Obwohl laut einer aktuellen Studie gerade mal 0,001 Prozent des Tiefseebodens visuell bekannt sind, hat US-Präsident Donald Trump jüngst per Dekret den umstrittenen Startschuss zur Ausbeutung der Rohstoffe in dem größten und weithin unerforschten Ökosystem und Biom der Erde gegeben.

Die Tiefsee macht rund 66 Prozent der Erdfläche aus und stellt damit das größte Ökosystem unseres Planeten dar. Dennoch war es natürlich reiner Zufall, dass etwa zeitgleich zwei die Tiefsee auf diametral unterschiedliche Weise betreffende Meldungen die Weltöffentlichkeit erreicht hatten. Zusätzlich hatte am 8. Mai 2025 die neueste Dokumentation des legendären Tierfilmers, Naturforschers und Schriftstellers Sir David Attenborough unter dem Titel „Ozean“ Premiere in den Kinos. An seinem 99. Geburtstag wollte der auch für sein Engagement zugunsten des Klimaschutzes bekannte Brite auf die zentrale Bedeutung gesunder Meere aufmerksam machen. Er warnte vor einer Zerstörung noch unbekannter Ökosysteme der Ozeane. Nachdem er jahrzehntelang die Naturwelt beobachtet hatte, habe er nun verstanden, so Attenborough, dass der „wichtigste Ort der Welt nicht an Land ist. Wir müssen darauf schauen, was momentan unter den Wellen passiert.“
Ökosystem mit enormer Artenvielfalt
Bei US-Präsident Donald Trump dürften seine fraglos vernünftigen Mahnungen auf taube Ohren gestoßen sein. Denn Trump hatte mit seiner Executive Order vom 24. April 2025 einen Wettlauf um die wirtschaftliche Ausbeutung wertvoller Rohstoffe in den Tiefen der Ozeane eingeleitet. Dieser hebelt das Völkerrecht aus. Obwohl der Meeresboden beziehungsweise die Tiefsee in internationalen Gewässern als gemeinsames Erbe der Menschheit gelten, hat Trump angekündigt, Lizenzen für den ökologisch höchst umstrittenen Tiefseebergbau vergeben zu wollen. Ziel ist es, die in 3.000 bis 6.000 Metern Tiefe vorkommenden sogenannten Manganknollen bergen zu lassen. Diese werden auch als polymetallische Knollen oder Ferromanganknollen bezeichnet. Spezialisten wie das kanadische Unternehmen „The Metals Company“ sollen sie fördern. Die Knollen bestehen aus verschiedenen Mangan- und Eisenverbindungen. Mangan dürfte wirtschaftlich am lukrativsten sein. Aber auch für Nickel, Kupfer oder Kobalt gibt es eine wachsende Nachfrage auf dem Weltmarkt.
Besonders pikant ist das von den USA ins Auge gefasste pazifische Abbaugebiet namens Clarion-Clipperton-Zone. Es liegt etwa 800 Kilometer südöstlich von Hawaii und ist die weltweit größte Manganknollen-Region. Also weit entfernt von jeglichen US-Hoheitsrechten wie der Zwölf-Meilen-Zone, die als seeseitiges Territorium eines Küstenstaates gilt. Oder der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), die sich auf 200 Seemeilen beschränkt. In der AWZ steht jedem Küstenstaat das alleinige Vorrecht zur Ausbeutung aller natürlichen Ressourcen zu. Inzwischen gelten mehr als 100 Millionen Quadratkilometer der Weltmeere als AWZ einzelner Staaten.
Mit rund zwölf Millionen Quadratkilometern beanspruchen die USA wegen ihrer zahlreichen überseeischen Gebiete und Inseln bereits die größte AWZ-Fläche. Frankreich folgt mit etwa zehn Millionen Quadratkilometern. Doch Trumps Initiative reicht noch weit darüber hinaus – in internationale Gewässer. Diese werden oft als Hohe See bezeichnet und machen mit rund 200 Millionen Quadratkilometern den größten Teil der Ozeanfläche aus, die insgesamt 335 Millionen Quadratkilometer beträgt.
