Ende März werden die Medaillen für die Eiskunstlauf-WM 2023 vergeben. Im japanischen Saitama wird das kleine deutsche Team dabei wohl keine Rolle spielen.
Mit den deutschen Kufensportlern lässt sich schon lange kein Staat mehr machen. Bei der Einzelstrecken-WM der Eisschnellläufer im niederländischen Heerenveen waren die bundesdeutschen Aktiven Anfang März 2022 erwartungsgemäß ohne Medaille geblieben. Sie verdankten die einzige Top-Ten-Platzierung der heute 51-jährigen Claudia Pechstein über 5.000 Meter. Ihr Rang neun war vor allem der Tatsache zu verdanken, dass lediglich elf Teilnehmerinnen an den Start gegangen waren. Ähnlich düster sind die Prognosen aus deutscher Sicht für die ISU-Eiskunstlauf-WM, die im japanischen Saitama vom 20. bis zum 26. März 2023 ansteht. Denn schon ein einziger zehnter Platz bei den vier anstehenden Wettbewerben würde von den bundesdeutschen Kufenkünstlern wohl als Erfolg eingestuft werden. Die beiden früher so erfolgreichen Verbände DESG für die Eisschnellläufer und die DEU für die Eiskunstläufer haben mit ihren Aktiven den Anschluss an die Weltspitze längst verloren.
Bei den Kufenflitzern ist weit und breit keine Nachfolge von Stirnemann, Friesinger-Postma & Co. in Sicht. Und im Eiskunstlauf wurde die schon seit vielen Jahren andauernde sportliche Krise allein durch die Leistungen der gebürtigen Ukrainerin Aljona Savchenko kaschiert, die mit ihren beiden Eiskunstlauf-Partnern Robin Szolkowy und Bruno Massot, einem Franzosen mit deutschem Pass, die einzige Garantin für Medaillen- und Titelgewinne bei den wichtigsten Events gewesen war. Nach fünf Triumphen bei Weltmeisterschaften und viermal dem obersten Platz auf dem EM-Treppchen sowie zwei olympischen Bronzemedaillen mit Szolkowy hatte sie ihre Karriere 2018 krönend mit Gold bei den Olympischen Spielen und bei der WM an der Seite ihres Partners Massot beendet.
Doch im Unterschied zu dem deutschen Traumpaar der 1960er-Jahre, Marika Kilius und Hans-Jürgen Bäumler, konnte Savchenko mit ihren beiden Partnern abseits des Eises kaum Glamour versprühen oder einen dauerhaften Bekanntheitsgrad in der deutschen Öffentlichkeit erringen. Geschweige denn einen für die Nachwuchsabteilung der DEU so dringend benötigten Nachahmungseffekt produzieren, von dem hierzulande inzwischen andere Wintersportarten wie Biathlon längst profitieren. Ohne erfolgreiche prominente Vorzeigeathleten wie der früheren DDR-Eisprinzessin Katarina Witt, denen jugendliche Talente nacheifern möchten, hat eine so trainingsintensive Sportart wie das Eiskunstlaufen in der Bundesrepublik kaum mehr eine gesellschaftliche Chance.
Zumal auch das Fernsehen durch weitgehenden Verzicht auf Live-Übertragungen selbst der wichtigsten Veranstaltungen dazu beigetragen hat, das Eiskunstlaufen in ein kaum mehr beachtetes Nischendasein abdriften zu lassen. Die Auftritte des auch in der Regenbogenpresse ständig gefeierten Paares Kilius/Bäumler hatten noch zum absoluten Pflichtprogramm der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gehört und waren von einem Millionenpublikum mitfiebernd verfolgt worden. Doch inzwischen ist das öffentliche Interesse am Eiskunstlauf auf einem solch niedrigen Punkt angelangt, dass sich das ZDF bei der anstehenden WM wohl nur auf eine Kurzschalte zur Herrenkür beschränken wird. Ohne Eurosport 1 würde die WM 2023 daher wohl fast gänzlich am deutschen TV-Publikum vorbeilaufen. Allerdings müssen Eiskunstlauf-Begeisterte wegen der Zeitverschiebung teils schon recht früh aus den Federn steigen – die Wettkämpfe beginnen zwischen 2 und 9.20 Uhr deutscher Zeit.
Kaum Chancen auf deutsche Medaillen
Die DEU hat folgende Athleten für die Wettkämpfe in der futuristisch anmutenden und rund 37.000 Zuschauer fassenden Saitama Super Arena nominiert. Frauen: Nicole Schott (Essener Jugend-Eiskunstlauf-Verein) und Kristina Isaev (Mannheimer ERC). Männer: Nikita Starostin (ERC Westfalen Kunstlauf Dortmund). Paarlaufen: Annika Hocke/Robert Kunkel (SC Charlottenburg) und Alisa Efimova/Ruben Blommaert (EC Oberstdorf/SC Berlin). Eistanzen: Jennifer Janse van Rensburg/Benjamin Steffan (EC Oberstdorf). Schon allein der Blick auf die Weltranglisten von Anfang März dürfte einen deutschen Medaillentraum als völlig unrealistisch erscheinen lassen.
