Wie sieht die Arbeit einer Trauerbegleiterin aus? Was rät man trauernden Eltern? Und trauern Jugendliche anders als Erwachsene? Diese Fragen und viele mehr hat uns Tina Geldmacher aus Köln beantwortet.

Frau Geldmacher, wie genau wird man Trauerbegleiterin beziehungsweise wie war es bei Ihnen?
Es gibt ein großes Angebot an qualitativ hochwertigen Weiterbildungen, an deren Ende ein Zertifikat steht. Leider ist der Beruf/Begriff allerdings nicht geschützt. Daher kann sich jede Person „Trauerbegleiter/Trauerbegleiterin“ nennen. Grundsätzlich bin ich Sonderpädagogin und habe eine Weiterbildung zur Trauerbegleiterin gemacht, die sich nach den Standards des Bundesverbands für Trauerbegleitung (BVT) richtet. Das sind Fortbildungen mit Standards, die aus jahrelanger Erfahrung vieler Kolleginnen und Kollegen resultieren. Da ich dann hauptberuflich in die Beratung mit Trauernden eingestiegen bin, habe ich noch eine Fortbildung zur Systemischen Beraterin gemacht.
Worin genau besteht Ihre Arbeit?
Ich habe von Anfang an neben der Begleitung von trauernden Menschen auch Schulungen zum Thema gegeben. Da ich als Lehrerin immer Spaß an der Lehre hatte, bin ich da nie ausgestiegen. Und das ist jetzt meine Arbeit: Ich bin als Systemische Beraterin und Trauerbegleiterin selbstständig tätig und begleite trauernde Menschen jedes Alters im Einzelsetting und in der Gruppe. Mit einer Kollegin zusammen gebe ich Trauerwochenenden für die Deutsche Kinderkrebsstiftung und zum Teil auch im Waldpiraten-Camp. Die Wochenenden richten sich im Moment an junge Erwachsene, deren Bruder, Schwester oder Freund/Freundin verstorben ist. Und an trauernde Großeltern. Ein sehr wichtiges Thema, da es für diese Menschen nicht viele Angebote gibt. Dann bin ich viel als Referentin unterwegs. Ich gebe Workshops und Schulungen in ganz unterschiedlichen Einrichtungen, wie Kitas, Schulen, dem Veid (Bundesverband Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland; Anm. d. Red.) oder anderen Vereinen. Für die Deutsche Kinderkrebsstiftung biete ich die große Basisqualifizierung Trauerbegleitung an, ich „bilde“ hier also Trauerbegleitende aus. Da ich mit einer Kollegin zusammen ein Buch geschrieben habe, bin ich dafür im Moment auch noch hier und mit Lesungen und der dazugehörigen Wanderausstellung unterwegs. Wir stellen fest – mein Job ist sehr vielseitig!
Mit welchen Problemen und Themen haben verwaiste Eltern, die zu Ihnen kommen, vor allem zu kämpfen?
Für Eltern, deren Kind verstorben ist, bricht die Welt zusammen. Für sie ist ihr Kind gestorben und damit auch eine gemeinsame Zukunft, ein Lebensplan, kurz: Es stirbt auch das „Wie stelle ich mir mein Leben vor?“. Sie sind oft in ihren Grundfesten erschüttert. Alles, woran sie geglaubt haben, wird infrage gestellt. Das Unfassbare ist passiert: Das Kind ist vor den Eltern gestorben. Das ist die falsche Reihenfolge und sehr schwer zu akzeptieren. Gleichzeitig ist die Akzeptanz dieser schrecklichen Wirklichkeit sehr wichtig für einen heilsamen Prozess. Das heißt, dies ist oft ein Thema, das Eltern sehr intensiv und lange beschäftigt. Sie fühlen sich wie in einem anderen Leben, mit anderer Zeitrechnung. Tatsächlich fühlt es sich für viele an wie ein Leben davor und danach. Sie leben in einer neuen Realität, die sie nicht nur annehmen, sondern sich auch darin zurechtfinden und sich ihr anpassen müssen. Sie sind in den Augen der Öffentlichkeit nun Eltern von einem statt von zwei Kindern oder gar kinderlos. Sie müssen kein Kind mehr in die Kita bringen, keine Windeln mehr im Supermarkt kaufen. Selbst der verhasste und nervige Elternabend fehlt plötzlich. Sie müssen sich damit auseinandersetzen, wie eine Antwort auf die Frage „Wie viele Kinder hast du?