Eine hellwache, zugewandte und sehr charmante Margarethe von Trotta redet im Interview mit uns über ihre Rolle als Filmemacherin, ihr Streben nach Unabhängigkeit und darüber, was ihr heute noch eine Gänsehaut macht.

Frau von Trotta, Ihr neuer Film ist einer großen Frau gewidmet: „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ handelt von den vier Jahren, in denen die Dichterin mit dem Schriftsteller Max Frisch liiert war. Der Film war ja schon lange abgedreht, bevor das Buch mit dem Briefwechsel zwischen Bachmann und Frisch erschienen ist. Hatten Sie vielleicht trotzdem vorher Zugriff auf die Briefe?
Leider nicht, weil der Suhrkamp-Verlag es mir nicht gestattet hat. Ich hatte sogar die Fürsprache von Ingeborg Bachmanns Bruder und auch von anderen, die im Gremium saßen. Aber der Verleger hat dichtgemacht. Er hatte wohl Angst, dass der Film zur selben Zeit herauskommen würde wie das Buch. Und er wollte die Aufmerksamkeit wahrscheinlich für sich alleine. Dass ich den Briefwechsel vorher nicht lesen konnte, hat mich natürlich in Bezug auf meinen Film etwas verunsichert. Aber ich habe einem ehemaligen Verlagslektor, der das Buch gut kannte, mein Drehbuch geschickt, mit der Bitte zu prüfen, ob ihn da etwas stören würde oder ob etwas gar falsch wäre. Er hat mir versichert, dass alles okay ist.
Sie haben Ingeborg Bachmann 1972 – ein Jahr vor ihrem Tod – in Rom getroffen. Hatte diese Begegnung Einfluss darauf, wie Sie Bachmann im Film auftreten lassen?

Ich bin damals zusammen mit Volker Schlöndorff und Mathieu Carrière in das Haus des Komponisten Werner Henze gefahren, das etwas außerhalb von Rom lag – und da saß sie plötzlich. Sie war damals schon sehr tablettensüchtig, was ich allerdings nicht wusste. Ich kannte ihre Gedichte und habe sie natürlich bewundert. Natürlich habe ich mir damals gewünscht, dass wir ins Gespräch kommen, was aber leider nicht passierte. Mir gegenüber war sie sehr zurückhaltend. Allerdings hatte sie großes Interesse an Mathieu Carrière, der ja ein sehr schöner Mann war. Ihn hat sie schon genau beäugt.
Sie haben für Ingeborg Bachmann in Vicky Krieps die Idealbesetzung gefunden. Ihre Darstellung ist sehr sensibel und introspektiv und doch auch sehr frei. Sie hat Bachmanns Denken und Fühlen sichtbar gemacht.
Ja. Ich konnte mir auch niemand anderen als Vicky Krieps für diese Rolle vorstellen. Vicky hatte mir schon früher mal geschrieben, dass sie sehr gerne mit mir arbeiten will. Und als sie erfahren hatte, dass ich den „Bachmann“-Film machen würde, hat sie sich noch einmal an mich gewandt. Danach haben wir intensiv miteinander korrespondiert. Ich hatte sie in dem Film „Der seidene Faden“ an der Seite von Daniel Day-Lewis gesehen und da hat sie mich wirklich sehr beeindruckt. Ganz besonders beeindruckt hat mich, dass sie ganz ernst sein kann und aus diesem Ernst heraus ihr Gesicht plötzlich zu einem Lächeln aufleuchtet. Diese Natürlichkeit, dass alles so durchscheint und aufbricht, das kann ein Schauspieler nicht herstellen. Das hat man von Natur aus – oder eben nicht. Und das war genau das, was ich für meinen Film gesucht habe.
Ihr Film handelt von den vier Jahren, in denen Ingeborg Bachmann mit Max Frisch eine Beziehung hatte. Warum haben Sie diesen Ausschnitt aus Bachmanns Leben gewählt?
Weil es ein sehr zentraler Lebensabschnitt für sie war. Man hatte mir da aber seitens der Produktion völlig freie Hand gelassen. Ich hätte also auch einen Film über ihre Beziehung mit Paul Celan machen können oder zu Werner Henze. Aber die Zeit mit Frisch war auch deshalb so wichtig für sie, weil sie da etwas erhofft hat zu finden, was sie bis dahin nicht gefunden hatte. Und sie sich vielleicht auch darüber eine Illusion gemacht hat, dass es ihr guttun könnte.
Sie hat bei Max Frisch Sicherheit gesucht und jemanden, der sie beschützt. Was aber ihrem künstlerischen Impetus dann doch im Wege stand …

