Der Sänger und Schauspieler Tim Wilhelm über seine Rolle in dem Musical „Zauberflöte“, über Leidenschaft und Herzblut und tolle Theaterabende und warum er immer noch als Vagabund im Campingbus unterwegs ist.
Man merkt Tim Wilhelm die Liebe zu seinem Beruf als Sänger, Schauspieler und Musical-Darsteller sofort an. Er sprüht geradezu vor Lebenslust und Leidenschaft. Geboren wurde er 1977 in der Wagner-Stadt Bayreuth, wo er schon als Kind Klavierunterricht erhielt. Er absolvierte ein Schauspielstudium sowie eine klassische Gesangsausbildung an der Musikhochschule München. Seit 2012 ist er der Frontman der Band Münchner Freiheit. Tim Wilhelm war unter anderem auch als Moderator beim Fernsehen tätig und als Schauspieler auf verschiedenen Theaterbühnen in klassischen Stücken und Komödien zu sehen. 2021 sang er bei der Uraufführung von Ralph Siegels Musical „Zeppelin“ den jungen Grafen Zeppelin. 2023 glänzte er in der Hauptrolle von Siegels neuestem Musical „Summer of love – ein bisschen Frieden“. In der rockigen Neuinterpretation von Mozarts „Die Zauberflöte“ ist er der Vogelfänger Papageno.
Herr Wilhelm, in der Musical-Fassung der „Zauberflöte“ sind Sie Papageno. Was ist denn für Sie das Besondere an der Figur?
„Du interpretierst die Rolle nicht ‚nur‘, du bist Papageno“ - sagten wortwörtlich und unisono der Komponist Frank Nimsgern und der Buchautor Benjamin Sahler, unabhängig voneinander. Letzterer führt zugleich Regie und kennt mich von früheren beziehungsweise ergänzenden anderen Zusammenarbeiten schon ziemlich gut, und er war es auch, der mir zuerst von der Produktion erzählt hatte. Seine dabei im positivsten Sinne kindlich-aufgeregt leuchtenden Augen hatten mich umgehend überzeugt. Ich liebe von Herzen kommende Begeisterung. Ich habe mir auch tapfer das eigene innere Kind erhalten, den Glauben ans Gute und an die Macht der Fantasie, an die Magie der Bühne und den Zauber des Theaters.
Können Sie das bitte noch etwas ausführen?
Ich möchte gerne die folgende Anekdote erzählen: Während meiner Engagements im wirklich wunderschönen Füssener Festspielhaus campe ich seit Jahren unmittelbar am Theater, gegenüber der Königsschlösser Hohenschwangau und Neuschwanstein – vielen Dank an unseren Mäzen Manfred Rietzler, der ermöglicht, dass man Träume leben kann! Und mir auch diesen unvergleichlichen Stellplatz auf seinem Privatgrund immer wieder gönnt. Jedenfalls haben der liebe Benjamin Sahler und ich uns auch nach Feierabend viel zu erzählen, uns recht häufig während der 2023er Spielzeit des „Zeppelin“-Musicals an diesem zauberhaften Ort getroffen und über verschiedene Vorhaben ausgetauscht, auch über die neue „Zauberflöte“. Und es heißt ja so schön schon von den alten Germanen, sie würden ihre Ideen trunken beim Gelage fassen und nüchtern am Morgen überprüfen. Man möge munkeln, wir hätten der Tradition alle Ehre gemacht. Und an einem lieblich-lauen Sommerabend fiel dann im Garten der hochgeschätzten Anna Maria Kaufmann die finale Entscheidung. Benjamin und Frank hatten mich unserer Liedtext-Autorin Aino Laos vorgestellt. Und auch sie war sofort sicher, dass ich den Freigeist Pa-Papageno nicht ‚nur‘ spielen würde. Damit schließt sich der Kreis dieser Antwort. Oh, das war wirklich eine sehr schöne Sommernacht! Und bereits in meiner Kindheit war Papageno für mich die spannende und schillernde Figur in der „Zauberflöte“, kurzum – ich kann mich total mit ihm identifizieren. Wenn man dann noch bedenkt, dass Emanual Schikaneder sich die Rolle ja einst selber schrieb, wird die Aufgabe noch spannender und herausfordernder - in meinen Augen ist‘s eine echte Ehre und große Freude zugleich, den fröhlich-philosophischen Vogelfänger verkörpern zu dürfen!
Es gibt sicher einen großen Unterschied, wenn Sie mit Ihrer Rockband Münchner Freiheit auftreten oder wenn Sie bei einem Musical in ein großes Ensemble eingebunden sind. Wann fühlen Sie sich freier? Wann sind Sie mehr bei Ihrem eigentlichen Selbst?
