Der Saisonstart hätte besser kaum sein können für Union Berlin. Doch deswegen fängt dort keiner an zu träumen. Der Trainer am allerwenigsten.
Natürlich hat auch Bo Svensson die ersten Königsklassen-Spiele der neuen Saison im Fernsehen verfolgt. „Ich schaue Champions League, um inspiriert zu werden“, sagte der Trainer des 1. FC Union Berlin. Dabei könne er sich „sinnvollen Input“ für seine Arbeit holen. Und sich auch dem Gedanken hingeben, im wichtigsten Club-Wettbewerb selbst einmal Fußstapfen zu hinterlassen? „Mein Glück hängt nicht davon ab, ob ich die Champions-League-Hymne höre oder dass ich um Titel spiele“, sagte der Däne. Er gab jedoch zu: „Es hat aber auch sehr lange gedauert, um das zu verstehen.“
Seit er bei den Eisernen arbeitet, sei ihm nochmals bewusst geworden, was aktuell sein Antrieb als Trainer ist. Er wolle das Gefühl haben, „dass ich etwas bewegen und entwickeln kann“. Und zwar in einem Umfeld, in dem er sich frei entfalten könne, ohne sich verstellen zu müssen. „Zu sehen, dass meine Qualitäten zu dem Ort passen, an dem ich gerade bin, bedeutet mir sehr viel mehr“, sagte Svensson.
Beim Blick auf die aktuelle Tabelle lässt sich ablesen, dass sich sein Job bei Union und ein Champions-League-Abenteuer nicht zwingend ausschließen. Mit acht Punkten rangiert der Club aus Berlin-Köpenick nach dem vierten Spieltag auf Platz fünf, als eine von nur drei noch ungeschlagenen Mannschaften. Dieser Saisonstart überrascht angesichts der katastrophalen Vorsaison mit dem Beinahe-Abstieg und der auch eher holprigen Vorbereitung. Und die Chance, in der Tabelle noch weiter nach oben zu klettern, ist vorhanden. Im Auswärtsspiel bei Borussia Mönchengladbach tritt Union angesichts der bislang gezeigten Leistungen als Favorit an. Die Gladbacher hinken mit nur drei Zählern ihren eigenen Ansprüchen klar hinterher.
Die Tendenz zeigt nach oben
Anders Union: Das Svensson-Team gewinnt immer mehr Vertrauen in die eigenen Stärken und vor allem in die Matchpläne des Trainers. Dazu zählt auch Demut, denn der böse Absturz in der Spielzeit 2023/24 ist allen noch ein warnendes Beispiel. Selbst Svensson, der damals noch gar nicht in der Verantwortung stand. „Ich habe großen Respekt vor der Liga und weiß, wie schwer es ist, dort zu bestehen“, sagte der frühere Coach des FSV Mainz 05. Träumereien von erneuten Europacupspielen, womöglich sogar von der Rückkehr in die Champions League, erteilte Club-Präsident Dirk Zingler sogleich eine Absage: „Wir bleiben auf dem Teppich.“
Zumindest in den ersten Minuten gegen Hoffenheim spielten die Eisernen tatsächlich wie ein Königsklassen-Club. Dank Treffer der Neuzugänge Tom Rothe und Wooyeong Jeong führte das Heimteam bereits nach fünf Minuten mit 2:0, die Gäste wurden mit einem Powerfußball förmlich an die Wand gespielt. Zufall war das nicht. „Die Marschroute war Attacke“, verriet Angreifer Benedict Hollerbach über den von Svensson ausgetüftelten Taktik-Plan. Die Hoffenheimer schienen davon derart überrascht, dass sie sich nur sehr schwer und langsam aus der Schockstarre befreien konnten. „Wir waren kurz vor einem Debakel“, haderte Hoffenheims Trainer Pellegrino Matarazzo, der seinem eigenen Team in der Startphase die Bundesliga-Tauglichkeit absprach. „Da musst du in den Spiegel schauen und dich fragen: Warum waren die schärfer? Warum kommt mein Gegenspieler in der Eckballsituation vor mich? Das kann nur jeder selbst beantworten“, sagte Matarazzo und fasste enttäuscht zusammen: „Die Schärfe, die Union hatte, die hatten wir nicht.“
Svensson gibt sich bescheiden
