Ziehl-Abegg stellt Elektromotoren her – und gilt als das erfolgreichste europäische Unternehmen auf TikTok. Verantwortlich für diesen Erfolg ist Pressesprecher Rainer Grill, der die Videoplattform als Influencer für seinen Arbeitgeber nutzt.
Herr Grill, unser Interview per Videoschalte zeigt eine Menge Logos in Ihrem Hintergrund. Worum handelt es sich dabei?
Dies sind die Logos unserer Sponsoren für die E-Sports-Turniere.
Ziehl-Abegg stellt Ventilatoren, Elektromotoren und Regelgeräte her. Wozu eine E-Sports-Gruppe?
Früher gab es den Fußballplatz, wo man Banner seiner Firma aufgehängt hat, um Menschen auf sich aufmerksam zu machen. Jetzt finden wir einen Teil auf TikTok, ein anderer trifft sich mit Freunden, wiederum andere zocken am Computer. Ob ich es mag oder nicht, wenn ich jüngere Leute ansprechen möchte, muss ich dort sein, wo ich diese antreffe. Zum Beispiel auch bei E-Sports. Das ist auch eine Art Betriebssport, jeden Donnerstagabend treffen sich junge Kolleginnen und Kollegen online, um miteinander am Computer zu spielen. Nach außen wirken dann E-Sports-Turniere, die wir ausrichten: mit regionalen und semiprofessionellen Teams. Es gibt die Spiele Rocket League, Pokémon Unite oder Counterstrike 2. Unsere Kommentatoren tragen T-Shirts mit unserem Logo drauf, wir zeigen unsere Werbung zwischen den Spielen. Und das führt dazu, dass wir keine Probleme haben, leere Stellen in den Bereichen Duale Ausbildung und Duales Studium im Bereich IT zu besetzen.
Sie sind selbst mit Ihrem Team auf TikTok unterwegs, posten wöchentlich mehrere Videos, die gerne mal viral gehen, der Kanal hat mehr als 120 Millionen Views und 111.000 Follower. Würden Sie sich als Influencer bezeichnen?
Das ist eine Definitionsfrage. Ist ein Influencer jemand, der von der Firma gesteuert wird und direkt etwas aus dem Unternehmen berichtet, über seine Arbeit, über Sach- und Fachthemen? Oder ist es jemand, der unterhaltsame Videos wie unsere postet? Wir posten ganz selten etwas mit direktem Bezug zu unseren Produkten oder der Firma, aber ich würde schon sagen, ich bin ein Influencer. Flankiert wird dies von meinem Linked-In-Account, auf dem ich sehr aktiv bin. Ich tue mich noch etwas schwer damit, mich unter den Begriff Influencer einzuordnen. Für viele bin ich einfach der „TikTok-Rainer“.
Wann und warum hat das Engagement auf TikTok begonnen?
Ich habe im Frühsommer 2019 viel über TikTok gelesen. Im Urlaub habe ich mir die App heruntergeladen und damit herumexperimentiert. Das Video über Bären in einem Freigehege bekam Hunderte Views, ohne dass ich irgendeinen TikTok-Kontakt oder Follower hatte. Das hat mich erstaunt. Ich bekam also hier kostenlos viel Reichweite. 2020 haben wir dann im Unternehmen mit TikTok-Videos während des ersten Corona-Lockdowns begonnen.
Die Videos spielen meist mit TikTok-Trends. Gibt es dafür einen Content- oder Redaktionsplan?
Nein. Wenn jemand eine Idee hat, sprechen wir uns in einer Whatsapp-Gruppe mit Rebecca Amlung, Tamara Hirmann und mir ab und machen dann das Video. Wir sind mit offenen Augen auf TikTok unterwegs, sehen Themen, Trends und Memes und orientieren uns daran. Die Trendsetter bekommen dann im Video einen Credit von uns.
Warum braucht das Unternehmen diesen Kanal nun?
Ein klassisches Unternehmen wie unseres ist ein B2B-Industriezulieferer. In unserer Branche kennt man uns von hier bis Australien und ich muss keine Werbung dafür machen, welche Aufzugsmotoren oder Industrieventilatoren wir herstellen. Würden wir Videos über Ventilatoren drehen, würden sich Menschen die Videos anschauen, die sich beruflich mit Ventilatoren auskennen. Wir brauchen jedoch Fachkräfte. 50 Kilometer von unserer Zentrale in Künzelsau bei Heilbronn entfernt kennt uns kaum ein Mensch, den ich auf der Straße anspreche. Das wollten wir ändern.
Das heißt, man kennt das Unternehmen jetzt losgelöst von seinen Produkten, eben wegen jener TikTok-Videos?
