Das ostdeutsche Bundesland rund um die Hauptstadt Berlin droht zur ersten Steppenregion Deutschlands zu werden. Brandenburgs Gärten spüren den Klimawandel in allen Auswirkungen. Die Natur verändert sich – und die Menschen kommen nicht hinterher.
Ein Schild am Eingang zum Park von Sanssouci in Potsdam warnt: „Achtung: Akute Astbruchgefahr im gesamten Park.“ Wenn es den Bäumen zu trocken wird, werfen sie in der größten Mittagshitze gesunde Äste mit lautem Krach ab, um diese nicht mehr versorgen zu müssen. Wer sich beim Spaziergang durch den 300 Hektar großen Park an den in akkurat gepflegten Beeten sprießenden Blumen erfreut, an den Kanälen und Teichen, den Schlössern und den auf sie zulaufenden Sichtschneisen, an Wasserspielen und Skulpturen, merkt auf den ersten Blick nichts von den Veränderungen in der Vegetation.
Nächstes Jahr wird es hier ein Themenjahr zum Klimawandel geben. Schon jetzt werden spezielle Führungen durch den barocken Ziergarten angeboten. „Wenn Sie bei dieser Sumpfzypresse, einem typischen Parkbaum, genau hinsehen: die Krone ist geplatzt“, sagt Führerin Heike Roth. „Wenn durch Klimaschädigung die Krone zu trocken wird, muss sie abgesägt werden.“
Ein Stück weiter stehen vier tote Buchen, hölzerne Torsi wie traurige Säulen. In Potsdam-Sanssouci fielen bisher pro Jahr fünf Bäume, jetzt sind es 120. Es ist aber nicht nur die Hitze, sondern auch die Sonnenbestrahlung, die der Vegetation zusetzt. „Bäume können sich nicht einschmieren, nicht bekleiden, sich nicht in den Schatten verkrümeln“, sagt Roth. Gegen die Hitze rollen sie ihre Blätter ein. „Dann aber hat die Sonne freie Bahn und kann direkt auf den Stamm scheinen, und so bekommt auch der Baum Sonnenbrand. Da schält sich quasi die Haut ab in großen Stücken.“
Was also tun? Widerstandsfähigere Baumarten pflanzen. Doch der von Friedrich dem Großen Mitte des 18. Jahrhunderts angelegte Park von Sanssouci ist als Gartendenkmal Weltkulturerbe, es dürfen keine neuen Arten gepflanzt werden. So probieren die Gärtner anderes aus: Verdunstungsmatten aus Kokos, die die Feuchtigkeit im Boden halten sollen, liegen rund um einige Bäume. Mitunter entdeckt man die in regelmäßigen Schlingen ausgelegten dünnen Schläuche zur Tröpfchenbewässerung. Oder die um Bäume gebundenen Wassersäcke, die allerdings innerhalb von acht Stunden leerlaufen und nachgefüllt werden müssen.
Neu zugewanderte Tierarten
Obwohl auch er ein Denkmal ist, steckt ein paar Kilometer weiter in Potsdam der Karl-Foerster-Garten nicht im strengen Korsett des Denkmalschutzes. Er ist benannt nach dem in Fachkreisen berühmten Staudenzüchter und Gartenphilosophen des 20. Jahrhunderts, der hier rund um sein Wohnhaus einen Schau- und Versuchsgarten angelegt hatte. Foerster hatte die Gartenlandschaft in Deutschland revolutioniert. Anhand alter Fotos wird in seinem Garten die originale Bepflanzung von damals eingehalten, es darf aber Ausnahmen geben.
