Der 29. Januar 1994 war ein rabenschwarzer Tag im alpinen Weltcup-Zirkus. Vor 30 Jahren kam die zweimalige österreichische Ski-Weltmeisterin Ulrike Maier bei einem tragischen Unfall auf der gefürchteten Kandahar-Abfahrtsstrecke in Garmisch-Partenkirchen ums Leben.
In der Nacht zum 29. Januar 1994 hatte Frau Holle ihre Betten über Garmisch-Partenkirchen kräftig ausgeschüttelt. Auch die anspruchsvolle und im Athletenkreis gefürchtete Kandahar-Abfahrtsstrecke war reichlich mit Neuschnee bedeckt. Da die frühzeitig präparierte Piste einen eisigen Untergrund hatte, konnte die für Abfahrtsläufer störende Neuschnee-Pracht mit enormem Aufwand vor dem Start des Damen-Weltcup-Rennens geräumt werden. Das Rennen war die vorletzte Damenabfahrt vor den Olympischen Winterspielen im norwegischen Lillehammer und wurde deswegen von den Medaillen-Favoritinnen als Generalprobe angegangen.

Die 26-jährige Österreicherin Ulrike Maier, die einzige Mutter im gesamten Teilnehmerfeld und Super-G-Doppel-Weltmeisterin der Jahre 1989 und 1991, konnte ihren sportlichen Auftritt mit der Start-Nummer 32 bei schwierigen Sichtverhältnissen und bewölktem Himmel eigentlich ganz locker angehen. Die Abfahrt war nicht gerade ihre Paradedisziplin, obwohl sie noch gut eine Woche zuvor beim Riesenslalom im slowenischen Maribor triumphiert hatte. Als sie um 13:58 Uhr das Rennen aufnahm, konnte ihre Devise daher eigentlich nur lauten: möglichst ohne große Risiken und verletzungsfrei das Ziel erreichen.
Trotz einiger kleinerer Fehler, die ihr einen Rückstand auf die Besten eingebrachten, lief alles gut. Bis zur sogenannten FIS-Schneise und der anschließenden Traverse, einem lang gezogenen Streckenabschnitt oberhalb des Zielhangs. Eigentlich konnte jetzt nichts mehr passieren, da die Traverse in internationalen Expertenkreisen als leichteste Passage des unteren Streckenteils angesehen wurde. Allerdings handelte es sich dabei auch um die schmalste Stelle der gesamten Kandahar-Abfahrt, wie das ARD-Magazin „Panorama“ wenige Tage später erklärte. Und laut des Magazins hatte es auch zuvor schon an genau dieser Stelle diverse Stürze gegeben – die glimpflich verlaufen waren.
Zeitmess-Anlage wurde zur Todesfalle
Allerdings gab es einen wesentlichen Unterschied: Bei den glimpflich verlaufenen Stürzen früherer Rennen war noch keine Zeitmessanlage ausgerechnet an diesem Streckenabschnitt positioniert. Genau diese Positionierung hatte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ seinerzeit als so ziemlich einziges deutschsprachiges Medium deutlich angeprangert: „Was aber in Garmisch weiter geschah, das war, als hätte man an eine Formel-1-Strecke ein unsinniges Betonhindernis gebaut, dekoriert mit ein paar Autoreifen.“ Da das Rennen damals live im TV übertragen wurde, konnte jeder Zuschauer den starren Aufbau am Rande der Piste sehen, wobei es sich laut „Spiegel“ um „einen 80 Zentimeter hoch aufgetürmten, beinhart festgetretenen Schneekeil“ gehandelt hatte, der den angesägten Pfosten für die Zeitmessanlage sichern sollte und „auf dem ein riesiger Strohsack lag zum Schutz der Läufer“.
In Sichtweite der Zeitmessanlage unterlief Ulrike Maier bei einer Geschwindigkeit von knapp 105 Kilometern pro Stunde ein Fahrfehler, bei dem sich der rechte Ski verkantete. Beim Versuch, ihn wieder beizuziehen, kantete der linke Ski auf, was im Fachjargon auch „verschneiden“ genannt wird und brach unkontrolliert nach rechts aus. Dadurch kam es zu einer Drehbewegung, die den Körper der Athletin entgegen aller bis dahin bekannten Szenarien hangaufwärts katapultierte. Fatalerweise prallte sie mit dem Gesäß auf dem Schneekeil auf, was zu einer abrupten Bremsung der Körperrotation führte. Allein der Kopf schleuderte noch mit gewaltiger Kraft und einer auf ihn einwirkenden Masse von rund 400 Kilogramm in der Drehbewegung weiter.