… und genau daher kamen ja die Konflikte. Trotzdem hatte sie wohl diese kleine Hoffnung, dass sie doch jemand finden würde, der sie beschützt. Gleichzeitig wollte sie aber frei sein.
Sie sagten, dass Sie in Ihrer Beziehung mit Volker Schlöndorff ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie die Bachmann. Welche waren denn das? Können Sie die bitte genauer beschreiben?
Die Beziehung von Bachmann und Frisch kann man sicher nicht eins zu eins auf Volker und mich übertragen. Aber wenn man im selben Metier arbeitet, entstehen schon gewisse … ach, ich möchte mich dazu eigentlich nicht näher äußern. Volker war zum Beispiel nie eifersüchtig. Ich war immer die, die eifersüchtig war. (lacht) Ich bin immer ein Monster an Eifersucht gewesen. Damit habe ich mir eigentlich meine ganzen Liebesgeschichten zerstört. Auch deshalb konnte ich Frischs Eifersucht so gut nachvollziehen.
Dieser Kampf einer Frau nach Unabhängigkeit und die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern werden im Film sehr eindrucksvoll gezeigt. Da gibt es wohl schon Parallelen zu Ihrem Leben. Auch Sie mussten sich doch in einem von Männern dominierten Umfeld emanzipieren und sich schließlich behaupten. Und das ohne – wie die Bachmann – tablettenabhängig zu werden oder Alkoholikerin. Woher nahmen Sie die Kraft, Ihren Weg zu gehen?
Das hatte sicher mit meiner Mutter zu tun. Mein Mutter war ja nicht verheiratet. Mein Vater (der Maler Alfred Roloff; Anm. d. Red.) war 20 Jahre älter als meine Mutter und mit einer anderen Frau verheiratet. Ich bin also allein mit meiner Mutter aufgewachsen. Und sie war sehr, sehr unabhängig.

Sie sagte mir, sie hätte nie heiraten wollen, weil sie nie einem Mann hätte untertan sein wollen.
Wenn man damals heiratete, musste man als Frau „dem Mann untertan“ sein. Das war damals so. Meine Mutter war aber von sich aus eine sehr selbstständige und selbst denkende Person. Das hat sich einfach in mir fortgesetzt. Obwohl ich zweimal verheiratet war. Aber dieser Unabhängigkeitswunsch ist immer da gewesen.
Sie sagten auch, dass Sie Ihre Mutter geliebt haben und Sie Ihren Sohn lieben – was ist mit Ihren Männern?
Ich habe sie natürlich auch alle geliebt. Man lebt ja nicht mit einem Mann zusammen, den man nicht liebt. Um Gottes willen! Und ich bin schon gar keine Männerhasserin!
Man beginnt eine Beziehung und denkt, man könnte darin so bleiben, wie man sich wünscht zu sein. Und das geht dann nicht. Das hat Ingeborg Bachmann eben auch erlebt.
Dass sie dachte, sie könnte in ihrer Beziehung zu Frisch so frei und unabhängig sein, wie sie war – und das wurde ihr nicht gestattet.
Spiegeln Ihre Filme eigentlich Ihre geistige Verfassung wider, in der Sie waren, während Sie sie machten?
Ich denke schon. Ich versuche ja, mich den Personen anzunähern, über die ich einen Film mache. Man kann sie zwar nie ganz begreifen, aber man kann sich ihnen annähern. Manchmal ist es schwieriger und manchmal leichter. Bei Rosa Luxemburg zum Beispiel fiel es mir leichter, obwohl ich ja nicht zu ihrer Zeit gelebt habe und natürlich auch die Revolution nicht so verstehen konnte wie ein Zeitzeuge. Bei Hannah Arendt hingegen habe ich lange gebraucht, um sie verstehen und begreifen zu können. Es hat wirklich sehr lange gedauert, bis ich das Gefühl hatte, das Recht zu haben, über sie einen Film zu machen. Bei der Bachmann hatte ich das Gefühl, dass ich sie eigentlich gut kenne. Sie lebte ja sozusagen in meiner Zeit. Und ich habe ihre Gedichte geliebt und fühlte mich ihr nahe. Seit meinem 14. Lebensjahr habe ich mit Gedichten gelebt.