Trumps Dekret widerspricht gängigem Völkerrecht. Seit Jahrzehnten diskutieren interessierte Staaten, ob und unter welchen Bedingungen Rohstoffabbau in der Tiefsee erlaubt werden soll. Doch bislang konnten sich die Mitglieder der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) nicht auf einen gemeinsamen Beschluss einigen. Die ISA wurde 1994 auf Grundlage des UN-Seerechtsübereinkommens Unclos ins Leben gerufen, das 1982 beschlossen und 1994 in Kraft trat. Ihr gehören derzeit 168 Staaten sowie die Europäische Union an.
Immer mehr Staaten drängen inzwischen auf ein vorläufiges Moratorium für den Tiefseebergbau. Insgesamt 32 Staaten haben es bereits unterzeichnet. Sie halten die Tiefsee für zu wenig erforscht und die ökologischen Risiken eines Abbaus für nicht abschätzbar. Die USA haben das als „Verfassung der Meere“ geltende Seerechtsübereinkommen Unclos weder unterzeichnet noch sind sie Mitglied der ISA. Deshalb halten Trump und die USA einen Alleingang beim Tiefseebergbau für möglich. Der US-Präsident beruft sich auf ein Gesetz von 1980 – den Deep Seabed Hard Mineral Resources Act. Dieses erlaubt der US-Ozeanbehörde, den kommerziellen Abbau von Rohstoffen auch in internationalen Gewässern freizugeben.

Niemand wird die USA stoppen können, weil es keinerlei Sanktionsmöglichkeiten gibt. „Vor einen internationalen Gerichtshof, wie den IGH in Den Haag, kann man die USA ohne ihre Zustimmung nicht zitieren. Gegenmaßnahmen als Reaktion auf einen Völkerrechtsverstoß sind unwahrscheinlich und würden sich voraussichtlich in Handelsmaßnahmen erschöpfen. Gegen einen Präsidenten, der gezielt völkerrechtliche Regelungen torpediert und aus dem Multilateralismus aussteigt, greifen die schwachen Durchsetzungsmechanismen des Völkerrechts nicht“, so Prof. Nele Matz-Lück. Sie ist geschäftsführende Direktorin am Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Das sagte sie in einem Kommentar des Portals energiezukunft.eu.
Umweltschützer hat Trumps Plan natürlich auf die Palme gebracht. „US-Präsident Donald Trump kündigt de facto ein gemeinsames Vorgehen auf und verwandelt die Tiefsee mit Partnern wie The Metals Company in den Wilden Westen“, so Greenpeace. „Den Tiefseebergbau in internationalen Gewässern gestützt auf ein amerikanisches Gesetz zu erlauben, ist ein beispielloser Dammbruch.“
Schäden können irreversibel werden
„Welcher Staat wird sich dann noch an den Tisch setzen, um über Bedingungen und Schutzzonen zu verhandeln, während die USA bereits nach eigenen Spielregeln loslegen? Das wäre Wild West 2.0 mit dem Recht des Stärkeren und einem rücksichtslosen Run auf die besten Claims“, so der Geograf Dr. Andreas Manhart vom Öko-Institut Freiburg.
Mögliche Schäden bei der Rohstoffbergung könnten irreversibel sein. Denn Tiefsee-Ökosysteme entwickeln und regenerieren sich sehr langsam – teils über Millionen von Jahren. Laut Umweltbundesamt gibt es bislang kaum spezifische Techniken für den kommerziellen Tiefseebergbau in mehreren Tausend Metern Tiefe. Zudem ist unklar, ob sich der beträchtliche finanzielle Aufwand wirtschaftlich lohnt. Auch die offenen Fragen zur Umweltzerstörung und Nachhaltigkeit sind nicht geklärt.