Ein Satz, bei dem Svensson das Trainer-Herz aufgehen dürfte. Doch der Däne verlor sich nicht in Lobeshymnen auf die starke Anfangsphase, sondern behielt auch den Blick für die Schwachpunkte. Und davon habe es gerade in der zweiten Hälfte einige gegeben, meinte der Coach: „Wir waren in der zweiten Halbzeit nicht gut. Wir müssen auch ein paar Dinge anders machen.“ Torschütze Jeong gab seinem Trainer recht: „In der ersten Halbzeit waren wir richtig gut, die zweite Hälfte geht besser.“ Nach dem Anschlusstreffer des Ex-Unioners Marius Bülter geriet Unions zweiter Saisonsieg plötzlich ins Wanken. Svenssons unmissverständliche Warnung an alle Spieler lautete daher: Bloß nicht blenden lassen von der Tabelle und dem starken Saisonstart! „Wir schauen auf die Entwicklung“, betonte er. Mit dieser können der Trainer und auch die Club-Bosse sehr zufrieden sein. Union spielt zwar keinen Zauber-Fußball, aber wieder mit viel Energie und einem klaren taktischen Plan. Symbolisch dafür steht Linksverteidiger Rothe. Die Leihgabe von Borussia Dortmund ersetzt als linker Schienenspieler den nach Italien abgewanderten Robin Gosens und macht dabei eine immer bessere Figur. Sportlich gesehen sei der Gosens-Wechsel kurz vor Transferschluss für ihn „ein Vorteil“ gewesen, gab der 19-Jährige zu: „Ich bin in einem Alter, wo es einfach wichtig ist, viel Spielzeit zu sammeln. So ist die Chance höher, mehr Minuten zu sammeln.“ Doch auch einen Gosens-Verbleib hätte Rothe nach eigener Aussage gut gefunden, „weil ich noch viel von ihm hätte lernen können“. Rothe hat zwar nicht die Erfolge und auch nicht die Ausstrahlung des Ex-Nationalspielers Gosens vorzuweisen, doch er hängt sich auf der linken Außenbahn rein und wird auch immer kreativer im Spielaufbau. Und er hat nun sogar sein erstes Tor erzielt. Dabei avancierte Rothe zum jüngsten Torschützen der noch relativ jungen Unioner Bundesliga-Geschichte.
Doppelten Grund zum Jubeln hatte gegen Hoffenheim auch Torhüter Frederik Rönnow. Zuerst wurde der Däne vor dem Anpfiff zum „Union-Fußballer des Jahres“ geehrt, dann durfte er sich über drei Punkte freuen. Die persönliche Auszeichnung bekam Rönnow schon im Vorjahr verliehen, nachdem er gerade in der Rückrunde ein bärenstarker Rückhalt und mitverantwortlich für den Klassenerhalt in letzter Sekunde gewesen war. Auch in seinem 100. Pflichtspiel im Union-Trikot gegen Hoffenheim strahlte der Schlussmann eine enorme Ruhe, Souveränität und vor allem Klasse aus. Seit der Vertragsverlängerung im Januar 2024 blüht Rönnow förmlich auf und ist als Nummer 1 der Eisernen nicht mehr wegzudenken. Die kurzzeitigen Wechselgedanken sind längst vergessen. „Es war wichtig für mich, bei Union bleiben zu können, weil ich mich hier sehr wohl fühle“, sagte er: „Das betrifft auch meine Familie. Ich freue mich einfach, dass ich weiterhin für Union spielen werde.“
Jetzt, da ein dänischer Landsmann von ihm als Trainer das Sagen hat, um so mehr. „Ich freue mich natürlich darüber“, sagte Rönnow: „Aber die Nationalität ist nicht so wichtig.“ Wichtig sei, dass Bo Svensson fachlich und menschlich überzeuge. Und das sei der Fall. Svensson sei ein „toller Mensch“, meinte Rönnow, „mein Eindruck von Bo als Trainer und seinem Stab ist gut. Aber ein bisschen Dänisch reden zu können, ist auch schön.“
Ob auf dänisch oder deutsch: Svensson versucht seinen Spielern vor allem eines mit auf den Weg zu geben: „Es ist nicht wichtig, ob ich alles richtig mache, aber es muss immer authentisch sein.“ Dann seien auch Fehler oder Rückschritte kein Problem. Und falsche Erwartungen ohnehin nicht. „Am Ende kann ich das, was die Zuschauer über mich denken, was der Präsident oder irgendwer anderes denkt, doch ohnehin nicht wirklich ändern“, sagte der Union-Trainer: „Aber ich kann mir selbst treu bleiben, und das wird auch hier bei Union so sein.“