“ aussehen könnte. In diesen Prozessen werden viele verschiedene Gefühle hochgeschwemmt, die auf die Trauernden einstürzen. Das sind Gefühle unsagbarer Traurigkeit über den Verlust des eigenen Kindes, aber auch Wut, Verzweiflung und Schmerz über diese unfassbare Ungerechtigkeit des Lebens. Sie fühlen sich dem hilflos ausgeliefert, machtlos dem Leben gegenüber. Manchmal kommen aber auch Gefühle der Erleichterung dazu, wenn dem Tod etwa eine lange, schwere Krankheit vorausgegangen ist. Auch empfinden sie weiterhin Liebe für das Kind und Dankbarkeit für die gemeinsame Zeit. Diese vielen unterschiedlichen und unter Umständen ambivalenten Gefühle prasseln auf die Trauernden ein, manche beschreiben es wie einen Wirbelsturm der Gefühle – ein besonders anstrengender Teil der Trauer. Das Durchleben dieser vielen unterschiedlichen Gefühle ist anstrengend, aber sie zeigen auch andere körperliche Reaktionen. Sie haben zum Beispiel Probleme beim Schlafen, klagen über Kopf- oder Rückenschmerzen, Verspannungen, Herz-/Kreislaufprobleme, nicht essen können oder nicht aufhören können zu essen. Um ihre Familie zu schützen und alles am Laufen zu halten, stellen sie sich und ihre Bedürfnisse zurück und vergessen dabei völlig, auf sich zu achten. Für viele trauernde Eltern ist die Schuld ein großes Thema. Dies kann in unterschiedlichen Facetten auftreten. Bei trauernden Eltern begegnen mir häufig Fragen und Gedanken, wie „Ich konnte mein Kind nicht schützen“, „Haben die Ärzte alles getan?“, „Habe ich alles getan?“. Die Schuldzuweisungen gehen in verschiedene Richtungen und können die Richtung immer wieder ändern. Manchen fällt es schwer, wieder Freude zu empfinden, und sie erschrecken und schämen sich, wenn sie sich beim Lachen „erwischen“. Es fällt trauernden Eltern oft sehr schwer, den Wunsch zuzulassen, wieder am Leben teilzunehmen, und den Gedanken zu verankern, dass sie ihr Kind nicht weniger lieben und vermissen, wenn sie in die Zukunft blicken. Sie fühlen sich einsam und unverstanden, auch wenn sie umringt von Menschen sind.
Wie geht man hier als Beraterin heran, wenn jemand komplett aus dem Leben gerissen wurde?

Sie sagen es: Sie fühlen sich aus dem Leben gerissen. In einem solchen Moment ist es besonders wichtig, die Trauernden dabei zu unterstützen, wieder in Balance zu kommen. Das braucht manchmal viel Zeit, und hier ist es wichtig, als Trauerbegleiterin dafür zu sorgen, dass die Trauernden den Raum und die Zeit bekommen, die sie brauchen. Manchmal bedeutet das ganz wörtlich: Manche Trauernde benötigen einen Ort, wo sie ihre Trauer zulassen können und sich die Zeit nehmen können, die sie brauchen. Ein wichtiger Teil der Arbeit ist es, gemeinsam danach zu schauen, was in der Situation helfen könnte, wer helfen könnte oder Halt bieten kann. Trauernde empfinden es meist als sehr hilfreich, wenn jemand von außen ihren Verlust anerkennt. Einerseits zu benennen, dass der Schmerz berechtigt ist, andererseits nach Ressourcen zu suchen und diese zu aktivieren. So können sich die Trauernden ganz behutsam nach und nach wieder dem Leben zuwenden.
Sie sind unter anderem für die Kinderkrebsstiftung tätig, das heißt, die Trauernden haben oft einen langen Leidensweg hinter sich – wie schafft man es, Mut und Zuversicht zu vermitteln beziehungsweise wie gestalten sich die Gespräche hier?
In Deutschland erkranken jedes Jahr etwa 2.300 Kinder und Jugendliche an Krebs, etwa 15 Prozent von ihnen können nicht geheilt werden. Viele Familien durchleben sehr lange Therapiephasen, die natürlich sehr belastend sind. Als Systemische Beraterin gehe ich ressourcenorientiert vor und arbeite daher mit den Familien und Angehörigen auf Basis der Stärken und Fähigkeiten, die sie mitbringen. Den Schock der Erkrankung und die Hochs und Tiefs des Krankheitsverlaufs durchgestanden zu haben, ist eine große Leistung. Ich schaue, was die Trauernden bisher im Leben getragen hat und was ihnen auf ihrem Weg durch die Trauer helfen könnte.