Zwei Wochen nach Trumps Dekret wurde im Fachmagazin „Science Advances“ eine imposante Studie veröffentlicht. Sie wurde von renommierten Institutionen wie der „National Geographic Society“ mitfinanziert und bestätigt sämtliche Bedenken an einer vorschnellen Ausbeutung der Tiefsee. Federführend war Dr. Katy Croff Bell, eine international angesehene US-Meeresforscherin. Sie ist Präsidentin der 2021 gegründeten gemeinnützigen „Ocean Discovery League“ in Saunderstown, Rhode Island.
Die Studie konnte den verblüffenden Nachweis erbringen, dass bislang nur maximal 0,001 Prozent der Tiefsee visuell erfasst worden sind. Gemeint ist der Bereich jenseits von 200 Metern unter der Meeresoberfläche. Das entspricht gerade einmal 3.823 Quadratkilometern – kaum mehr als die Fläche Mallorcas oder ein Zehntel von Belgien.
Für die visuelle Beobachtung des tiefen Meeresbodens stehen mittlerweile ausreichend technische Mittel zur Verfügung. Dazu gehören bemannte und ferngesteuerte Tiefseefahrzeuge, autonome Unterwasserfahrzeuge, Schleppkameras sowie sogenannte Benthische Lander, also autonome Forschungsplattformen. Doch nur fünf Staaten können und wollen sich die aufwendige und teure Forschung leisten: die USA, Japan, Neuseeland, Frankreich und Deutschland. Sie allein verantworten 97 Prozent aller seit 1958 registrierten Tiefseetauchgänge.
Neben der Kartierung des Meeresbodens mit Satelliten und Sonar ist laut Dr. Croff Bell die visuelle Bildgebung „eine der wichtigsten Methoden zur Untersuchung des tiefen Meeresbodens“. Sie bringe alle Bereiche der ozeanografischen Wissenschaft voran. Doch „obwohl menschliche Aktivitäten die Tiefsee bedrohen“, so Dr. Croff Bell, „haben wir bei der Erforschung und Charakterisierung des Tiefseebodens bisher kaum an der Oberfläche gekratzt.“
Der Mensch beeinflusst die Tiefsee, „das am wenigsten erforschte und verstandene Biom der Erde“, schon seit Jahrhunderten. Etwa durch die Entsorgung von Abfällen, chemische Verschmutzung, die Ausbeutung geologischer und biologischer Ressourcen sowie durch Klimawandel und Ozeanversauerung. Dem müsse Einhalt geboten werden. Denn die Tiefsee sei „ein Hort vielfältiger Ökosysteme und Prozesse“. Diese bieten dem Planeten und der Menschheit entscheidende Vorteile – von Sauerstofferzeugung und Klimaregulierung bis hin zu Nahrungsmitteln und Arzneimitteln.

Mangelndes Wissen über die Tiefsee hatte bis vor Kurzem zu gravierenden Fehleinschätzungen geführt. Noch im Jahr 1971 stuften Wissenschaftler die Lebensdichte in der Tiefsee als „extrem niedrig“ ein. Diese Einschätzung beruhte auf wenigen visuellen Beobachtungen. „Wir wissen heute“, so Dr. Croff Bell, „dass die Biomasse deutlich dichter und vielfältiger ist.“
Ein Beispiel: Die Chemosynthese entwickelte sich ab 1977 von einer bloßen Hypothese zu einem eigenen Wissenschaftsgebiet. Damals dokumentierte eine Tiefseeexpedition erstmals hydrothermale Quellen. Diese Quellen beherbergen viele Lebewesen, die ohne Sonnenlicht gedeihen und symbiotische Beziehungen eingehen. Diese Entdeckung ist heute ein zentraler Bestandteil der astrobiologischen Forschung. Sie bildet eine Grundlage für Theorien zur Entstehung des Lebens auf der Erde – und auf anderen Planeten.
