Frank Nimsgern über die Herausforderungen mit der „Zauberflöte“, warum er das Projekt zunächst abgelehnt hatte und wie wichtig es ihm ist, analog zu komponieren.
Eine Szene aus „Zauberflöte – Das Musical“Frank, Du hast aus dem Mozart-Klassiker „Die Zauberflöte“ ein Musical komponiert, demnächst ist Premiere. Bist Du aufgeregt?
(lacht) Ich wurde vor zwei Jahren schon mal gefragt, ob ich das mache und hab dann gesagt, kommt, lass uns was anderes machen (lacht). Irgendwann habe ich die „Königin der Nacht“ bearbeitet, ich hatte davor eine gewisse Scheu, dann aber gemerkt, dass es funktioniert. Nach der „Hölle Rache“-Arie habe ich gewusst, jetzt kann ich weitermachen, dann hatte ich das Selbstbewusstsein. Denn so ein Meisterwerk kann man nicht verbessern. Aber man kann die sehr schöne Geschichte übers Erwachsenwerden so erzählen, dass es für jeden verständlich ist. Das haben wir versucht, dass man nicht zuerst etwas durchlesen muss, um die Geschichte zu verstehen. Nachdem ich dann ein paar Kompositionen geschrieben hatte, wusste ich, ich kann den Vertrag unterschreiben (lacht). Ich habe fantastisch mit Aino Laos zusammengearbeitet. Ihr Mann Elmar Ottenthal ist Opernregisseur und war über 15 Jahre Generalintendant und hat mir mit seinen Kenntnissen auch unglaublich geholfen.
Wie genau?
Ich kenne fast niemanden, der Opern und besonders „Die Zauberflöte“ so gut kennt wie er. Er hat mich auf Sachen aufmerksam gemacht, die ich auf keinen Fall tun soll (lacht). Und er hatte mir auch zuerst abgeraten. Irgendwann hat er dann nach einigen meiner Demos aber gesagt: Toll, das hätte ich nicht erwartet. DAS ist wirklich etwas Neues - meinte er!
Wie lange hast Du an dem Musical gearbeitet?
Insgesamt 15 Monate habe ich an dem Stück geschrieben. 28 Titel, fünf davon in die Tonne getreten, das kann sich kein Mensch vorstellen. Danach kam noch meine sehr aufwendige Orchestrierung. Jetzt arbeiten wir mit den Sängern, die die Produktion beziehungsweise das Album singen. Und da es eine Uraufführung ist, muss man bei jeder Rolle schauen, ob es passt. Wir haben die gleichen Charaktere wie bei Mozart. Ich habe versucht, jedem Charakter eine NEUE stilistische Heimat zu geben.
Was heißt das, Heimat geben?
Sarastro zum Beispiel ist immer noch sehr Bariton operal. Die Königin der Nacht ist eine Rocksängerin mit Koloratur, was sehr schwer zu finden ist. Ich habe das Stück mit Aino Laos entwickelt, wir haben versucht, dass man bei jeder Rolle musikalisch hört, wer wer ist. Eine Handschrift für jeden. Das war mein Ansatz. Ich habe auch noch mal eine Schippe draufgelegt, damit niemand sagen kann, dass das jetzt Mozart light ist.
Die Zauberflöte kennt fast jeder …
Da muss ich intervenieren. Wir haben eine spontane Umfrage gemacht in München in einem Restaurant im Theater und ein paar Leute gefragt, um was es in der Zauberflöte geht. Niemand konnte uns die Geschichte wirklich logisch erzählen. Den Namen kannte aber jeder. Da war es für mich klar, das müssen wir machen.
Was ist neu an der Musical-Zauberflöte?
Es gibt zum Beispiel das Orakel, eine große Schauspielrolle, die von Anna Maria Kaufmann gespielt wird. Das Orakel erzählt die Vorgeschichte. Denn das ist etwas, was mich bei Mozart immer gestört hat, dass man nicht weiß, wo die Personen eigentlich herkommen. Bei uns wird die Geschichte auch stringenter erzählt, der Konflikt zwischen Sarastro und der Königin der Nacht, auch warum er die Tochter entführt hat, wird bei Mozart nie wirklich erklärt. Deswegen steigt bei uns das Orakel gleich als Erzählerin ein. Wir beginnen auch direkt in den ersten zehn Minuten mit dem Konflikt. Dann gibt es neben Papageno noch einen Kakadu. Der immer die Fragen stellt, wieso es so oder so ist. Es ist ein Stück für die Familie, so, dass es auch verständlich wird. Warum zum Beispiel Tamino die Zauberflöte bekommt, und was er damit macht.
Wir haben einen tollen Cast, zum Beispiel Patrick Stanke, einer der größten Musicalstars, Katja Berg, eine der besten Musicalsängerinnen, Misha Kovar, Tim Wilhelm von der Münchner Freiheit, Christian Schöne als Sarastro oder „the one and only“ Chris Murray! Ein sensationelles Ensemble, fast nur Topstars in den Hauptrollen.