Wie ist es, wenn Trauernde eine Depression oder starke Angst entwickeln – verweisen Sie dann an Psychologen und Fachärzte oder arbeiten direkt mit diesen zusammen?
Ich bin Systemische Beraterin und Trauerbegleiterin, keine Therapeutin. Es ist sehr wichtig, seine eigenen Grenzen klar zu definieren und zu kennen und in Fällen wie den von Ihnen beschriebenen an die richtigen Kollegen weiter zu verweisen. Und da dieses immer Zeit braucht, gilt es, die Trauernden in der Zwischenzeit zu stabilisieren, aufzufangen und dann an die weiteren Angebote anzudocken. Um dies zu können, braucht es zunächst das Wissen um Symptome, um zu erkennen, wann es notwendig ist, therapeutische Unterstützung zu empfehlen, und dann das Wissen um Methoden der Stabilisierung.
Welche speziellen Hilfsangebote gibt es für verwaiste Eltern?
Inzwischen existieren einige Angebote speziell für verwaiste Eltern. Es gibt Angebote von freien Vereinen, die sich mit viel Engagement dem Thema zugewandt haben, hier sind die Gruppen eher gemischt. Daneben stehen Angebote, die speziell für trauernde Eltern gedacht sind. Ein Angebot, das seit vielen Jahren bei der Deutschen Kinderkrebsstiftung (DKS) etabliert ist, sind die Wochenenden für trauernde Familien. Hier haben die Eltern das gesamte Wochenende Raum, sich ihrer Trauer zu widmen und sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. In den zugehörigen Elternvereinen der DKS, die meist mit den Kinderonkologien in Kooperation stehen, gibt es weitere Angebote. Hier können die betroffenen Eltern und Geschwister Angebote vor Ort in Anspruch nehmen. Zu nennen sind außerdem die wichtigen Angebote von Veid, den Gruppen der verwaisten Eltern Deutschland, die es in sehr vielen Städten gibt. Es lässt sich beobachten, dass die Eltern daran interessiert sind, sich mit Menschen auszutauschen, die Ähnliches erlebt haben wie sie selbst. An erster Stelle des gemeinsamen Erlebt-Habens steht hier natürlich der Verlust des Kindes, daneben aber zum Beispiel auch die Erkrankungsart oder die Umstände des Todes.
Sie bieten auch Trauerbegleitung für Kinder und Jugendliche an. Trauern diese anders als Erwachsene?
Ja und nein! Zunächst empfinden Kinder und Jugendliche die gleichen Gefühle der Trauer, wie Erwachsene, auch in der Bandbreite. Die Reaktionen und Ausdrucksmöglichkeiten sind jedoch unterschiedlich. Kinder und Jugendliche reagieren entsprechend ihrem Entwicklungsstand. Ein vierjähriges Kind hat entwicklungsgemäß ein anderes Todesverständnis als ein zehnjähriges. Das Verständnis davon, was „nie wieder“ oder „für immer“ bedeutet, entwickelt sich erst nach und nach. Kinder leben viel mehr im Hier und Jetzt. Sie können in einem Moment sehr verzweifelt sein, etwas Spannendes entdecken und im nächsten Moment wieder Ball spielen wollen. Das bedeutet nicht, dass die Trauer von Kindern kleiner ist. Wir sprechen oft von „Trauerpfützen“. Wer hineintritt, wird nass und steht knöcheltief darin, einen Schritt weiter und wir sind wieder draußen. Kinder sind neugierig, furchtlos und unvoreingenommen allem Neuen und auch dem Tod gegenüber. Sie stellen Fragen und wollen alles ganz genau wissen. Erst im Jugendalter gleicht sich das Verständnis vom Tod dem von Erwachsenen an. Wir Erwachsene haben an der Stelle die Chance, den Kindern alle Fragen zu beantworten und ihnen so zu erklären, dass das Sterben, der Tod und die Trauer normale Sachen sind, die uns alle angeht. Wir haben die Chance, ihnen beizubringen, dass es natürlich unfassbar traurig und auch ungerecht ist, wenn jemand stirbt, den wir sehr liebhaben. Wir können ihnen aber auch beibringen, dass es normal ist, zu trauern, und dass jeder Mensch anders trauert. Jugendliche sind gerade in einer sehr sensiblen Phase ihres Lebens. In der Pubertät gleicht das Hirn einer Art Großbaustelle. Alles, was bisher gelernt wurde, wird infrage gestellt, alles sortiert sich neu und entwickelt sich in sehr kurzer Zeit weiter. Es passieren körperliche Weiterentwicklungen, die Einfluss auf die komplette Entwicklung der jungen Menschen haben. Werte, die Einstellung zur Welt und am wichtigsten: Die eigene Identität entwickelt sich hier und kommt nach und nach zu einem Abschluss. Trifft ein schwerer Verlust in diese Zeit, kann das in eine schwere Krise führen. Ich habe mich für mein Buch „Das ist doch einfach nur Scheiße“ (erschienen im Ovis Verlag; Anm. d. Red.) mit Jugendlichen unterhalten und durfte so Einblicke in die Gefühlswelt trauernder Jugendlicher erhalten. Auch wenn sie manchmal verschlossen erscheinen, machen sie sich doch viele tolle Gedanken und brauchen dringend Menschen in ihrem Umfeld, die sie behutsam und mit viel Verständnis begleiten – OHNE sie zu bedrängen.
