommen und hilfreiche Therapieempfehlungen vermitteln zu können. Dazu zählen sie Verdauungsprobleme wie etwa Reizdarm (samt den dafür typischen Symptomen wie Bauchschmerzen, Blähungen, Verstopfung oder Durchfall), Allergien oder eine erhöhte Infektanfälligkeit.
Fast die Hälfe der internationalen Test-Anbieter offeriert dabei praktischerweise und geschäftstüchtig zugleich auch Nahrungsergänzungsmittel, deren Erwerb sie ihren Kunden zur Verbesserung ihrer Darmflora empfehlen. Das Prozedere ist denkbar einfach: Man kauft für stolzes Geld aus der eigenen Tasche, da es keine Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen gibt. Die diesbezüglichen monetären Angaben schwanken zwischen 150 Euro für eine einfache Analyse und bis zu 300 Euro für ein detailliertes Ergebnis mit Aufführung der ermittelten einzelnen Bakterienarten und deren Verteilung im Darm.
DGVS rät dringend von den Tests ab
Mit dem Testset nimmt man zu Hause eine Stuhlprobe, schickt diese zur Analyse an den jeweiligen Anbieter und bekommt von diesem eine Auswertung – inklusive Ernährungs- und Handlungsempfehlungen zur (vermeintlichen) Optimierung des eigenen Darm-Mikrobioms. „Ungefähr 45 Prozent der von uns identifizierten Unternehmen verkaufen Nahrungsergänzungsmittel, die sie Verbrauchern aufgrund ihrer Testergebnisse empfehlen“, sagt Prof. Diane Hoffmann von der University of Maryland School of Law in einer Studie, die im Fachmagazin „Science“ im Februar 2024 erschienen ist.
Da schätzungsweise rund zehn Millionen Deutsche vom Reizdarm-Symptom betroffen sind, ist es kaum verwunderlich, dass sich immer mehr Leidgeprüfte von der Mikrobiom-Analyse eine Linderung ihrer Beschwerden erhoffen. Dabei hatte der maßgebliche Fachärzteverband, die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), schon 2018 ein klares Urteil über die Mikrobiom-Analysen gefällt: „Teuer und sinnlos.“
Daher riet die DGVS dringend davon ab, „Stuhltests zur Untersuchung des Mikrobioms zu nutzen“, weil solchen Analysen jegliche wissenschaftliche Aussagekraft fehle. „Eine Analyse des gesamten Spektrums der Mikroorganismen im Darm ist weitgehend sinnlos, da die Zusammensetzung des Mikrobioms und eventuelle Krankheitssymptome nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben“, so erklärt die DGVS. Und weiter: „Die Mikrobiom-Forschung steht noch relativ am Anfang: Welche Korrelationen bestehen und wie sie sich im Einzelfall auswirken, ist derzeit noch nicht ausreichend bekannt. Darüber hinaus liefert die Analytik auch noch keine konsistenten Ergebnisse, die zwischen verschiedenen Laboren vergleichbar wären.“ Zudem könne die bakterielle Zusammensetzung der Darmflora individuell höchst unterschiedlich ausfallen und sei zudem ständig kurzzeitigen Schwankungen unterworfen, beispielsweise durch Einnahme von Medikamenten, durch bestimmte Nahrungsmittel oder auch durch eine Reisetätigkeit: „Aus bakteriellen Verschiebungen, die sich in solchen Stuhltests möglicherweise zeigen, lässt sich deshalb noch lange kein krankhafter Zustand oder ein Zusammenhang mit einer chronischen Erkrankung herleiten.“ Aus Ergebnissen von Darmflora-Stuhltests daher Ernährungsempfehlungen herleiten zu wollen, könne letztlich nur die Lebensqualität der Betroffenen nachteilig beeinflussen und im schlimmsten Fall sogar zu einer Mangelernährung führen.
