Verbände und Initiativen bremsen die Energiewende, dahinter stecken wirtschaftliche und politische Interessen. Dabei sind Erneuerbare heute schon deutlich günstiger zu haben als jede andere Energiequelle.
Dank Solarpaket und weiterer Reformen kommt die Energiewende langsam in Fahrt. 2023 lieferten Sonne, Wind, Wasserkraft und die anderen „erneuerbaren“ Energiequellen 52 Prozent des Stroms in Deutschland. Inzwischen sind es rund 56 Prozent. Damit das Land wie geplant bis 2045 klimaneutral wird, müssen es bis 2030 80 Prozent werden. Und zumindest bei der Solarenergie liegt Deutschland im Plan: Nach Angaben der Bundesregierung sind 2023 Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von insgesamt 14,6 Gigawatt (GW) ans Netz gegangen. Geplant waren 9 GW. In diesem Jahr sollen 13 GW dazukommen. Ab 2026 sollen es dreimal so viel werden: 22 GW jedes Jahr.
Schwieriger ist es bei der Windkraft. Trotz Beschleunigung der Verfahren dauern Genehmigungen für Windräder immer noch im Schnitt vier Jahre. 2023 haben die deutschen Behörden der Bundesregierung zufolge 1.500 Windkraftanlagen mit zusammen 8 GW Leistung genehmigt. 826 neue Windkraftanlagen seien im vergangenen Jahr ans Netz gegangen und erhöhten die bundesdeutsche Gesamtleistung um 3,6 GW auf 61 GW. Nur wenige davon stehen in Süddeutschland, denn in Bayern gilt weiterhin die 10H-Regel. Auch wenn es inzwischen einige Ausnahmen gibt: Ein 100 Meter hohes Windrad muss mindestens einen Kilometer Abstand von der nächsten Wohnbebauung halten. Dabei wäre die billige Windkraft, die eben auch nachts Strom liefert, in Bayern wichtig: Im oberbayerischen Landkreis Altötting fehlt der dortigen Chemieindustrie der günstige Windstrom, weil die Bürgerinnen und Bürger einer Anliegergemeinde die Pläne für einen Windpark abgelehnt haben. Gleichzeitig schalten Netzbetreiber in Norddeutschland Windkraftwerke ab, weil ihre Netze den Strom nicht mehr aufnehmen können. Die geplante Hauptleitung Südlink, die dieses Problem beheben könnte, soll jetzt erst 2028 fertig werden – oder noch später.
Alles beim Alten belassen wird teurer
Doch nicht nur politische Verfahren erschweren den Ausbau, es gibt weiterhin genügend Gegner der Energiewende. So heißt es immer wieder, die Umstellung der Stromversorgung auf Sonne, Wind und andere „Erneuerbare“ sei zu teuer. Die Rede ist von 1,2 Billionen Euro. Eine horrende Summe. Doch nichts zu tun wird noch teurer: Einer Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PiK) zufolge werden die Folgen der Erderwärmung bis 2050 ein Fünftel der weltweiten Wirtschaftsleistung kosten – mehr als 20 Billionen US-Dollar. Die Schäden durch den Klimawandel seien sechsmal höher als die Kosten eines Klimaschutzes, der die Erwärmung der Atmosphäre auf zwei Grad begrenzt. Nach Berechnungen des Schweizer Rückversicherers Swiss Re verursachen allein Unwetter wie Stürme, schwere Gewitter und Überschwemmungen jedes Jahr weltweit Schäden von 200 Milliarden US-Dollar.
Trotz hoher Anfangsinvestitionen waren Windkraft und Photovoltaik schon 2023 die billigsten Stromquellen. Die Herstellung einer Kilowattstunde (kWh) aus Braunkohle kostete in Deutschland 26 Cent, Strom aus Wind und Solarenergie sechs bis zehn Cent. Selbst Erdöl-Staaten produzieren Solarstrom inzwischen billiger als Energie aus Öl und Gas. In Saudi-Arabien liegen die Gestehungskosten für Strom aus Photovoltaik bei 1,5 Cent. Strom aus der Verbrennung von Öl liegt bei 2,4 Cent pro Kilowattstunde.
Auch Atomstrom ist mit rund 14 Cent deutlich teurer. Rechnet man bei Kohle und Atomkraft die externen Kosten etwa für Klimaschäden oder den Atommüll hinzu, werden sie noch wesentlich teurer. Allein Bau und Sanierung des Atommülllagers Schacht Konrad bei Salzgitter wird nach Angaben der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) voraussichtlich 6,4 Milliarden Euro kosten.
Selbst der meist CDU- und FDP-nahe „Focus“ nannte die Energiewende Anfang des Jahres den „größten Treiber der Weltwirtschaft“. Die Branche liefere mit 320 Milliarden US-Dollar zehn Prozent des weltweiten Wirtschaftswachstums. Mit 36 Millionen Jobs beschäftige der „saubere Energiesektor“ mehr Menschen als die Öl-, Kohle- und Gaswirtschaft zusammen.