Generell geht es mir darum, mich voll in den Dienst der jeweiligen Aufgabe zu stellen, aus vollem Herzen bin ich Teamplayer und folge vorrangig den Leitlinien: Nur gemeinsam geht‘s! …und: Musik verbindet. Folglich fühle ich gar keinen so großen Unterschied, sondern fühle mich auf allen Arten von Bühnen der Unterhaltung und dem Publikum verpflichtet. Letztlich geht’s doch darum, zusammen schöne Stunden zu teilen - vor, auf und hinter der Bühne im Idealfall geradezu zu verschmelzen. Das denke zumindest ich. Die Einordnung in Schubladen scheint mir oft konstruiert, wenngleich es klarer Weise Unterschiede gibt, doch die Abwechslung hält wach und schützt vor Scheuklappen, hoffe ich. Gerne gebe ich dennoch zu, dass man in der Rolle des Frontmannes einer Band natürlich während der ganzen Show 110-prozentig gefordert ist, wohingegen man in (Musik-) Theaterstücken öfter einmal durchatmen darf, da man nahezu nie in allen Szenen stattfindet. Aber um Authentizität und den Faktor Vollgas kämpfe ich ganz grundsätzlich und ich liebe gerade auch die Abwechslung, denn beide Bereiche befruchten einander quasi gegenseitig, zumindest in meinen Augen. Frei fühle ich mich immer dann, wenn ich spüren darf, dass diese unbeschreibliche Brücke etabliert ist, dass alle Anwesenden ge-meinsam magische Momente teilen, dafür schlägt mein Herz, so pathetisch die Worte womöglich klingen mögen.
In der neuen Fassung von „Die Zauberflöte“ trifft Klassik auf Rock & Pop. Cembalo auf E-Gitarre. Was ist denn für Sie die Quintessenz des Musicals?
Dass, flapsig formuliert, auch in dem Kontext der Weg das Ziel und jede Probe und folglich Vorstellung ehrlich spannend ist. Das finde ich großartig, nicht wirklich zu wissen, was passieren wird, ins Risiko zu gehen und zusammen mit einem tollen Team tapfer und unermüdlich dafür zu kämpfen, dass das Publikum wirklich bestmöglich unterhalten wird und wir alle Freude dabei empfinden. Und dass die Musik von Frank rockt, das feiere ich natürlich. Klar. Aber ich liebe auch Benjamins Herangehensweise an den Stoff. Er arbeitet auf der Grundlage von eindrucksvoller Werkskenntnis hinsichtlich der Schikaneder-Mozart-„Zauberflöte“, aber zugleich mit neuen Perspektiven, Blickwinkeln, einer ehrlichen Neugierde und natürlich anhand eines Wertekataloges, der manchen Inhalt des klassischen Werkes kritisch hinterfragt… Kurz – ich freue mich total, Teil dieses prima Projektes sein zu dürfen.
Sie haben sich schon als Teenager zum Musikmachen hingezogen gefühlt. Gab es da ein Schlüsselerlebnis? Und warum waren Sie so sicher, dass der Beruf des Musikers/Sängers Ihre Berufung ist?
Naja, das Dichterwort lehrt bekanntlich ja: Sicherheit – des Menschen Erbfeind jederzeit. Folglich bin ich nicht sicher, ob ich sicher war oder bin. Aber ich fühle mich auf der Bühne wohl und bin einfach glücklich, Menschen unterhalten zu dürfen. Das habe ich mir nicht etwa in Teenager-Tagen ausgedacht, vielmehr war’s gefühlt schon immer so. Natürlich spielen meine frühere Verbindung zur Familie Wagner väterlicher- und zu nordamerikanischen Hard-Rock- bis Heavy-Metal-Acts anderer- und mütterlicherseits wohl auch eine Rolle. Bei Wolfgang Wagner durfte ich in jungen Jahren oft zu Gast sein, den Proben der Bayreuther Festspiele einfach beiwohnen, beobachtend lernen, andererseits war mein Großcousin Tontechniker und Tourmanager namhafter Bands der Rock-Szene aus Seattle, da kann man was aufschnappen, wenn man mag und sich auch bemüht… Und neugierig bin ich unverändert. Musik ist für mich fast immer der Deus ex machina, der letztlich quasi erlösende Schlüssel, die Trumpf-Karte.
Wie haben Sie sich als Künstler im Laufe der Jahre weiterentwickelt?
Wie oder ob ich mich entwickle? Darüber mögen andere urteilen. Mein Ziel ist, mir treu zu bleiben und mich hoffentlich nie zu wichtig zu nehmen. Man muss nur die scheinbar immer wahnsinniger werdende Welt hinterfragen, die Geschehnisse, das Leid zur Kenntnis nehmen, dann sollte selbstverständlich sein, eine gewisse Demut zu verinnerlichen. Ungerechtigkeit macht mich immer noch traurig und wütend. In dem Punkt hab‘ ich mich wohl gar nicht weiterentwickelt, so fühl‘ ich schon immer.
Was waren denn Ihre größten Erfolge, was Ihre größte Niederlage? Und woraus haben Sie mehr fürs Leben gelernt?