Das Interesse am Abbau der Manganknollen hat bei genaueren visuellen Erkundungen rund um die von Trump ins Auge gefasste Clarion-Clipperton-Zone nicht nur zur Entdeckung Hunderter neuer Arten geführt. Es gibt auch Prognosen über Tausende noch unbekannter Spezies. Zudem lieferte die Forschung eine sensationelle neue Erkenntnis: „Die jüngste Entdeckung der Produktion von ‚dunklem‘ Sauerstoff durch elektrochemische Reaktionen zwischen polymetallischen Knollen – statt durch Photosynthese – stellt Annahmen über die mögliche Entstehung des Lebens auf der Erde infrage“, sagt Dr. Croff Bell.
Kartierung braucht über 100.000 Jahre
Mit erhöhter Beobachtungskapazität könnten noch viele solcher bahnbrechenden Erkenntnisse gewonnen werden. Allerdings drängt die Zeit. Eine vollständige Visualisierung des Meeresbodens würde mehr als 100.000 Jahre dauern. Selbst wenn 1.000 weltweit operierende Plattformen zum Einsatz kämen, könnten sie mit der heutigen Technik nur jeweils drei Quadratkilometer pro Jahr erfassen. „Wir müssen die Ökosysteme und Prozesse der Tiefsee viel besser verstehen“, sagt Dr. Croff Bell. Nur so könne man fundierte Entscheidungen über die Bewirtschaftung und den Schutz der Ressourcen treffen.
Dr. Croff Bell und ihr Team hatten rund 44.000 visuelle Tiefsee-Tauchgänge ausgewertet. Diese wurden seit 1958 von 34 Institutionen in 14 Ländern durchgeführt – innerhalb von 120 Ausschließlichen Wirtschaftszonen und auf der Hohen See. Fast 30 Prozent der Expeditionen fanden vor dem Jahr 1980 statt. Sie lieferten meist nur Schwarz-Weiß-Bilder mit geringer Auflösung.
Ein weiteres Problem: 65 Prozent aller visuellen Beobachtungsdaten stammen aus einem Umkreis von 200 Seemeilen rund um nur drei Länder – die USA, Japan und Neuseeland. Das führte zu einer problematisch kleinen und verzerrten Stichprobe. Viele Meeresgebiete sind dadurch bis heute gänzlich unerforscht geblieben. Hinzu kommt eine Bevorzugung bestimmter geologischer Strukturen. Canyons oder Steilhänge wurden deutlich häufiger untersucht als Schelfe oder Tiefseeebenen. Auch zwischen Hoher See und AWZ besteht ein Ungleichgewicht. Vor dem UN-Seerechtsübereinkommen fand noch fast die Hälfte aller Tauchgänge in internationalen Gewässern statt. Heute liegt der Schwerpunkt klar in den AWZ.

Seit den 2000er-Jahren habe sich laut Dr. Croff Bell einiges verbessert. Mehr Tauchgänge und ein wachsendes Interesse von Staaten und Institutionen haben Fortschritte gebracht. Dennoch betont sie „die dringende Notwendigkeit umfassender und globaler Anstrengungen zur Erforschung der Tiefsee“. Nur so könne sichergestellt werden, dass Forschung und Naturschutz die wahre Ausdehnung des Meeresbodens widerspiegeln.
Mit technologischem Fortschritt und kleineren, günstigeren, benutzerfreundlicheren und autonomeren Tiefseegeräten rechnet sie mit einer weltweiten Verbreitung der Technologie. Das würde die Tiefseeforschung global ausweiten. Es brächte eine gerechtere Erfassung weltweiter Tiefseedaten. Neben der Beschleunigung der Datenerfassung müsse die Forschung gezielt Standorte identifizieren, die bestehende Lücken schließen. Ziel sei eine erste unvoreingenommene und statistisch repräsentative biogeografische Charakterisierung des gesamten Tiefseebodens. Auf jeden Fall sollten künftig auch Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen Möglichkeiten zur Beteiligung an der Tiefseeforschung erhalten.