Ein Riese in Nantes, die traumhaften Strände in Saint-Nazaire und das bezaubernde Städtchen Sainte-Suzanne. Eine Reise durch das Département Loire-Atlantique.
Da kommt er, der Große Elefant“, rufen in Nantes plötzlich die Kinder und rennen gleich zu ihm hin. Der 48 Tonnen schwere und zwölf Meter hohe mechanische Riese bewegt die Ohren, trompetet laut und sprüht auf einmal Wasser aus dem Rüssel. „So was bringt Glück“, lacht eine Frau. Das stimmt genau. Denn dieser Elefant, der seit 2007 mit Menschen auf dem Rücken auf der Île de Nantes – einer innerstädtische Loire-Insel – unterwegs ist, hat auch der Stadt Glück gebracht. Als dort 1987 die Werften geschlossen wurden, rettete er Nantes aus der Wirtschaftskrise. Denn in die leeren Hallen waren einige Künstler gezogen und bastelten dort aus allerlei Materialien diverse Fabelwesen, die „Machines de l’île“.
Zum Star wurde jedoch der Große Elefant, gefertigt von François Delarozière und Pierre Orefice.
Nantes, die sechstgrößte Stadt Frankreichs, blühte wieder auf und macht es nun allen leicht, weitere Sehenswürdigkeiten zu finden. Besucher brauchen nur der grünen Linie auf dem Pflaster zu folgen, die entlang der Loire auch zu den 18 großen Metallringen führt, geschaffen von Daniel Buren und Patrick Bouchain, genannt Les Anneaux. Durch diese Ringe sind die Bauten am anderen Loire-Ufer mitsamt der Kirche Notre-Dame de Bon-Port zu sehen. Ein beliebter Blick.
Schloss der Herzöge der Bretagne
Wer dann auf der Brücke „Pont Anne de Bretagne“ die Loire überquert, gelangt geschwind in die Altstadt. Die westliche grüne Linie schlängelt sich dort vorbei am Naturkundemuseum mit seiner sehenswerten Sammlung zum Place Graslin.
Weiter zum Schloss der bretonischen Herzöge und zur gotischen Kathedrale St. Peter & St. Paul von 1434 (Baubeginn). Die Schäden, die ein Brandstifter am 18. Juli 2020 drinnen verursachte, sind jedoch noch nicht gänzlich beseitigt, sodass die Kathedrale erst Ende 2023 wieder teilweise geöffnet werden soll. Doch allein die von zwei Türmen flankierte Hauptfassade und das figurenreiche Tympanon über dem roten Portal lohnen den Abstecher ebenso wie ein Gang durch den Modetempel „Passage Pommeraye“ von 1843. Besonders geschätzt wird die sogenannte Reise Le Voyage à Nantes, die die Bewohner und die Gäste von Ostern bis in den Herbst mit diversen Veranstaltungen und feiner Küche erfreut. Das „Voyage à Nantes Festival“ vom 1. Juli bis zum 3. September 2023 hält außerdem kulturelle Attraktionen bereit, darunter mehrere Ausstellungen.
Darüber hinaus ist die schöne Umgebung eine Verlockung. Nantes wurde 2013 sogar als Grüne Hauptstadt Europas prämiert.
Auch die Stadt Saint-Nazaire lockt. Die rund 50 Kilometer lange Strecke kann ab Nantes mit Bahn, Fahrrad und Auto zurückgelegt werden, am romantischsten jedoch per Schiff. Unterwegs überrascht ein Haus in der Loire. Das ist nicht abgesackt, sondern ein Kunstwerk von Jean-Luc Courcoult. Angekommen in Saint-Nazaire laden eine drei Kilometer lange Promenade und 20 Strände unterschiedlicher Art und Größe zum Flanieren und Baden ein.
Saint-Nazaire, heutzutage eine der wichtigsten Städte im Loiretal-Atlantik hat viele Facetten, was seiner Rolle im Zweiten Weltkrieg zuzuschreiben ist. Die deutschen Besatzer hatten die Stadt zur Marine-Festung ausgebaut, Bombardierungen seitens der Alliierten waren die Folge.
U-Boote aus dem Zweiten Weltkrieg
Der große U-Boot-Bunker hat jedoch dem Bombenhagel standgehalten. Nun beherbergt dieser Beton-Koloss die Ausstellung „Escal’Atlantique“, die sich vor allem den in Saint-Nazaire gebauten Passagierschiffen widmet. Ein weiterer Besuchermagnet ist das U-Boot Espadon in der im Zweiten Weltkrieg befestigten Schleuse. Interessierte können es sich auch von innen anschauen. Dass Saint-Nazaire bei Kriegsende zu 80 Prozent zerstört war, wissen wohl nicht alle Besucher. Nur die hübschen Häuser in der zweiten Reihe blieben verschont. Den Wiederaufbau leitete der Architekt Noël Le Maresquier und schuf eine moderne Stadt. Doch der Schiffbau ist weiterhin ein ganz wichtiger Faktor. Sehr gefragt sind daher die Führungen durch die Werft Chantiers de l’Atlantique, wo riesige Kreuzfahrtschiffe gebaut werden. Saint-Nazaire ist einer von sechs Standorten weltweit, die mehr als 300 Meter lange Schiffe bauen können.
