Es ist das größte sozialpolitische Projekt der Grünen: Kindergeld, Kinderzuschlag und Sozialleistungen für Kinder sollen zentral zusammengelegt werden. Damit sollen mehr Kinder aus der Armut geholt werden. Doch die Kindergrundsicherung scheitert wiederholt.
Es sind diese Besuche, die Lisa Paus (Grüne) so richtig gut liegen – gerade in Zeiten des ständigen Ampel-Knatsches. Kurz vor der parlamentarischen Sommerpause ist die Bundesfamilienministerin Ende Juni zu Besuch in einer Kita im gutbürgerlichen Bezirk Berlin-Wilmersdorf. Bei der letzten Wahl kamen die Grünen in diesem Stimmbezirk auf 52 Prozent. Die Ministerin sozusagen zu Besuch bei politischen Freunden, und dazu kommen noch die ganzen niedlichen Kinder. Eine Mutter erkundigt sich bei Paus, wie es denn nun um die Kindergrundsicherung steht und ob die denn noch bis zum 1. Januar kommt. Vorbei mit der erhofften Idylle, zumindest für einige Minuten, die Realität holt die Ministerin auch hier ein. „Die Kindergrundsicherung wird kommen, daran führt kein Weg vorbei, so steht es im Koalitionsvertrag. Ein erster Schritt in die Richtung kommt zum 1. Januar“, gibt sich Lisa Paus selbstbewusst und entschwindet in den Morgenkreis zu den Kindern.
„So steht es im Koalitionsvertrag“
Der erste Schritt in Richtung Kindergrundsicherung ist es genau genommen allerdings nicht wirklich, vielmehr werden das Kindergeld und der Kinderzuschlag um fünf Euro erhöht. Schön für die Familien, nicht für ihre Ministerin. Paus wollte ab dem 1. Januar einen Systemwechsel bei der finanziellen Versorgung der Kinder einleiten. Kindergeld, Kinderzuschlag und die Sozialleistungen für Kinder aus einkommensschwachen Haushalten sollen zusammengelegt und zentral berechnet und dann nur noch von der Bundesagentur für Arbeit ausgezahlt werden. Für Lisa Paus ein Akt der Entbürokratisierung. Des Weiteren sollen Leistungsberechtigte zukünftig eine zentrale Anlaufstelle haben und dort auch umfassend informiert werden, auf welche Leistungen sie ein Recht haben.
Typisch Deutschland, könnte man sagen, Entbürokratisierung funktioniert immer am besten, wenn erst mal eine neue Behörde aus der Taufe gehoben wird. Das war auch die Idee von Familienministerin Paus. Sie forderte eine neue Behörde für die Kindergrundsicherung und dazu gut 5.000 Mitarbeiter. Die Kosten für den von ihr geplanten Auftakt zum Systemwechsel schätze sie bei der Vorstellung vorsichtig auf zwölf Milliarden Euro. Obendrein sollte das ganze Projekt in dieser Legislaturperiode, also bis zum Sommer 2025, unter Dach und Fach sein. Selbst ihre Ministerkollegen im Bundeskabinett waren etwas irritiert, sprachen aber wohlwollend von einem ambitionierten Plan im Sinne der Kinder, wohlwissend, dass von diesem Plan nicht viel übrig bleiben wird.
Sie sollten Recht behalten, wie wir in diesem Herbst wissen. Der Plan war etwas überambitioniert. Der Start in das neue System der Kindergrundsicherung in ihrem eigentlichen Sinne wird auf keinen Fall zum 1. Januar und auch nicht bis zum Sommer stattfinden. Sondern nur ein erster Schritt dahin. Diesmal war es nicht der Buhmann vom Dienst im Bundeskabinett, Finanzminister Christian Lindner (FDP), sondern Kanzler Olaf Scholz höchstpersönlich, der endgültig klarstellte, was geht und was vor allem alles nicht geht. Gegenwärtig, so Scholz in seltener Offenheit, diskutierten Regierung und Koalitionsparteien über den ersten Schritt zur Einführung: „Und dann auch darüber, wie man den Weg zum zweiten Schritt formuliert, der sich vermutlich dann nicht in dieser Legislaturperiode ereignen wird.“ Klare Ansage vom Kanzler. Aus der Traum für seine Familienministerin. Denn der zweite Schritt, der Kern dieses Systemwechsels, wäre eben die neue Behörde, in die auch andere Behördenteile, zum Beispiel aus dem Sozialministerium, eingefügt werden sollten, gewesen. Dazu kommt es auf keinen Fall, so Finanzminister Lindner: „Ein weiterer Schritt, also die Zusammenführung von Behörden, ist gegenwärtig nicht etatreif. Darüber wird weiter zu sprechen, daran wird weiter zu arbeiten sein.“ Eine diplomatische Umschreibung für den Umstand, dass damit das sozialpolitische Herzensprojekt der Grünen politisch zumindest für diese Legislatur beerdigt wurde.
Politisch für diese Legislatur beerdigt
Übrig bleibt eine Rumpfvariante: je fünf Euro mehr für Kindergeld und Kinderzuschlag, dazu soll es einen Kindergrundsicherungs-Check geben, mit dem Familien leichter wissen, ob sie einen Anspruch auf staatliche Leistungen haben. Und dann ist da noch ein Portal, das neu im Netz eingerichtet werden soll. Familien mit wenig Einkommen sollen darüber leichter Zuschläge für Musikschulen oder etwa Sportvereine bekommen. Doch das hat alles nichts mit der ursprünglich geplanten Kindergrundsicherung zu tun. Infrage steht nun, ob der vereinbarte Minimalkonsens bis zum 1. Januar überhaupt noch umzusetzen ist.
Die Präsidentin des Deutschen Sozialverbandes VDK, Verena Bentele, ist vom Gesamtergebnis enttäuscht und kann mit dem jetzigen Ergebnis nur wenig anfangen, da es einfach nicht neu ist. „Ich halte weder den Kindergrundsicherungs-Check noch das Chancen-Portal für den ganz großen Durchbruch. Es ist bisher eigentlich schon so, dass der Staat die Bürger schon auf ihre Ansprüche hinweisen sollte.“ Was Bentele am meisten ärgert: Da wird groß eine Kindergrundsicherung angekündigt und am Ende wird an dem bestehenden System nur herumgedoktert. „Wenn wirklich nur die Vorhaben umgesetzt werden, die die Regierung beschlossen hat, dann ist es keine Kindergrundsicherung, sondern dann sind es nur Verbesserungen im bisherigen System.“
Ähnlich sieht man dies auch beim Paritätischen Gesamtverband, wobei sich der gerade aus dem Amt geschiedene Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider bereits im Frühjahr gegenüber Forum wenig Hoffnung machte, dass von den Paus-Plänen zur Kindergrundsicherung viel übrig bleiben werde – auch er sollte Recht behalten. Die politische Zukunft der Kindergrundsicherung, wenn es überhaupt noch eine geben sollte, ist damit mehr als ungewiss. In einem Jahr sind Bundestagswahlen, dann werden die politischen Karten neu gemischt und dann geht die Debatte um das Projekt der vereinfachten finanziellen Unterstützung von Kindern von vorne los. Ob es dann noch Kindergrundsicherung heißt, hängt auch vom Wahlergebnis ab.