Stimmungsmache bringt Quoten
Dennoch versuchen Klimawandel-Leugner, Rechtsextremisten oder Lobbyisten der Öl-, Kohle- und Gas-Industrie, die Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Quellen zu unterlaufen. Dahinter stecken finanzielle Interessen und das Ziel, mit Verunsicherung und Unzufriedenheit Wählerstimmen zu mobilisieren. Zu den Unzufriedenen gehören aber auch Bürgerinitiativen, darunter die bundesweit organisierte „Vernunftkraft“. Diese ist davon überzeugt, von den Rädern gehe Infraschall aus. Gemeint ist damit Schall mit einer Frequenz von weniger als 16 Hertz, den die meisten Menschen nicht hören können. Dennoch schädige dieser die Gesundheit der Anwohnerinnen und Anwohner, heißt es. Fachleute wie der Erlanger Physik-Professor Martin Hundhausen halten derlei Warnungen für „Desinformation“. Er versteht nicht, warum „Vernunftkraft immer noch als gemeinnützig anerkannt ist“. Belege für einen Zusammenhang zwischen Unwohlsein und Infraschall aus Windkraftanlagen gebe es bisher nicht, schreiben auch das „Ärzteblatt“, und Faktenchecker des Mitteldeutschen Rundfunks MDR fanden ebenfalls keine stichhaltigen Belege. Gefunden habe man jedoch Hinweise, „dass ungute Erwartungen an eine Windkraftanlage die Psyche stimulieren und so Symptome verursachen“.
Publizisten wie Roland Tichy („Tichys Einblick“) oder Julian Reichelt („NIUS“) gewinnen mit Stimmungsmache gegen die Energiewende aber auch Leser und damit Einnahmen. Dabei nutzen sie die verbreitete Abwehrhaltung gegen Veränderungen und die Unsicherheit angesichts zahlreicher Krisen. Auch bei Menschen in prekären Verhältnissen findet die Propaganda gegen die „arrogante, woke, grüne und klimafreundliche Eliten-Blase“ Anklang. Wer den Leserinnen und Lesern erzählt, dass sie weitermachen könnten wie bisher, erntet Beifall.
Ähnlich arbeitet das „Europäische Institut für Klima und Energie“ (EIKE). Es hält den vom Menschen verursachten Klimawandel für einen „großen Schwindel“. Nicht unser Klima sei bedroht, sondern unsere Freiheit. Auf seiner Internetseite berichtet das „Institut“ zum Beispiel von den „verheerenden Folgen der Windkraft für Mensch und Natur“. Die Windräder „schredderten“ Fledermäuse, Vögel und Insekten. Tatsächlich jedoch sterben deutlich mehr Vögel durch Hauskatzen, Fensterscheiben und den Autoverkehr. Genaue Zahlen gibt es dazu nicht – nur Schätzungen, wie die Faktenchecker des Bayerischen Rundfunks berichten.
Hinter EIKE stecken unter anderem Geldgeber aus den USA wie das Heartland Institute und das Atlas-Netzwerk mit Geldern aus der US-Ölindustrie. Diese hatte bereits in den 1970er-Jahren Studien in Auftrag gegeben, die die Auswirkungen der fossilen Brennstoffe auf das Weltklima ermitteln sollten. Und schon damals sagten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Erderwärmung und ihre Folgen treffend vorher. Statt aber ihr Geschäftsmodell anzupassen, setzte vor allem Exxon (in Deutschland: Esso) auf Desinformation. Der Konzern legte „Studien“ vor, die den Zusammenhang zwischen dem Verbrennen von Öl und Gas mit der Erderwärmung „widerlegten“ und Zweifel am vom Menschen verursachten Klimawandel säten.
In Deutschland startete die „Bild“ 2023 eine Kampagne gegen Robert Habeck und sein „Heizungsgesetz“. Die Rede war von „Heizungs-Stasi“. Eine Fotomontage zeigte den Wirtschaftsminister, wie er Bürgern die Heizung aus dem Keller reißt. Die missglückte Kommunikation des Ministers machte es den Springer-Zeitungen leicht. Das Magazin „Der Spiegel“ nennt „Bild“ in einem seiner Beiträge zum Thema „den deutschsprachigen Newsletter des Fossil-Investors KKR“. KKR verdient mit Investitionen in Öl und Gas viel Geld und hält die höchste Beteiligung am Springer-Verlag (35,6 Prozent). Es gehe also „nicht um politische Ideologie, sondern um die Verteidigung fossiler Geschäftsmodelle“ und hoher Renditen.