Wie kann das direkte Umfeld Trauernde am besten unterstützen?
Trauernde brauchen definitiv ein stabiles soziales Umfeld. Das kann die Familie sein, aber auch Freunde/Freundinnen oder Kollegen/Kolleginnen oder eine bunte Mischung daraus. Menschen, die sich die Geschichte des Verlustes immer wieder anhören, die helfen, wo sie können. Vielleicht beim Rasenmähen oder Kümmern um den Hund. Es braucht Menschen, die einfach da sind und die Trauer nicht werten. „Da sein“ bedeutet nicht immer nur, physisch da zu sein. Ich kann auch da sein, wenn uns 30 Kilometer trennen. Durch eine kleine Textnachricht, ein Foto, ein Telefonat. Manche Trauernde brauchen mehr. Das kann ein Austausch mit anderen Betroffenen sein, in der Selbsthilfe oder geleitet durch professionell Begleitende. Dann gibt es noch diejenigen, für die eine individuelle Begleitung im Einzel-Setting hilfreich ist.

Sie haben selbst ein Kind durch eine Krebserkrankung verloren. Bringt Ihre Arbeit denn nicht wieder sehr schmerzhafte Erinnerungen und Verlustgefühle in Ihnen hervor?
Dies ist in der Tat eine häufige Frage: Wie beeinflusst die Arbeit Erinnerungen und Gefühle und umgekehrt. Zu qualitativ hochwertigen Angeboten, wie den vom BVT zertifizierten Fortbildungen, gehört auch immer die Auseinandersetzung mit sich selbst und der eigenen Geschichte. Natürlich gibt es Momente oder Situationen, die an die persönliche Geschichte erinnern. Sich dieser Tatsache bewusst zu sein, hilft dabei, professionell damit umgehen zu können, um Trauernde gut beraten und begleiten zu können.
Was hat Ihnen persönlich in den schwersten Zeiten der Trauer geholfen?
Auf jeden Fall der Rückhalt in der Familie, die in dieser Zeit stark zusammengewachsen ist. Und dann auch die Freundinnen und Freunde, die einfach nur da waren, mich und meine Situation „ausgehalten“ und geholfen haben. Die mit kleinen Gesten, Zuwendungen, Geduld, vielleicht einem gebackenen Kuchen gezeigt haben, dass sie an uns dachten.
Man sagt, der Verlust eines Kindes sei das Schlimmste, was passieren kann. Sehen Sie das auch so?
Viele Eltern, die ihr Kind verloren haben, berichten, dass ihnen ihr Umfeld genau dieses gesagt hat. Für viele Menschen ist der Verlust eines Kindes in der Tat das Schlimmste, was sie sich vorstellen können. Trauernde erleben dies auch in den Reaktionen ihrer Umwelt: erschrecken, verstummen, keine Worte finden. Bei meiner Arbeit mit anderen Trauernden, die zum Beispiel ihre Partner, die geliebten Eltern, Verwandte oder Freunde verloren haben, habe ich auch gelernt, dass das Erleben einer solchen Situation natürlich etwas sehr Persönliches und Individuelles ist. Und mit Sicherheit ist der Verlust, den man gerade erlebt hat, das Schlimmste, was passieren kann und was man sich zu diesem Zeitpunkt vorstellen kann.