Die US-Amerikanerin Mary Elizabeth Bowden ist eine der wichtigsten zeitgenössischen Trompeterinnen. Mit ihrer Herangehensweise will sie das Instrument neu erfahrbar machen und steht damit für eine neue Generation von Künstlern, die auch gestalten wollen.
Bereits in der Antike wurden die Vorläufer der heutigen Trompete als Signalgeber eingesetzt. Ob im Krieg, bei der Jagd oder zu Kommunikationszwecken: Der hohe und laute Ton der ehemals noch ventillosen Blasinstrumente hatte einen durchdringenden Charakter. Im Laufe der Zeit entwickelte sich das Instrument weiter und wurde zum festen Bestandteil vieler klassischer Kompositionen. Ihren Signalcharakter hat die Trompete behalten. Erklingt sie im Orchester, ist schnell klar: Hier geht es um etwas Besonderes, etwas Wichtiges passiert, es wird festlich, es wird pompös, mitunter auch kriegerisch. Verdis Triumphmarsch aus „Aida“ oder Wagners „Walkürenritt“ hat jeder im Ohr und mit ihnen auch die majestätischen oder treibenden Trompetenklänge.
Als höchstes Blechblasinstrument in der klassischen Musik ist die Trompete besonders wendig und wird deshalb in der Riege der Blechbläser oft für die prominenten Stellen im Stück eingesetzt. In den letzten Jahrhunderten hat sich so im Orchesterklang eine gewisse Sonderrolle für die Trompete etabliert. Für die Trompete als Soloinstrument sieht es hingegen etwas anders aus. Hier steht sie hinter Geige, Klavier oder der Flöte zurück. Auch bei der Beliebtheit bei Musikschülern zeigt sich eine ähnliche Verteilung.
Trompeterin Mary Elizabeth Bowden ist ein Beispiel dafür, dass die Trompete auch anders gesehen werden kann. Die US-Amerikanerin stellt sie in ihrer künstlerischen Aktivität als vielseitiges Instrument in den Vordergrund, das auch als Soloinstrument reüssieren kann. Weg vom Klischee der Trompete als Signalgeber oder Fanfarenführer, macht Bowden sie zu einem Instrument der leisen, differenzierten Töne und der künstlerischen Neugier. Das ist, ebenso wie die Tatsache, dass sie als Frau an der Trompete immer noch eine Ausnahme darstellt, ein Ansatz, der international auf Beachtung stößt.
Zur Trompete kam Bowden ähnlich wie viele andere Kinder auch: durch die Schule. Den Weg zu ihrem Instrument rekapituliert sie im Gespräch im Podcast „Any Given Runway“. Ihre Familie spielte dabei eine entscheidende Rolle, obwohl die Voraussetzungen vielleicht überraschen: „Meine Eltern sind nicht musikalisch. Sie lieben Musik, aber sie sind keine Musiker“, beschreibt Bowden den Ausgangspunkt ihrer musikalischen Karriere. Als aber durch ein Schulprogramm ihre beiden älteren Brüder Posaune und Horn lernten, war auch die jüngere Schwester angetan und verliebte sich in die Blechblasinstrumente. Nicht zuletzt, weil ihr Bruder das Horn als Instrument für sich beanspruchte, entschied sich Mary Elizabeth Bowden für die Trompete. Prägend für die Schülerin: Jeden Samstag kam ein Lehrer ins Haus, der die Geschwister unterrichtete und sie vor allen Dingen immer wieder mit zu Konzerten nahm. „Es müssen Hunderte Konzerte gewesen sein, die wir als Kinder mit unserem Lehrer besucht haben“, erinnert sie sich. „Ohne ihn wäre ich heute keine professionelle Trompeterin, so viel ist sicher.“ Und auch der kleine Konkurrenzkampf mit ihren älteren Brüdern habe sie natürlich angespornt, scherzt sie in dem Podcast.