Zu den Lobbyisten gegen den Klimaschutz zählt auch der Verband „Zukunft Gas“. Er vertritt Unternehmen, darunter viele Stadtwerke, die ihr Gasnetz weiter betreiben wollen. Fachleute schätzen allein den Wert der Leitungen, Speicher und Verteil-Stationen auf 270 Milliarden Euro. Diese Investition soll weiter Gewinn abwerfen. Deshalb setzt sich „Zukunft Gas“ für die Weiternutzung von Erdgas als „Brückentechnologie“ ein. Bürgerinnen und Bürger sollten statt effizienter Wärmepumpen weiterhin Gasheizungen kaufen, die man in einer fernen Zukunft auf Wasserstoff umstellen könne. Dabei verschweigen sie, dass es auf lange Sicht nicht genug Wasserstoff aus Wind- und Solarstrom geben wird und dass er auf viele Jahre hinaus zum Verheizen zu teuer bleiben wird.
Inzwischen hat sich herausgestellt, dass Erdgas weit mehr zur Erhitzung der Erde beiträgt als bisher angenommen. Schon bei der Förderung und beim Transport des Gases entweicht Methan. Erdgas verliert seinen Klimavorteil gegenüber Kohle, sobald zwischen 2,4 und 3,2 Prozent der Produktion in die Atmosphäre entweichen. Gleichzeitig wird vermutet, dass sich die Leckrate von durch Fracking gewonnenem Gas bestenfalls auf 3,8 Prozent reduzieren lässt. Das Gas baut sich in der Atmosphäre schneller ab als CO₂, beschleunigt jedoch die Erhitzung der Erde 80-mal schneller als Kohlendioxid. Diese Zahlen zitiert die Deutsche Umwelthilfe aus mehreren Untersuchungen in den USA. Rechnet man die klimaschädliche Wirkung der Gasförderung und des Transports mit, befeuert Erdgas demnach die Erderwärmung mindestens so stark wie die Verbrennung von Kohle.
Greenwashing von Gasprojekten
Mit „Ökogas-Tarifen“ versucht die Branche daher, ihr finanziell erfolgreiches Geschäftsmodell grünzuwaschen. Die Idee: Die Versorger kaufen für ihr Gas CO₂-Ausgleichszertifikate. Mit diesen wollen sie nachweisen, dass der Klimaschaden ihres Erdgases an anderer Stelle ausgeglichen werde. Dazu finanzieren sie zum Beispiel Aufforstungen. In den meisten Fällen funktioniert das jedoch nicht oder nur zu einem kleinen Teil. Bäume brauchen Jahrzehnte, um die versprochene Menge Kohlenstoff zu binden. Auch Wasserkraftwerke, etwa in Indien, verkaufen CO₂-Zertifikate. Einen Zusatznutzen fürs Klima bringen sie nicht, weil sie auch ohne solche Bescheinigungen genauso viel Strom produzieren.
Forschende der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und der Universität Cambridge schätzen, dass nur zwölf Prozent der auf dem Markt verkauften Zertifikate eine echte Treibhausgasminderung bescheinigen. In seiner Dokumentation „Die Ökogas-Lüge“ weist der Rechercheverbund Correctiv 116 deutschen Gasversorgern nach, dass die meisten ihrer CO₂-Zertifikate nicht halten, was sie versprechen.
Und dann wäre da noch die Forderung nach neuen Atomkraftwerken. Aktuell werden 57 von ihnen weltweit gebaut. Davon gehen jedes Jahr zwei bis drei ans Netz. Gleichzeitig werden aber doppelt so viele abgeschaltet, weil sie zu alt und unsicher geworden sind. Der Bau neuer Meiler aber dauert lange und ist teuer. 2023 ging der finnische Druckwasserreaktor Olkiluoto ans Netz. Während der 20-jährigen Bauzeit sind die Kosten von drei auf zehn Milliarden Euro gestiegen. Ähnlich vernichtend fallen die Bilanzen der Atomkraftwerke im französischen Flamanville und im englischen Hinkley Point aus. Der im Mai nach 17 Jahren Bauzeit in Betrieb genommene 1.600-Megawatt-Reaktor in der Normandie hat fast 20 Milliarden Euro gekostet – rund fünfmal so viel wie geplant. Hinkley Point droht, wie die „Wirtschaftswoche“ schreibt, „zum Mahnmal für die ausufernden Kosten der Kernenergie“ zu werden: Statt der geplanten 18 Milliarden Pfund wird das Kernkraftwerk mindestens 32 Milliarden kosten. Fertig werden soll es 2027. Dann wird es 3,2 Gigawatt Strom produzieren. Die britischen Windräder liefern schon heute fast zehnmal so viel: mehr als 28 Gigawatt. Und was mit dem Atommüll geschieht, ist nicht überall klar: In Frankreich soll er nahe der deutschen Grenze gelagert werden. Geschätzte Kosten für den Bau eines Endlagers: 25 Milliarden Euro. Solarpanele und Windräder können fast vollständig recycelt werden.