Können Sie noch ein Gedicht, das Sie selbst geschrieben haben, memorieren?
Nein. (lacht) Das will ich nicht. Aber ich habe sie auch nicht weggeworfen. Und neulich beim Umräumen – ich bin ja gerade von Paris nach München gezogen – habe ich sie wiedergefunden und gelesen. Und dachte: Ach, so schlecht waren die doch gar nicht. Da fällt mir etwas ein. Das muss ich Ihnen jetzt erzählen: Nachdem Ingeborg Bachmann gestorben war, hat mir ein Mensch – den ich nicht kannte und nie gesehen habe – Briefe geschrieben, in denen er sagte, ich sei ihre Reinkarnation. Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke. Ich fühlte mich regelrecht von ihm verfolgt. Irgendwann habe ich dann eine Art Hexenritual gemacht und alle seine Brief verbrannt. (lacht)

Sie werden oft als „feministische Filmemacherin“ bezeichnet. Warum nicht einfach „Filmemacherin“? Sie erzählen Filme aus einer weiblichen Perspektive. Wie schön. Grenzt Sie dieses Etikett nicht zu sehr ein?
Man bekommt eben sehr leicht so ein Label angehängt. Aber ich würde mich nicht dagegen wehren, als Feministin bezeichnet zu werden. Schließlich bin ich ja damals zusammen mit anderen Frauen auf die Straße gegangen, um für Frauenrechte zu demonstrieren, zum Beispiel gegen das Abtreibungsgesetz und so weiter.
Frau Krieps, die Bachmann und Sie sind Künstlerinnen. Die sich auf ihre Art und Weise ausdrücken und mitteilen. Künstler kann man doch nicht alle über einen Kamm scheren …
… naja, das stimmt schon. Aber wir Frauen haben schon an einem Strang gezogen. Als ich angefangen habe, Filme zu machen, gab es sehr wenige Frauen, die Filme machten und denen man das überhaupt zugetraut und erlaubt hat. Da haben wir schon mit Nachdruck alle gemeinsam darauf bestanden, dass man das Frauen durchaus zutrauen sollte, dass sie Filme machen können. Als ich 1978 mit meinem ersten Film „Das zweite Erwachen der Christa Klages“ auf der Berlinale war, habe ich vonseiten der Männer gehört: „Oh, da ist ja sogar eine Frau, die kann Filme machen!“ Das war der Zeitgeist damals. Und da waren ja noch ganz andere Sachen dabei, zum Beispiel hat jemand geschrieben: „Warum gibt man der eigentlich noch Geld für einen weiteren Film, nur weil sie keinen Schwanz hat?!“ Das würde sich heute keiner mehr trauen. Leider hat man sehr schnell vergessen, welches Klima damals herrschte. Und wie lange es gedauert hat, dass es normal ist, dass Frauen Filme machen und präsent sind.

In Ihrem Film lassen Sie Max Frisch sagen: „Männer verstehen wenig von Frauen.“ Verstehen Frauen von Männern mehr?
Nein. (lacht) Ich jedenfalls nicht. Aber das ist ja gerade das Spannende an einer Beziehung.
Wann haben Sie sich denn zum letzten Mal die Karten legen lassen?
Oh, das ist schon lange her. Ich habe sogar gelernt, selber Tarot-Karten zu legen. Und es war schon erstaunlich, wie viele Menschen zu mir kamen, um sich die Karten von mir legen zu lassen. Aber das mache ich schon lange nicht mehr.

Glauben Sie eigentlich noch an Schutzengel?
Wo haben Sie denn das alles her? (lacht) Ja, ich habe einen Schutzengel, von dem ich sogar den Namen weiß. Den hat mir vor 30 Jahren eine Frau in Italien mitgeteilt, die sich mit diesem Thema beschäftigt hat. Ich kann mich auch mit ihm in Verbindung setzen. Aber das ist ja mein eigenes Unbewusstes. Mein Verlangen, meine Wünsche oder Ängste, die ich da manifestiert sehe. Das ist nicht wirklich jemand aus dem Jenseits. Das glaube ich nicht. Ich glaube aber, dass man über Fragen an sein Unterbewusstsein an Geheimnisse herankommen kann, die man eben im wachen Zustand nicht sehen kann.
Sie haben als Schauspielerin angefangen. Warum haben Sie eigentlich damit aufgehört? Ich finde Sie in dem Film „Der Fangschuss“ absolut hinreißend.
Ja, das war ein guter Film, den Volker da gemacht hat. Und Ingmar Bergmann habe ich in diesem Film auch sehr gefallen, wie er mir einmal sagte. Damit hatte ich aber die Schauspielerei abgeschlossen. Ich habe nämlich immer daraufhin gelebt, dass ich Regisseurin werden konnte. Die Schauspielerin war ein gutes Mittel, um das Milieu des Filmemachens kennenzulernen und zu studieren.
Was wird die Zukunft für Sie bringen?
Ich habe gerade einen Riesenumzug hinter mir und habe mich daher sehr mit meiner Vergangenheit beschäftigt. Denn man muss ja auswählen: Was nehme ich mit und was nicht. Ich bin im Moment so in mein vergangenes Leben eingetaucht, dass ich mir gar keine Zukunft vorstellen kann. Aber das kommt sicher bald wieder.