In „Transamazonia“ sucht eine junge Frau nach ihrer Identität – und trifft dabei auf Geschichten von Stärke, Schmerz und Selbstbestimmung. Mit stiller Kraft und beeindruckenden Bildern. Ein Film, der nicht laut sein muss, um lange nachzuhallen.

Wie das Leben eines Menschen verlaufen wird, lässt sich kaum erfolgreich vorhersagen. Manchmal sind es einzelne Ereignisse, die alles verändern. Und was zunächst nebensächlich erscheint, kann zu dem Ereignis werden, das einen Menschen prägt.
Ein junges Mädchen liegt auf einem Flugzeugsitz, der – herausgerissen aus seiner ursprünglichen Umgebung – im Urwald liegt. Mitten in einem Meer von Trümmern. Über den Arm des Mädchens krabbelt eine Ameise, während es langsam die Augen öffnet. Mit diesen Bildern beginnt der Film „Transamazonia“. Ganz offensichtlich ist das Mädchen – es heißt Rebecca – die einzige Überlebende eines Flugzeugabsturzes.
Wer sich ein wenig in der Luftfahrtgeschichte auskennt, weiß, dass es solch einen Fall tatsächlich gegeben hat. Am 24. Dezember 1971 überlebte die 17-jährige Juliane Koepcke, Tochter deutscher Einwanderer, als einzige den Absturz eines Flugzeugs der peruanischen Fluggesellschaft Lansa, bei dem 91 Menschen starben. Glückliche Umstände bremsten ihren Fall aus rund 3.000 Metern Höhe, leicht verletzt erreichte sie nach zehn Tagen im Urwald andere Menschen.

In „Transamazonia“ wird die deutlich jüngere Rebecca von einem Angehörigen eines indigenen Volks gerettet, der sie zu einer Straßenbaustelle mitten im Urwald bringt. Die Arbeiter transportieren sie in das nächstgelegene Krankenhaus, dort wird sie versorgt, und der Missionar Lawrence Byrne (Jeremy Xido), der offensichtlich ihr Vater ist, holt sie ab.
Für Rebecca wird das eigentlich unmöglich scheinende Überleben des Unglücks zum prägenden Ereignis. Noch Jahre später wirkt sie bleich, zart und zerbrechlich – auf irgendeine Art scheint sie nicht so ganz von dieser Welt zu sein, hat eine besondere Beziehung zu Dingen, die jenseits des normal Vorstellbaren liegen. Auch als junge Frau lebt sie – in diesem Alter gespielt von Helena Zengel – immer noch im Urwald: in der Missionsstation von Lawrence. Aufgrund ihrer Geschichte verehrt die Bevölkerung sie als Wunderheilerin. Was Lawrence gekonnt ausnutzt, sieht er doch darin seine Chance, die Menschen zu missionieren.
Vater-Tochter-Beziehung ist auch großes Thema
Die Heilungen durch Rebecca wirken inszeniert, wie Shows, um Menschen zu ködern. Unwillkürlich bekommt man Zweifel, ob die junge Frau wirklich in der Lage sein kann, Kranke zu heilen. Und dennoch, trotz des zunächst völlig übertrieben wirkenden Versprechens und der Show bleibt da etwas, das unerklärlich scheint.

„Transamazonia“ ist ein Leckerbissen fernab des Mainstream-Kinos. Es ist ein Film, der den Akteuren die nötige Zeit lässt, um ihre Charaktere zu entwickeln. Es ist ein einfühlsamer Film, der eine Reihe von Themen geschickt miteinander verbindet. Da ist zunächst einmal das große, übergeordnete Thema, der Umgang des Menschen mit der Natur. Die Zivilisation, die immer weiter in den Naturraum, in den Urwald, eindringt und so die Lebensgrundlage der dort lebenden indigenen Stämme bedroht. Der Film zeigt, wie sehr Profitgier zu einer Missachtung der fundamentalen Rechte von Menschen und einem rücksichtslosen Umgang mit den natürlichen Ressourcen führt. Das zweite große Thema des Films ist die Beziehung zwischen Rebecca und Lawrence, dem Missionar und seiner Tochter. Es ist die persönliche Ebene, die den Schauspielern sehr viel Können abverlangt. Insbesondere zeigt hier Helena Zengel – die im Jahr 2019 im Alter von zehn Jahren mit der Hauptrolle in dem Film „Systemsprenger“ ihren Durchbruch hatte – eine wunderbare Leistung.
Den spirituellen Momenten stehen im Film ganz handfeste Ereignisse gegenüber. Holzfäller dringen immer tiefer in den Urwald ein, in eigentlich geschütztes Gebiet der indigenen Bevölkerung. Um dies zu verhindern, haben die Ureinwohner eine Brücke besetzt. Dort stehen sie direkt den Mitarbeitern der Holzkonzerne gegenüber. Und in der Luft liegt Gewalt – Gewalt, die sich jederzeit entzünden und dann unkontrollierbar werden kann.
Die wunderschönen Bilder aus dem Urwald stehen in Gegensatz zu der vom Menschen ausgeplünderten, verwüsteten Umgebung. Dort, wo die Bäume gefällt sind, sehen wir die rohe Erde, aufgerissen und durchzogen von Baumstümpfen, und in der Mitte eine Straße. Kein gutes Gefühl mit dem Wissen, dass diese Zerstörung immer weiter geht.