Dennoch streben die Urlaubenden eher zu den Stränden, vor allem zum Strand von Saint Marc sur Mer, da dort der Kult-Film „Die Ferien des Monsieur Hulot“ gedreht wurde, und im blauen „Restaurant de la Plage de Mr. Hulot“. Doch nicht nur dort gibt es leckere Fischgerichte. Die „Linguines au homard“, Hummerstücke unter dünnen Nudeln, in der Bar lodé auf dem stadtnahen Place du Commando sind noch in bester Erinnerung.
Etwas ganz Neues ist außerdem in der Ferne zu sehen: Frankreichs erster Offshore-Windpark, der am 13. November 2022 eröffnet wurde. Die 80 Windturbinen stehen zwölf bis 20 Kilometer vor der Küste und produzieren 20 Prozent des jährlichen Stromverbrauchs im Département Loire-Atlantique.
Danach ein kompletter Richtungswechsel über Nantes ostwärts nach Angers (sprich Angee), der früheren Hauptstadt der historischen Region Anjou. Gleich bei der Ankunft fällt das von 17 robusten Türmen geschützte Schloss auf, das die machtvolle Dynastie der Plantagenêts im 12. Jahrhundert errichten ließ. Die Turmspitzen wurden allerdings in den Religionskriegen abgetragen, um besser schießen zu können, was den kraftvollen Eindruck noch verstärkt.
Gut so, hütet doch dieses Schloss einen von Frankreichs größten Schätzen – einen 103 Meter langen und 4,3 Meter hohen Wandteppich mit dem Zyklus der Apokalypse, der Offenbarung des Johannes. Um diesen größten, jemals in Europa gewebten Wandteppich zeigen zu können, wurde 1954 auf dem Schlossgelände ein zusätzliches Gebäude errichtet. Drinnen fasziniert der Farbreichtum vieler Szenen. Beauftragt von Herzog Ludwig I. von Anjou machten sich von 1373 bis 1382 die größten Künstler an die Arbeit. Der Webermeister Nicolas Bataille koordinierte das Geschehen, der Hofmaler Jan Bondol machte die Entwürfe, und in der damals berühmten Teppichweber-Werkstatt von Robert Poisson in Paris entstand ein 140 Meter langer Wandteppich mit 84 Szenen.
So gesehen ist davon fast ein Drittel verloren gegangen, da der lange Wandteppich infolge der Französischen Revolution zerschnitten und die Stücke mitunter sogar als Bettvorleger verwendet wurden. Auch ein Gang durch Angers Altstadt Richtung Kathedrale lohnt sich, sind dort doch die ältesten Häuser zu finden.
Nun gen Norden ins Département Mayenne, das ungeahnte Schätze bietet, die noch keine Touristenströme ausgelöst haben. Mayenne heißen aber auch ein Städtchen und der Fluss, der durch die freundliche Hauptstadt Laval mit ihren knapp 50.000 Einwohnern fließt. Auf einer mittelalterlichen Brücke überqueren diese fast täglich den Fluss und betonen, dass sie in keiner anderen Stadt leben möchten.
Mittelalterliches Flair in autofreier Stadt
Überdies gibt es im 24 Kilometer westlich gelegenen Dorf La Frénouse etwas Einzigartiges: das Museum Robert Tatin. Tatin (1902 – 1983) – Ingenieur, Architekt, Maler und Bildhauer – schuf dort nach langen Auslandsreisen – zusammen mit seiner Frau Lise – in 21-jähriger Arbeit ein Weltmuseum, das an Fantasie und Eigenart sicherlich nicht nur Frankreichs Museen übertrifft. Es gilt als „Beispiel für autodidaktisch erstellte fantastische Architektur“.
Hin zum Museum führt eine „Galerie der Giganten“. Damit hat Tatin den Menschen ein steinernes Denkmal gesetzt, die er für wichtig gehalten hat, seien es Heilige oder Künstler. Mit Wissen und Witz hat er auch ihre Eigenheiten verewigt. Dargestellt sind unter anderem Gauguin, Toulouse-Lautrec, Rousseau und selbstverständlich Picasso. Die Frauen, oft Partnerinnen der Künstler, kommen ebenfalls nicht zu kurz.
Nach solchen Eindrücken ist das mittelalterliche und autofreie Städtchen Sainte-Suzanne östlich von Laval ein andersartiger, liebenswerter Kontrast. Es gilt als einer der schönsten Orte Frankreichs und hat von 1083 bis 1086 dank seiner massiven Schutzmauern sogar der Belagerung durch Wilhelm den Eroberer getrotzt.
Auch das mächtige romanische Schloss, das die Familie Beaumont Anfang des 11. Jahrhunderts errichten ließ, hielt damals stand, präsentiert sich jetzt jedoch als imponierende Ruine. Warum? „Bald nach den Kämpfen wurde es verlassen, und lange Zeit hat sich niemand darum gekümmert“, berichtet die pensionierte Deutschlehrerin Yveline Girard und verweist sogleich auf den hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich.