Hier grünt und sprießt es überall nahezu explosionsartig, gemäß der von Foerster ausgegebenen Maxime: Es wird durchgeblüht. Ob im Frühlings- oder im Herbstgarten, es gibt keine Stelle, an der nicht bunte Farbtupfen wie auf einem impressionistischen Gemälde zu sehen sind. Doch auch der Foerster-Garten spürt den Klimawandel, erzählt die Staudengärtnerin Kristina Zeller. Insbesondere neu zugewanderte Tierarten machen ihm zu schaffen. „Die spanische Wegschnecke ist ein großes Problem, weil sie die einheimischen verdrängt. Ganz neu im Sortiment sind die französischen Weinbergschnecken. Die sind im Garten wirklich ein Problem, weil sie sich so wahnsinnig vermehren und alles fressen.“
Auch im Schlosspark von Kleßen im Havelland muss sich Gutsherrin Sabine Thiedig den neuen Bedrohungen stellen: Fichten und Kiefern werden vom Prachtkäfer befallen und sterben ab. Eichen und Buchen überleben die Trockenheit nicht. Eichen werden vom Prozessionsspinner befallen und mussten in diesem Jahr geschlägert werden. „100 Eichen auf nur 50 Hektar, das ist massiv“, sagt Thiedig. „Man weiß, dass Eichen 500 Jahre alt werden können. Also die waren eigentlich noch nicht hiebreif.“
Gleich nach der Wende hatte das Ehepaar Thiedig aus Niedersachsen das Schloss Kleßen für einen symbolischen Euro erworben. Damals war der einstige Sitz der Grafen Bredow zur Ruine verkommen, ohne Fenster, das Dach eingestürzt. Mit viel Liebe zum Detail bauten sie das einstige Herrenhaus wieder auf. Im Schlosspark werden nun widerstandsfähigere Bäume gepflanzt, erzählt die Schlossherrin: „Walnuss, Eberesche, Robinie und Esskastanie in der Hauptsache, Ahorn, amerikanische Eiche.“
Zum generellen Waldumbau rät Fred Hattermann vom Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam: „Von einem Nadelwald zu Mischwald, weil die Nadelwälder eine höhere Verdunstung haben und Mischwälder eine deutlich größere Infiltration des Niederschlages in den Boden haben.“ Zusätzliche Hecken auf landwirtschaftlichen Flächen könnten Staubwolken durch Winderosion verhindern.
Gegen Schädlinge kämpft man auch ein paar Kilometer weit von Potsdam entfernt: in der kleinen Stadt Werder. „Gegenwärtig sind Essigfliegen ein absolutes Problem sowohl im Weinbau wie hier im klassischen Obstbau“, sagt Reinhard Schmidt, Vorsitzender des Werderschen Obst- und Gartenbauvereins. Werder gilt als Obstkiste Berlins und ist bekannt für seine Apfel-, Birnen- und Süßkirschenkulturen.
Alljährlich im Frühjahr pilgern die Berliner und Berlinerinnen in Scharen zum Baumblütenfest nach Werder, eine fast eineinhalb Jahrhunderte alte Tradition, die in Gefahr gerät: „Wenn Obstarten nicht mehr eine bestimmte niedrige Temperatur im Winter haben, um die Knospenbildung zu induzieren, können wir im Prinzip mit den Obstarten letztendlich nichts mehr anfangen, wenn sie nicht blühen“, sagt Schmidt. Sie geben keinen Ertrag mehr.
Grundwasserspiegel fallen
Schmidt führt durch die sogenannten Schuffelgärten von Werder. Sie sind traditionell in drei Etagen angelegt, um Witterungsunbilden zu begegnen: Oben die Obstbäume, darunter Beerensträucher und ganz unten Erdbeeren, Blumen und Gemüse. Als Schuffel wird eine Harke bezeichnet, mit der sich Unkraut aus dem sandigen Boden entfernen lässt.
Dieser Sand ist einer der Gründe für eine drohende Versteppung des Landstrichs, denn er speichert das Wasser nicht. Bereits Fürst Bismarck hatte Brandenburg als die Streusandbüchse Preußens bezeichnet.
Brandenburg ist ein gewässerreiches, aber wasserarmes Land, heißt es. Es hängt mit dem geringen Gefälle zur Nordsee zusammen, dass sich einst viele Seen in der Region gebildet haben. Seen, die mit der Verdunstung des Wassers bisher für Abkühlung gesorgt haben, erklärt Fred Hattermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Doch die Grundwasserspiegel fallen, die Verdunstung nimmt zu. „Flachseen, von denen wir viele in Brandenburg haben, die oft auch nur durch Grundwasser gespeist sind, haben deutlich an Spiegel verloren. Sehr viele kleine Tümpel, die sehr wichtig sind auch für Lurche, für die Vermehrung, für die Ökologie der Tiere, haben wir verloren.“ Weil die Kühlung durch die Verdunstung auf den Wasserflächen der Seen wegfällt, wird es noch wärmer.
Doch es gibt auch Klimawandel-Gewinner: „Kiwis, die in der Vergangenheit gar keine Rolle spielten, sind in den Kleingärten verstärkt im Anbau“, sagt Obstbauer Schmidt. Und Klimafolgenforscher Hattermann ergänzt: „Ein ganz typisches Beispiel ist der Wein. Da kommt es stark auf die Sonnenscheindauer und die Temperatur an. Durch den Klimawandel rückt der Anbau nach Norden, bis nach Schweden, vor.“
Mitten in Werder überziehen Weingärten die Hänge des Wachtelbergs, von dessen Spitze man über eine sanfte grüne Hügellandschaft mit einigen Seen dazwischen blickt. Hier oben liegt, eingebettet zwischen den Reihen hüfthoher Rebstöcke, mit Holztischen und -bänken davor, die Weintiene Lindicke. Es handelt sich um das nördlichste Qualitäts-Weinanbaugebiet in Deutschland.