In einem im Frühjahr 2024 veröffentlichten Artikel der „Stiftung Warentest“ zu Mikrobiom-Selbsttests erklärte die Chefärztin der Abteilung für Innere Medizin und Gastroenterologie der GFO Kliniken Bonn, Dr. Birgit Terjung, dass sich an dieser Einschätzung der DGVS bislang nichts geändert habe. „Diese Tests sind in keiner Weise standardisiert und validiert“, sagt Dr. Terjung. Es gebe in wissenschaftlichen Fachkreisen auch noch keinerlei Einigkeit darüber, was ein gesundes Darm-Mikrobiom ausmache. Dieses sei vielmehr sehr individuell, ähnlich einem Fingerabdruck. „Daher ist es sehr problematisch, weiterführende Empfehlungen zur Ernährungsumstellung oder zu Einnahme von Prä- und Probiotika oder Nahrungsergänzungsmitteln auf diesen Stuhlproben aufzubauen“, erklärt Dr. Terjung. Auch die oben schon genannte US-Studie riet mit vergleichbarer Argumentation dringend von Mikrobiom-Analysen ab und forderte zudem eine dringende gesetzliche Regulierung der Mikrobiom-Test-Industrie: „Die Behauptungen der Unternehmen, sie seien in der Lage, ‚abnormale‘ Mikrobiome zu erkennen, werden nicht durch die Forschung untermauert. Den Testverfahren fehlt es an analytischer Validität. Infolgedessen können Verbraucher durch die unangemessene Verwendung von Testergebnissen, die weder sie noch die Ärzte verstehen, finanziell ausgebeutet oder geschädigt werden.“
„Eine große Geldmach-Maschine“
Noch drastischer fiel das Urteil von Dr. Viola Andresen, Oberärztin an der Medizinischen Klinik des Israelitischen Krankenhauses Hamburg, in einem im Frühjahr 2024 veröffentlichten Artikel der „Apotheken-Umschau“ zum Thema Mikrobiom-Analyse aus: „Das ist alles eine große Geldmach-Maschine.“ Wobei die Medizinerin stellvertretend für ihre Kollegen vor allem die von den Herstellern bei deren Analyse übliche Unterscheidung von vermeintlich guten und schlechten Darmbakterien (zu Letzteren wird meist die Bakteriengruppe der Firmicutes gezählt) heftig kritisiert hatte, weil letztlich nur eine ausgewogene Vielfalt der Bakterienarten für einen gesunden Darm wesentlich ist. „Eigentlich gibt es hier keine Normwerte. Diese Auswertung ‚zu wenig von Bakterium XY‘ hat absolut keinen wissenschaftlichen Hintergrund“, sagt Dr. Andresen. Weil jedes Mikrobiom so individuell und unterschiedlich sei wie die Menschen selbst: „Verschiedene Bakterien können unterschiedliche Aufgaben bei zwei Menschen übernehmen. Das heißt, das Mikrobiom ist bei diesen beiden Menschen nicht gleich, beide sind aber gesund, einfach weil die Aufgaben der Bakterien verschieden verteilt sind. Die Bakterien tauschen sogar ihre Fähigkeiten aus.“
Auch Prof. Emma Slack, Spezialistin für Schleimhautimmunologie am Departement für Gesundheitswissenschaften der ETH Zürich, hält nichts von Mikrobiom-Analysen, wie sie in einem im Frühjahr 2024 im Schweizer Magazin „Beobachter“ publizierten Beitrag klar ausgedrückt hat: „Wir vermuten, dass das Mikrobiom eine Rolle spielt bei einem Teil der Reizdarmerkrankungen. Aber wir wissen heute nicht, was ein gesundes und was ein krankes Mikrobiom ist. Deshalb ergeben Tests derzeit keinen medizinischen Nutzen.“ Was sich künftig allerdings ändern könnte, wie Dr. Andresen in der „Apotheken-Umschau“ in Aussicht stellte: „Wir stehen am Anfang dieser komplizierten Mikrobiom-Forschung. In zehn Jahren wissen wir vielleicht schon mehr und können auch sinnvolle Ergebnisse aus Stuhlproben gewinnen und Konsequenzen ziehen– aber jetzt noch nicht. Es ist schade: Die molekularbiologische Technik kann diese Unmengen an Daten finden und wir können sie auch verarbeiten, aber nicht interpretieren.“