Tatsächlich geriet Sainte-Suzanne von 1425 bis 1439 unter englische Herrschaft, und das Schloss wurde zur Ruine. Herumliegende Steine seien mitunter zum Häuserbau verwendet worden, fügt Yveline Girard hinzu.
„Später, als sich romantische Seelen für mittelalterliche Ruinen interessierten, erkannte man auch in Sainte-Suzanne, welch ein Schatz dieses Ensemble war und sicherte die Schlossruine“, sagt Yveline auf dem Rundweg entlang der mächtigen Schutzmauern. Der führt zum Renaissance-Schloss, das Guillaume Fouquet de la Varenne bis 1608 bauen ließ. 1999 erwarb das Département Mayenne dieses Schloss. Bis 2009 wurde es aufwendig restauriert und durch ein modernes Multimedia-Center aufgewertet.
Dort stehen Architektur, Kultur und Geschichte auf dem Programm, also die Pflege des historischen Erbes nicht nur in Sainte-Suzanne, sondern im gesamten Département Mayenne. Durch die Ruine des alten Schlosses führen nun Treppen und Stege. Reich und mächtig müssen die Erbauer gewesen sein.
Welch eine Mittelalter-Perle Sainte-Suzanne wirklich ist, beweist der Blick von einem nahen Hügel. Ruhesuchende machen dort gern Urlaub, finden gegenüber dem Touristenbüro auch gleich einen Gasthof sowie im Städtchen und nahebei Zimmer oder Ferienwohnungen.
Kann ein Schloss gemütlich sein? Durchaus, und das beweist das in Privatbesitz befindliche Château de Bourgon in 53150 Montsûr, erbaut im 15/16. Jahrhundert. Lässt sich das bisher Erlebte noch überbieten? Experten haben es vorher bejaht und auf die Königliche Abtei Fontevraud nahe Saumur verwiesen. Recht haben sie, schon bei der Ankunft strahlt der weiße Kalkstein der Abteikirche wie zur Begrüßung. Fontevraud, gegründet um das Jahr 1101 als gemischtes Kloster vom Wanderprediger Robert d’Arbrissel, entwickelte sich aus bescheidenen Anfängen zur größten klösterlichen Anlage Europas und zu einem architektonischen Gesamtkunstwerk. Von 1115 bis 1792 hatten dort 36 Äbtissinnen das Sagen.
Urlaub für Ruhesuchende
Zu verdanken war diese Entwicklung dem Haus Anjou-Plantagenêt, einer französischen Herrscherdynastie, die von 1154 bis 1485 die Könige von England stellte. Die förderte die Abtei und bestimmte sie zu ihrer Grablege.
Im Langschiff der Abteikirche liegen nahe dem romanischen Chor – aus Kalktuff gefertigt – zunächst Heinrich II. von England und Eleonore von Aquitanien. Hinter ihnen ruhen Richard Löwenherz und Isabelle von Angoulême. Die originalen Farben ihrer Gewänder sind erstaunlicherweise recht gut erhalten.
1792, in der Französischen Revolution, wurde jedoch die Abtei aufgelöst und dann unter Napoleon in zehnjähriger Bauzeit in ein Gefängnis verwandelt.
Von 1814 bis 1963 war es die am meisten gefürchtete Haftanstalt Frankreichs. Eine Dauerausstellung schildert diese Zeit. Nun ist Fontevraud nach dem Rückbau der napoleonischen Veränderungen und umfänglichen Restaurierungen wieder schön und gehört zum Unesco-Weltkulturerbe. Sogar die romanische Küche wurde wieder hergestellt. Ein neues Museum für moderne Kunst ist ebenfalls entstanden.
Die ganze Anlage mit den Kreuzgängen, dem Refektorium und dem bebilderten Kapitelsaal begeistert alle Augen. 900 Jahre Geschichte sind zu neuem Leben erwacht. Anstelle von Messen und Predigten stehen jetzt Konzerte, Ausstellungen, Kurse und Kongresse ganzjährig auf dem Programm. In den Sommerferien kommen zahlreiche Familien mit Kindern nach Fontevraud. Auf den Rasenflächen stehen dann auch Liegestühle bereit.
Das schon 2013 in einem ehemaligen Frauenkloster eröffnete Hotel mit seinen 54 Zimmern hat als Koch den jungen, 42 Jahren alten Thibaut Ruggeri engagiert, der bereits mit dem Bocuse d’Or und einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde und auf regionale und Bio-Produkte setzt. Die Hotel-Gäste suchen sich für den Abend zumeist eine Eremiten-Mahlzeit aus, die auf Wunsch im Zimmer serviert wird. Gourmet-Menüs werden ebenfalls geboten, und beim Frühstück im Refektorium oder draußen im Sonnenschein bleiben auch keine Wünsche offen. Klösterliches Fasten ist dort nicht mehr nicht angesagt.