Du hattest im Vorgespräch schon gesagt, dieses Mal wäre die Musik anders.
Überwiegend gehe ich neue Wege, ich hoffe, das hört man auch. Nach „Jack the Ripper“ dachte ich, wenn ich jetzt wieder auf den Rockmusical-Zug draufspringe, dann will das irgendwann niemand mehr hören. Bei der Zauberflöte habe ich versucht, meine Komfortzone zu verlassen. So ähnlich wie beim Sport. Ich trainiere fast jeden Tag. Irgendwann gewöhnt sich der Körper daran, dass man immer das Gleiche macht. Dann muss man mal sagen, jetzt macht man mehr, um neue Muskeln aufzubauen. Ich glaube, wir leben in einer Zeit der Bequemlichkeit, alles ist verfügbar, jede Musik ist verfügbar. Das merke ich auch bei den Kindern, die haben keine Vorbilder mehr. Ich hatte früher Vorbilder, ich hatte The Who, ich hatte Richard Wagner, das waren für mich Helden. Deswegen finde ich es auch dämlich von der Regierung, Wettbewerbe abzuschaffen. Es gibt keine Urkunden mehr und so weiter, das ist der Horror. Denn Musik und Sport haben was mit Leistung zu tun. Wenn es nicht anerkannt wird, warum sollst du besser werden?
Bei der Zauberflöte musste ich wieder üben. Ich spiele auch viele Instrumente selbst ein.
Wie schwierig waren die neuen Wege?
Ich bin ja sehr gut mit Dieter Hallervorden befreundet. Es hat mich sehr inspiriert, dass er immer was Neues macht. Er war 86, als ich mit ihm seine Platte gemacht habe. Obwohl jemand nicht mehr arbeiten muss, möchte er sich trotzdem immer wieder neu definieren. Ich dachte, das muss ich auch so machen, sonst werde ich irgendwann bequem. Das Schlimmste ist Bequemlichkeit. Ich glaube, dass das Neue mich sehr befriedigt. Manchmal hat es Überwindung gekostet, weil ich es mir einfacher vorgestellt hatte. Aber auch die Zusammenarbeit mit Aino und Elmar, die sehr diplomatisch gesagt haben, das kannst du besser (lacht). Was ich mache, ist kein Hobby, das ist ein Beruf, ich muss ja liefern. Innerhalb einer gewissen Zeitspanne. Ich habe ein Repertoire, das kann ich abrufen. Genau wie ein Comedian. Der wird immer seine besten Witze erzählen. Weil er weiß, die funktionieren. Das kann ich nicht, ich muss dann eine neue Pointe erfinden. Ich habe einen Ordner bei mir auf meinem Studiorechner, der heißt „Not to used“ (nicht zu gebrauchen), da sind die ganzen Songs drin, wo ich gemerkt habe, ich bin auf dem falschen Weg.
Wie merkst Du denn, jetzt ist es gut? Kannst Du irgendwann loslassen?
Jein. Die Produktion ist fertig. Jeder weiß, was zu tun ist. Ob das aber auf der Bühne in der Szene funktioniert, muss man sehen. Es kann immer noch sein, dass ein Song nicht funktioniert. Bei Jack the Ripper zum Beispiel gibt es einen Song, der heißt „Da draußen“. Wir dachten alle, das wird die Bombe. Aber bei der Probe hat der Regisseur gesagt, tut mir leid, das funktioniert nicht. Ich dachte, was? Das ist doch unser Hauptsong!
Und was funktionierte nicht?
Die Fallhöhe war zu hoch. Das war Disney-Ballade und danach ein Mord. Jeder hat gesagt, das ist seltsam. Auf dem Album ist der Song drauf, aber im Stück kommt er anders.
Wie sieht das aus, wenn Du komponierst?
Ich kann nur alleine schreiben. Komposition ist nichts anderes wie die Architektur eines Hauses. Ich habe einen analogen Raum und einen digitalen Raum. Das ist für mich ganz wichtig. In dem analogen Raum steht ein Flügel, da schreibe ich mit Bleistift und Notenpapier. Dann nehme ich das mit einem Video auf und gehe damit in die digitale Welt, dann wird alles digitalisiert. Aber das Komponieren findet bei mir analog statt. Es ist wie beim Malen. Es ist ein Unterschied, ob du etwas auf einem Tablet oder auf Papier malst. Die Wurzel ist analog. Weil ich das auch so gelernt habe. Das hat für mich was mit Anstand zu tun. Es hat eine andere Atmosphäre, wenn ich in einem Raum bin, der eine Geschichte hat und ich an einem Flügel sitze, der schon 90 Jahre alt ist, auf dem schon viele Leute gespielt haben. Wenn du da deine Basics auf dem schwergängigen Flügel schreibst, dann baust du eine Beziehung auf. Ich arbeite jetzt auch schon für 2025 für die nächste Produktion.