Erfolg … bedeutet? … in meinen Augen beispielsweise, einem ehemaligen Straßenhund ein hoffentlich möglichst unbeschwertes Leben ermöglichen zu können. In musikalischer Hinsicht ist mir persönlich wichtig, einzigartige (nicht wiederholbare!) magische Momente mit dem Publikum vor, der Crew hinter und dem Team auf der Bühne zu teilen, weniger eine (womöglich durch teuren PR-Aufwand generierte) Chart-Platzierung. Dennoch gebe ich gerne zu, dass mich natürlich gefreut und bestärkt hatte, schon in Teenager-Tagen den ersten Plattenvertrag erhalten und zusammen mit meiner damaligen Band die Auszeichnung „Best Newcomer National“ erreicht zu haben. Klar. Wem würde das nicht schmeicheln?! Und mein maximaler Misserfolg war, wenngleich das Wort in dem Kontext nicht wirklich passend erscheinen mag, in der Todesnacht meines mich ungemein geprägt habenden Großvaters nicht an seiner Seite gewesen zu sein.
Bei Auftritten mit dem Publikum zu kommunizieren ist für Sie ein Elixier, sagten Sie. Können Sie das bitte näher ausführen?
Oh, da lade ich einfach herzlich zu unseren Konzerten ein – und damit zu einem eigenen Eindruck. Eigentlich ist mit meinem Motto alles schon gesagt: Nur gemeinsam geht’s! Was wären wir ohne unser Publikum?! Einfach echt ergreifend ist, wenn alle Anwesenden zu einem großen Chor verschmelzen.
Sie stehen gerne im Rampenlicht. Woher nehmen Sie das Selbstvertrauen?
Darüber denke ich nicht nach, denn mir geht’s nicht um mich. Auftritte sind ein Geben und Nehmen. Eine gute Portion eisernen Willens und auch Disziplin sind sicher hilfreich, die Basis hat jedoch der liebe Gott geschenkt, denk‘ ich.
Und wie laden Sie – nach einer anstrengenden Tour oder Theater-Tournee – Ihre Batterien dann wieder auf?
Weiter, immer weiter, um den Torwart-Titanen Oliver Kahn zu zitieren! Zudem war und bin ich einfach von Herzen dankbar, Träume leben zu dürfen. Das gibt Kraft.
Sie haben viele sehr unterschiedliche Männerfiguren dargestellt. Wie haben Sie es geschafft, das Typecasting zu vermeiden?
Weil mich die Lust an der Verwandlung antreibt, nicht die an der Selbstdarstellung, ganz einfach. Im Prinzip bin ich oft immer noch der kleine Bub, der mit Playmobil-Männchen Geschichten erzählt und ab und an selber eine der Figuren wird.
Wer hat Sie denn in Ihren prägenden Jahren am meisten beeinflusst?
Oh, Beispiele würden den Rahmen wohl wirklich endgültig sprengen, da ich zu allen Namen auch Geschichten erzählen könnte. Aber natürlich hat mich die Möglichkeit, mit Legenden arbeiten und dabei von ihnen lernen zu dürfen, geprägt - dabei denke ich etwa an Johannes Heesters, Franz Marischka, Charly Kálmán und natürlich Ralph Siegel oder Aron Strobel. Und: Ja, ich versuche, alles erst mal unvoreingenommen anzuhören, natürlich auch aktuelle Musik. Alt ist nur, wer aufhört, offen zu sein, denke ich.
Wann haben Sie das letzte Mal etwas riskiert?
Verzeihung, dass ich jetzt echt schmunzeln muss, daran denkend, dass unser Regisseur Benjamin Sahler mir erst kürzlich wieder sagte, die einzige echte Korrektur und Anweisung, die er für mich habe, sei, mich mal nicht in Lebensgefahr zu bringen. Wobei der Liebe das wohl etwas überspitzt artikuliert haben dürfte. Aber ich lebe schon für die Ma-gie des Augenblicks, vergleiche daher Auftritte auch mit Motorradfahren – es geht um den Moment. Gestern großartig gewesen zu sein, nützt nicht… Das Hier und Jetzt zählen.
Sind Sie immer noch als Vagabund in Ihrem Campingbus unterwegs?
Ja, und zwar nahezu immer mit Freuden! Die Einschränkung gehört der Ehrlichkeit wegen dazu, denn wem würde nie irgendwas ‚mal auf die Nerven geh‘n. Doch in aller Regel bin ich dankbar, unterwegs sein zu dürfen.
Gibt es bald ein neues Münchner Freiheit-Album?
Wie heißt‘s doch so schön: Schau‘mer ‚mal, denn seh‘n wir schon … Da ich ja Teamplayer bin, würde ich Interna natürlich nie ausplaudern. Aber wir sind alle fünf unverändert mit Herzblut unterwegs - da wäre ja nahezu die zwingende Folge, dass…
Beschreiben Sie sich doch bitte mit vier Worten.
Loyal, anstrengend, zum Beispiel wenn ich an einem Projekt werkle, wird keine Pause gemacht oder gegönnt (lacht), herz- beziehungsweise bauchgefühlsgeleitet, freiheitsliebend, daher auch „Freiheits-Tim“ auf Instagram
Und Ihre Lebensphilosophie?
Nur gemeinsam geht es – und: Musik verbindet! … da wiederhole ich mich gerne!
Ergänzt von: Wo ein Wille, da ein Weg – solange Gesundheit geschenkt ist.