Der Sandboden und das Mikroklima zwischen den Havelseen bieten optimale Voraussetzungen für den Weinbau, den es in dieser Region schon vor Jahrhunderten gab. Noch zu DDR-Zeiten, 1985, wurde hier erneut mit dem Weinbau begonnen. Heute produziert der Familienbetrieb auf etwa acht Hektar Fläche 70.000 Flaschenfüllungen im Jahr. „Rotweine sind hier schon im Kommen“, sagt die Winzerin Katharina Lindicke. „Sie haben nicht diese schweren Tannine, die südländische Rotweine ausmachen. Unsere Rotweine sind kräftig, aber sehr fruchtig.“
Was nicht heißen soll, dass der Weinbau vom Klimawandel nicht auch negativ betroffen ist. „Im Sommer haben wir mit Trockenperioden und Hitzeperioden zu kämpfen und auch mit unterschiedlichen Niederschlagsmengen und -intensitäten“, sagt Lindicke. Außerdem würden nach den häufiger auftretenden Starkregenfällen die Böden die Feuchtigkeit nicht schnell genug aufnehmen, das meiste Wasser fließe ab.
Viele Berufszweige haben Probleme
Es sind Veränderungen im Gang, die auch die Gastronomie zu spüren bekommt. „Wir haben nicht mehr diesen klassischen Saisonkalender“, sagt Christian Heymer, einer der beiden Eigentümer des „Fritz am Markt“ im Zentrum von Werder. „Statt im Mai, Juni werden die Erdbeeren viel, viel früher reif. Wir haben eine viel größere Produktpalette. Mittlerweile wachsen hier Artischocken, Zitronenbäume, Orangenbäume. In einer gewissen Art und Weise beängstigt mich dieser Prozess, den die Natur gerade vornimmt.“
Seit drei Jahren gibt es das Restaurant mit Hotel in einem alten ebenerdigen Haus mit grünen Fensterläden. Die Produkte für das Menü stammen aus einem Umkreis von höchstens 15 Kilometern. Was aber immer schwieriger wird: „Die Kräuterlandschaft hat sich komplett verändert aufgrund des Wassermangels hier vor Ort. Wir müssen selbst anfangen in Töpfen Pflanzen, die wir künstlich bewässern, großzuziehen, weil es die Natur nicht mehr hergibt.“
Ganze Berufszweige sehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Das von der Havel und Seen umschlossene Städtchen Werder ist auch bekannt für seine Fische. Aus schwarz angekohlten Räucheröfen bieten Fischer ihren Fang zum Verzehr an. Doch aufgrund der höheren Wassertemperaturen der Seen und des Flusses ziehen sich die Fische auf den kühleren Grund zurück. Viele Seen sind zudem ausgetrocknet. „Regionaler Fisch wird in den nächsten fünf bis sieben Jahren auf jeden Fall Mangelware werden“, sagt Gastronom Heymer. „Unsere Fischer haben im Sommer wahnsinnige Schwierigkeiten, uns überhaupt Fische anzubieten, weil es kaum noch möglich ist, sie zu fangen.“
Mangelware könnte auch eine Frucht werden, die als Zitrone des Nordens gilt: der Sanddorn. Er hat zehnmal mehr Vitamine als die Zitrone. Von den 600 Hektar Sanddorn-Plantagen in Deutschland macht allein 150 Hektar der SanddornGarten in Petzow aus. In dichten Büscheln hängen die dunkelgelben Beeren von den Sträuchern.
Der Sanddorn ist eine Pionierpflanze, zeigt also eine hohe Anpassungsfähigkeit, wenn er neue Gebiete besiedelt. Er gedeiht zwar auf sandigen Böden, deshalb zählt er aber nicht zu den Klimawandel-Gewinnern, erzählt Firmeninhaberin Dorothee Berger: „Der Ertrag der Sanddornpflanze ist viel geringer, wenn es viel trockener und viel wärmer ist als in der Vergangenheit.“ Dann verringert sich das Gewicht der Beeren. Zwar verbessern sich dann die Inhaltsstoffe, doch sucht man auf der Plantage nach Möglichkeiten, die gewohnte Quantität zu erhalten. Künstliche Bewässerung brachte dabei wenig Erfolg.
Wasser ist auch in Brandenburg zum Thema geworden. Nicht nur das Zuwenig, auch das Zuviel, sagt Hydrologe Hattermann: „Die 100-jährige Flut ist jetzt schon stärker als sie einmal war. Und wenn der Klimawandel zu stark wird, dann werden wir immer in der Anpassung hinterherhängen.“