Weltweit gefragte Solistin
Im Laufe der Zeit begeisterte sich Bowden immer mehr für die Welt des Orchesters und auch für bekannte Trompeter. Sie erinnert sich, dass sie sich in der sechsten Klasse auf einem Plakat, auf dem sie ihr zukünftiges Ich zeichnen sollte, mit einer Katze und einer Trompete malt. Zwei Lieben, die sich bis heute gehalten haben, wenn man sich ihren Instagram-Account anschaut. Getrieben von der Faszination für ihr Instrument und mit der Unterstützung ihrer Eltern, begann sie ihre professionelle Laufbahn dann auch ungewöhnlich früh. Mit gerade einmal 14 Jahren verließ sie auf eigenen Wunsch die Schule und trat, nach ein wenig Überzeugungsarbeit den Verantwortlichen gegenüber, in ein Vollzeitstudium am Joliet Junior College südwestlich von Chicago ein, obwohl sie das Mindestalter noch nicht erreicht hatte. Rückblickend beschreibt sie im Podcast diese Form der Ausbildung als befreiend, denn anders als der eng getaktete Schulstundenplan bot ihr das College die Möglichkeit, ihre Zeit selbst zu strukturieren und so in mehreren Ensembles gleichzeitig spielen zu können. Ihre weitere Ausbildung führte sie an zwei der renommiertesten Musikinstitutionen der USA: das Curtis Institute of Music und die Yale School of Music. Dort lernte sie bei Trompetengrößen wie David Bilger, dem damaligen Solotrompeter des Philadelphia Orchestra, sowie Allan Dean und schloss ihre Ausbildung im Jahr 2006 mit einem Mastertitel ab.
International ist Mary Elizabeth Bowden heute eine gefragte Solistin. Ihr Erfolg lässt sich neben ihrem Können am Instrument auch damit erklären, dass sie immer auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen ist, was sich auch in ihrem Spiel niederschlägt. Als Solotrompeterin richtete sich ihr Blick früh auf zeitgenössische Kompositionen und damit auf Werke, die den Charakter der Trompete neu denken. In enger Zusammenarbeit mit Komponisten und Komponistinnen brachte sie eine Reihe neuer Werke zur Uraufführung, darunter auch Konzerte, die ihr quasi auf den Leib geschrieben wurden.
Solistische Auftritte führten sie durch die ganze Welt, in Konzertsäle von Deutschland bis Südkorea und von Mexiko bis Neuseeland. Wichtige Stationen ihrer jüngsten Saisons waren unter anderem ihr Debüt mit dem Chamber Orchestra of Philadelphia, ihre Tournee durch Argentinien und die Uraufführung neuer Werke mit Orchestern in den USA.
Aus ihrer eigenen Erfahrung weiß Mary Elizabeth Bowden, wie wichtig eine Lehrperson für die Entwicklung von Lernenden sein kann. Parallel zu ihrer Konzerttätigkeit ist sie mittlerweile Assistenzprofessorin am Shenandoah Conservatory und gibt Meisterkurse an namhaften Universitäten in den Vereinigten Staaten. Auf ihrem Youtube-Kanal zeigt sie Etüden und gibt einige Tipps für Vorspiele.
Bowdens Leistungen wurden mit zahlreichen Auszeichnungen versehen, darunter der Gold Medal Global Music Award, der erste Preis beim International Women’s Brass Conference Wettbewerb und eine Nominierung für den Opus Klassik. Doch wichtiger ist womöglich das, was sie vor allem jungen Musikerinnen vorlebt: Sie ist Gründerin und künstlerische Leiterin des Ensembles Seraph Brass, bestehend aus renommierten Musikerinnen der Blechbläserszene. Das Ensemble gastiert regelmäßig auf internationalen Bühnen und Festivals, es hat sich mit seinem Debütalbum „Asteria“ eine beachtliche internationale Anerkennung erspielt und ist Ausdruck einer offenen und vielfältigen Klassikszene.
Bowdens eigene Veröffentlichungen dokumentieren nicht nur ihre künstlerische Entwicklung, sondern auch eine stilistische Bandbreite, vom Statement für neue amerikanische Musik bis hin zu kammermusikalischen Klangwelten. Und ihr neuestes Projekt, ein Album mit dem Chicago Youth Symphony Orchestra, bringt Werke noch lebender, zeitgenössischer Komponistinnen ins Rampenlicht, ebenfalls eine bewusste Entscheidung in einer immer noch männlich dominierten Szene.
An Christi Himmelfahrt gastiert die Musikerin in Saarbrücken und ist mit Bernhard Leonardy an der Orgel in der Ludwigskirche zu hören. Einen Auftritt zu absolvieren, vergleicht Mary Elizabeth Bowden mit der Situation eines Leistungssportlers. Auf sich selbst und den Körper zu achten, sei auch für Musiker immer unerlässlich. Dabei sei es nicht nur wichtig, die physischen Voraussetzungen zu schaffen, sondern auch gedanklich frei zu bleiben.