Die zweimalige Olympia-Teilnehmerin und siebenfache Deutsche Meisterin Nicole Schott (Jahrgang 1996), die bei der WM 2022 in Montpellier mit dem zehnten Platz ihr bislang bestes internationales Resultat hatte erzielen können, wird auf Rang 13 gelistet. Bei der jüngsten EM 2023 im finnischen Espoo hatte sie Ende Januar einen recht enttäuschenden neunten Platz belegt. Bei der deutschen Vizemeisterin und WM-Debütantin Kristina Isaev (Jahrgang 2001), Weltranglisten-Platz 68, wird niemand die sportliche Messlatte allzu hoch ansetzen. Bei den Männern ist dem amtierenden Deutschen Meister Nikita Starostin (Jahrgang 2002), einem gebürtigen Russen auf Weltranglisten-Position 56, nach seiner von Patzern durchzogenen Kür bei der EM in Espoo und einem daraus resultierenden indiskutablen 15. Platz in Saitama auch nur wenig Erfolg zuzutrauen. Beim Paarlaufen kann die DEU mit Annika Hocke und Robert Kunkel immerhin die Bronzemedaillen-Gewinner der EM 2023 ins Rennen schicken – es war für die DEU die erste EM-Plakette nach sechs Jahren Medaillen-Abstinenz. Im Weltranking findet man das Paar auf dem zwölften Platz. Mit Rang vier knapp am Podest vorbeigeschrammt war das zweite deutsche Paar, Alisa Jefimova und der Berliner Routinier Ruben Blommaert, bei seinem EM-Debüt in Espoo. Auf der Weltrangliste sind die zwei auf dem 18. Platz zu finden. Im Eistanz war den zweifachen nationalen Titelträgern Jennifer Janse van Rensburg und Benjamin Steffan bei der EM 2023 mit dem neunten Platz ein zufriedenstellendes Debüt gelungen. Als Weltranglisten-29. werden sie in Saitama nun ihre WM-Premiere feiern.
Etwa zeitgleich zur EM 2023 hatten in Colorado Springs die besten internationalen Eiskunstläufer außerhalb Europas bei den ISU Four Continents Figure Skating Championships ihre WM-Generalprobe. Dabei hatte bei den Herren der erst 17-jährige Japaner Kao Miura überraschend den Sieg vor dem Kanadier Keegan Messing errungen. Bei den Damen gab es sogar einen unerwarteten Doppelsieg Südkoreas durch die 17-jährige Lee Hae-in vor ihrer Landsfrau Yelim Kim und Mone Chiba aus Japan. Im Paarlauf konnten die in der gesamten Saison noch ungeschlagenen Japaner Riku Miura und Ryuichi Kihara, die bei der WM 2022 die Silbermedaille gewonnen hatten, ihre Siegesserie fortsetzen. Sie verwiesen die US-Amerikaner Emily Chan/Spencer Akira Howe und die Kanadier Deanna Stellato-Dudek/Maxime Deschamps auf die Plätze. Im Eistanz waren die US-Amerikaner Madison Chock und Evan Bates, die Bronzemedaillen-Gewinner der WM 2022, nicht zu schlagen und gewannen vor den Kanadiern Laurence Fournier-Beaudry und Nikolaj Sorensen.
Russische Akteure fehlen bei der WM
Die EM und das US-Event zusammengenommen ergibt sich für die WM in Saitama unter Berücksichtigung der Weltranglisten folgender Favoritenkreis: Damen: Wegen der Abwesenheit der unschlagbaren Russinnen, die einzige Übungen wie Vierfachsprünge in ihrem Repertoire haben, dürften die Kampfrichter ihr Hauptaugenmerk wie schon bei der WM 2022 in Montpellier nicht mehr so sehr auf den athletischen Teil, sondern mehr auf den künstlerischem Aspekt der Vorführungen legen. Um die Plätze auf dem Treppchen ist ein Dreikampf zwischen der japanischen Weltranglisten-Ersten Kaori Sakamoto, der belgischen Vize-Europameisterin und Weltranglisten-Zweiten Loena Hendrickx sowie der Südkoreanerin und Weltranglisten-Dritten Kim Ye-lim zu erwarten. Auch der georgischen Überraschungs-Europameisterin Anastassia Gubanowa ist ein Coup zuzutrauen. Die junge US-Amerikanerin Isabeau Levito sollte man ebenfalls nicht vergessen.
Herren: Bei den Männern ist nach den Rücktritten des amtierenden US-Olympiasiegers Nathan Chen und dessen Landsmann Vincent Zhou, dem Bronzemedaillen-Gewinner der WM 2022, vieles offen. Topfavorit dürfte der amtierende japanische WM-Titelträger und Weltranglisten-Erste Shoma Uno sein. Aber auch die beiden Italiener Daniel Grassl, Weltranglisten-Position zwei, und Matteo Rizzi, Rang vier, haben sich in jüngster Zeit neben dem Franzosen Adam Siao Him Fa, dem Drittplatzierten im Ranking, in den Vordergrund gedrängt. Und da gibt es auch noch den jungen US-Amerikaner Ilia Malinin, Weltranglisten-Position neun, der als erster Läufer bei einem Wettbewerb einen vierfachen Axel hatte stehen können.
Paarlauf: Hier dürfte bei der Goldmedaille kaum ein Weg an den Japanern Riku Miura und Ryuichi Kihara vorbeiführen (Platz eins der Weltrangliste). Einiges ist auch von den neuen italienischen Europameistern Sara Conti und Niccolò Macii (Platz vier) und deren Landsleuten und Vize-Europameistern Rebecca Ghilardi und Filippo Ambrosini (Platz drei der Weltrangliste) zu erwarten. Von den drei US-Paaren werden Alexa Knierim und Brandon Frazier (Platz zwei im Ranking) am höchsten gehandelt.
Eistanz: Hier führen die aktuellen italienischen Europameister Charlene Guignard und Marco Fabbri als Weltranglistenerste den Reigen der Medaillen-Kandidaten an. Die Briten Lilah Fear/Lewis Gibson (Platz zwei) und die US-Amerikaner Madison Chock/Evan Bates (Platz drei) könnten das WM-Podest komplettieren.