Ist das schwierig, sich schon wieder auf was Neues einzustellen?
Ja. Aber das bin ja nicht nur ich, da steht eine Infrastruktur dahinter, die bestimme nicht nur ich. Ich habe das schon vor zwei Jahren zugesagt, deshalb versuche ich jetzt schon, etwas für das andere Projekt zu machen, das ich noch nicht verraten will (lacht). Die Uraufführung findet auf der größten Open Air-Theaterbühne statt, bei den Luisenburg-Festspielen in Bayern. Ich bin sehr dankbar, dass ich regelmäßig Aufträge habe, als Komponist jedes Jahr mindestens ein oder zwei Produktionen. Aber man steht natürlich unter Druck.
Da sind die Gedanken noch bei der Zauberflöte und jetzt schon das Nächste…
Absolut. Das ist wie eine Beziehung, wenn Du ein Stück schreibst. Du musst Dich auf die Beziehung einlassen, und auf das Thema. Ich glaube, dass die Musik bei der Zauberflöte nicht austauschbar ist. Die ist sehr eigen.
Die Idee für die Zauberflöte als Musical wurde von den Intendanten des Deutschen Theaters und des Festspielhauses Neuschwanstein an Dich herangetragen…
… ja, ich wäre auf diese Idee nicht gekommen (lacht). Aber auch aus dem Grund, weil ich davor zu viel Respekt hatte. Mich hat der Theaterdirektor wirklich gequält, wir müssen das machen. Dann hat das Deutsche Theater in München auch noch mal gepusht. Als die dann gesagt haben, sie wollen die Weltpremiere exklusiv haben, dann sagt man nicht Nein.
Passiert Dir das häufig, dass Leute an Dich herantreten mit einer Idee und Du sollst ein Musical draus machen?
Ja. Es ist wie bei Darstellern, die etwas bekannter sind. Die bekommen regelmäßig Drehbücher angeboten, denn wenn der bekannte Name dabei ist, klappt es auch besser mit der Film-Förderung. Ich bekomme im Jahr bestimmt drei, vier Exposés angeboten.
Vor 25 Jahren kam Dein erstes Musical auf die Bühne, „Paradise of Pain“, im Staatstheater in Saarbrücken und vier Monate später „Elements“ im renommierten Friedrichstadtpalast Berlin. Seitdem hast Du einige Stücke geschrieben, die über zwei Millionen Menschen gesehen haben. Was ist das für ein Gefühl, wenn Du auf diese Zeit blickst?
Ich sehe es nicht als selbstverständlich, dass man nach 25 Jahren immer noch sehr treue und enthusiastische Zuschauer hat. Das hat es überhaupt ermöglicht, dass unsere Stücke auch auf die Bühne kommen können. Denn unsere Musicals sind, leider im Gegensatz zu dem klassischen Opernbetrieb, immer unter einem unglaublichen, kommerziellen Zugzwang. Wir müssen genug Zuschauer erreichen, was ich etwas ungerecht finde. Ich bin daher unfassbar dankbar, dass wir bis dato über zwei Millionen Zuschauer unserer Werke hatten und bin noch dankbarer, dass es große Theaterproduzenten und Intendanten und Intendantinnen gibt, die an meine Vision glauben, wirklich neues Musiktheater zu schaffen und nach wie vor eine jüngere Generation wieder ins Theater zu bringen, ohne die ältere Generation zu verprellen. Denn das wird die größte Herausforderung in den nächsten 20 Jahren, dass der klassische Theaterbetrieb überhaupt weiterlaufen kann, sodass wir nicht die Asche weiterreichen, sondern die Glut. Ob es nun Musical, Oper oder Schauspiel ist. Ich glaube, dass auch im Bildungsbetrieb Musik und die musikalische Früherziehung wieder viel mehr im Vordergrund stehen muss. Denn Musik ist nicht nur Musik erlernen und spielen. Musik ist Kommunikation von ganz verschiedenen Elementen, die nicht alleine existieren können. Rhythmus ist verbunden mit Dynamik und verbunden mit Tonalität, Tonalität ist verbunden mit Melodie und so weiter. Es geht hier auch viel mehr als um Musik, sondern die Kinder lernen etwas über Integration. Alle Elemente sind verbunden – aber mit Regeln. Das ist wie eine philosophische Botschaft. Gerade für junge Menschen.
Die Musik ist die universellste Sprache der Welt. Ich war auf der ganzen Welt für die deutschen Botschaften und das Goethe-Institut unterwegs. Musik verbindet und was wir erlebt haben, ob in Asien, Russland, Sibirien oder Afrika, hat gezeigt, dass Musik die Sprache des Humanismus, der Liebe und des Friedens ist. Und dort, wo die Worte aufhören, beginnt die Musik.