Genau. So kommen wir nun besser mit potenziellen Interessenten für die Jobs ins Gespräch, die wir zu vergeben haben, und zwar außerhalb unserer eigenen Blase. Die Welt nach Corona ist nicht mehr dieselbe, die Demografie verändert sich, die Konjunktur ist schlechter, das heißt, wir erhalten auch mehr Bewerbungen. Aber ob dies etwas mit unseren Videos zu tun hat, können wir nicht seriös nachvollziehen. Das schreibt niemand in seine Bewerbung hinein. Zumal der Ruf von TikTok durch Gerüchte über Datentransfer nach China und politische Instrumentalisierung gelitten hat. TikTok wirkt bei uns aber auf die berufserfahrenen Softwareingenieure, auf strategische Einkäufer, auf IT-Mitarbeiterinnen und macht diese auf uns aufmerksam.
Hat sich die Geschäftsführung anfangs dagegen gesträubt?
Ich habe lange überlegt, wie ich das anpacke. Unternehmensmarketing achtet ja in der Regel auf gleichförmige Kommunikation in jedem Land, damit der Markenauftritt immer wiedererkannt wird. Jetzt komme ich mit meiner neuen Idee an auf einer Plattform, auf der andere Regeln gelten. Dazu braucht es normalerweise Arbeitsgruppen, neue Prozesse, außerdem sind wir ein klassisches seriöses deutsches Industrieunternehmen. Auch hier bei uns waren viele anfangs skeptisch. Also bin ich zum Vorstand, habe meine Idee vorgestellt und darum gebeten, das nach Feierabend machen zu können. Damit uns niemand reinredet. Ich bin der Pressesprecher, habe schon ein Gefühl für die Außenwirkung, dazu kam das Vertrauen des Vorstandes. Da kam also eins zum anderen. Und der Vorstand sagte: „Macht mal!“
Worin besteht der Erfolg dieser Videos?
In Image-Bildung. TikTok Europe sagt, wir sind das erfolgreichste europäische Unternehmen im B2B-Bereich. Reine Views und Follower bringen der Firma jedoch nichts. Der Mehrwert, vor allem für eine B2B-Firma, zeigt sich auch in den Kommentaren. Dort werden Fragen gestellt. „Cool, kann man bei Euch eine Ausbildung machen?“ Die Mehrheit derjenigen, die auf unsere Videos reagieren, ist jedoch älter als die Jugendlichen im Azubi-Alter. Es kommentieren Software-Entwickler, Controller, Qualitätsmanager und andere, die vielleicht schon einen Job haben. Trotzdem suchen sie aus einem Impuls heraus, nachdem sie ein Video gesehen haben, unseren Kontakt und unsere Karriereseite. Andere Unternehmen zahlen viel Geld für diese Kontakte oder für Headhunter. Daher bemühen wir uns, schnell auf Kommentare zu antworten – und zwar nicht erst acht Stunden später, sondern auch mal samstags um 16 Uhr oder abends um zehn. Community-Management darf also nicht lästig sein. Das Image hebt uns auch ab. Wir suchen unter anderem Absolventen technischer Hochschulen – so wie viele andere Mitbewerber der Region wie Bosch und Porsche. Sehr viel bekanntere Namen als unserer. Die Absolventinnen und Absolventen aber kennen uns von TikTok. An der Hochschule in Esslingen tauchen wir dann auf Karrieremessen mit unserem Stand auf und kommen wegen unserer Videos sofort mit den Studierenden ins Gespräch. Man kommt gezielt auf uns zu, und das ist anders als vor unseren TikTok-Videos.
Gibt es Zahlenbeispiele dafür?
Während einer Umstellung auf SAP haben wir viele IT-Fachleute gesucht. Eines unserer Videos in dieser Zeit hatte so ein bisschen mit ITlern und dem nicht vorhandenen Dresscode in der Firma zu tun. Vom Video aus konnte man in unserer Bio auf einen Link klicken, der zu unserer Karrierewebseite führt. In der Woche dieses Videos haben wir 32 IT-Jobs ausgeschrieben. 1600 Menschen auf TikTok haben auf unseren Link geklickt, mehr als 800 davon haben sich konkrete Stellenangebote angeschaut. Ohne einen Euro dafür zu zahlen.
Wie lautet Ihr Rat für Unternehmen, die damit anfangen möchten?
Sucht Euch Content, der zu Euch passt. Es gab ja auf TikTok einen eigenen Kanal für die Ledertasche des Bundeskanzlers. Das war für meinen Geschmack nicht authentisch. Da hätte ich zum Beispiel eher erwartet, dass der Kanzler politische Zusammenhänge erklärt. Wer Inhalte hat, sollte diese benutzen. Niemand muss witzig sein auf TikTok, wenn er etwas zu sagen hat. Man sollte sich überlegen, welche Videos man selbst gerne anschauen würde. Und dann mit Mut loslegen.