„Durch massive Gewalteinwirkung kam es an der Verbindungsstelle zwischen Kopf und Wirbelsäule zum Abriss
des Rückenmarks vom Stammhirn, was zu zentraler Lähmung und sofortigem Hirntod führte“, heißt es in einem späteren Gutachten. Nach dem Aufprall wurde Ulrike Maier wieder auf die Piste zurückgeschleudert und kreiselte talwärts. Bereits Sekunden später leiteten herbeigeeilte Hilfskräfte Reanimationsmaßnahmen ein. Anschließend wurde Ulrike Maier, die eigentlich ihre erfolgreiche Karriere am Ende der Saison 1993/1994 beenden wollte, mit einem Rettungshubschrauber in eine Klinik nach Murnau transportiert. Dort wurde gegen 16:30 Uhr offiziell der Tod der Skifahrerin festgestellt.
Nach einer langen Unterbrechung wurde das Rennen trotz des Unfallsfortgesetzt und endete mit dem Sensationssieg der mit Startnummer 35 auf die Piste gegangenen Italienerin Isolde Kostner. Dafür musste allerdings die Unfallstelle schnellstmöglich aufgeräumt werden, was die später eingeleiteten Ermittlungen bezüglich des Verdachts einer fahrlässigen Tötung aufgrund unzureichender Sicherheitsvorkehrungen beeinträchtigte.
Die juristischen Beistände von Ulrike Maiers Verlobtem Hubert Schweighofer, der die Tragödie am Bildschirm zusammen mit der damals vierjährigen gemeinsamen Tochter Melanie angesehen hatte, konnten nach Einstellung eines ersten Verfahrens im Oktober 1994 in einem zweiten Prozess vor dem Landgericht München II Ende April 1996 immerhin einen Vergleich aushandeln. Dessen wesentlicher Punkt war die Zahlung von 600.000 Schweizer Franken durch den Ski-Weltverband FIS in einen Fonds zugunsten von Ulrike Maiers Tochter Melanie.
Diskussionen über Ski statt Streckensicherheit
Wegen des Vergleichs konnte letztlich allerdings nicht der Hauptvorwurf an die FIS und deren für die Strecken-Sicherheit Hauptverantwortlichen geklärt werden: ob es zulässig war, ausgerechnet an der schmalsten Stelle des Kurses eine lebensgefährlich abgesicherte, technisch nicht einmal notwendige Zeit- und Tempomessanlage direkt am Pistenrand zu postieren.
Diese zentrale Frage geriet in nahezu allen Publikationen zu dem tödlichen Unfall völlig in den Hintergrund. Selbst Jahre später drehte sich anlässlich diverser Gedenktage alles immer nur um die 1994 noch ziemlich neuen Carving-Ski, die als ursächlich für die Tragödie dargestellt wurden.

Ulrike Maier, die in Österreich ungemein große Popularität genossen hatte, weil sie ihren ersten WM-Titel als im dritten Monat schwangere Athletin errungen hatte, wurde häufig als „erstes Opfer der Carving-Ski“ bezeichnet. Diese neuen, in der Saison 1992/1993 erstmals getesteten Ski, waren im Bereich der Bindung tailliert und mit stetig höheren Bindungsplatten ausstaffiert. Sie erlaubten eine engere Linienführung in den Kurven, die dadurch wie auf Schienen befahren werden konnten. Dass genau diese Wunder-Ski bei einem etwaigen Verkanten während der Geradeausfahrt geradezu verheerende Folgen haben konnten, war bis zum 29. Januar 1994 noch völlig unbekannt.
Allerdings wäre der Sturz von Ulrike Maier ohne das starre Hindernis wohl kaum tödlich verlaufen.
Natürlich war der Schock über den Unfalltod Ulrike Maiers, dem laut dem ARD-Magazin „Panorama“ insgesamt 19. Opfer des alpinen Skizirkus, groß. Ihr Begräbnis in ihrer Heimatgemeinde Rauris wurde zu einem TV-Medienspektakel mit mehr als 5.000 Besuchern. Der Schock war ähnlich groß wie bei der Tragödie um den jungen Österreicher Gernot Reinstadler, der am 18. Januar 1991 auf der legendären Lauberhorn-Abfahrt im schweizerischen Wengen tödlich verunglückt war. Reinstadler hatte sich nach einem Sturz mit einer seiner Skispitzen in einem auf den neuesten Stand gebrachten Sicherheitsnetz verfangen, wodurch es zu einer Beckenspaltung und zu Verletzungen der Blutgefäße im Unterleib gekommen war.
Obwohl sämtlichen Beteiligten natürlich klar war, dass bei allen Speed-Disziplinen des alpinen Weltcups immer ein tödliches Risiko mit im Spiel ist, lösten Unfälle wie die von Maier oder Reinstadler Sicherheitsdebatten aus, die so alt sind wie der alpine Skirennsport selbst.
Abfahrtssport wird immer gefährlicher
Nach Maiers Todesfahrt wurden zunächst die Carving-Ski reglementiert und in den folgenden Jahren die

Sicherheitsvorkehrungen mit effektiveren Fangnetzen, blauen Spurlinien im Schnee, besseren Helmen oder der Einführung von Rückenairbags aktualisiert. Mit dem Ergebnis, dass es seit dem 19. Januar 1994 bei Weltcup-Rennen trotz immer spektakulärerer und mit teils gewaltigen Sprüngen aufgepeppter Strecken keinen tödlichen Unfall mehr gegeben hat. Bei Trainingsfahrten, unterklassigen Events oder auch bei Veranstaltungen im Nachwuchsbereich gab es allerdings weiterhin Todesfälle, weil dort aus Kostengründen die Sicherheit oft zu kurz kommt.
Seit der Saison 1994/1995 müssen Skirennläufer eine Athletenerklärung unterschreiben, mit der sie bestätigen, Rennen auf eigenes Risiko zu fahren. Stürze mit schweren Verletzungen, wobei meist das Kreuzband betroffen ist, gehören im alpinen Ski-Weltcup inzwischen längst zum Tagesgeschäft. Sie sorgen aber dennoch immer wieder für große Diskussionen, wie ganz aktuell auch beim Weltcup-Speed-Wochenende in Wengen. „Die Abfahrt wird immer eine Risikosportart bleiben“, sagt Deutschlands einstiger Top-Fahrer Thomas Dreßen. „Dein Körper ist deine Karosserie, ohne Puffer drumherum.“ Ähnlich äußerte sich DSV-Alpindirektor Wolfgang Maier: „Dieser Sport bringt Belastungen mit sich, die über dem liegen, was der menschliche Körper aushalten kann, wenn dort ein Fahrfehler passiert.“