Seit fünf Jahren regiert Ministerpräsident Bodo Ramelow in einer Minderheitenregierung aus Linke, SPD und Grünen unter Duldung der CDU. Doch die letzten Wahlumfragen sagen für Thüringen zukünftig keine wirklichen stabilen Regierungsverhältnisse voraus.
Er ist der erste Ministerpräsident der Linken, der vor 10 Jahren Landeschef wurde, wohlgemerkt mit einer kurzen Unterbrechung seiner Amtszeit von wenigen Wochen nach der letzten Wahl vor fünf Jahren. Nach dem parlamentarischen Patzer mit einem Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich von der FDP, der mit den Stimmen der AfD gewählt wurde, ist Bodo Ramelow seit März 2020 aber wieder im Amt. Allerdings gab bei Amtsantritt der Landesregierung Ramelow II, dem Bündnis aus Linke, SPD und Grünen, kaum jemand eine Chance länger als wenige Monate durchzuhalten. Ministerpräsident Ramelow und seine Koalition hatten und haben im Erfurter Landtag keine eigene Mehrheit. Die Minderheitsregierung war auf das politische Wohlwollen der CDU im Thüringer Landesparlament angewiesen. Bundesweit schüttelten die Amtskollegen von Ramelow nur den Kopf. Das kann nicht gut gehen, waren sich alle einig. Mittlerweile pflegen die Ministerpräsidenten aus den übrigen 15 Bundesländern einen mehr als respektvollen Umgang mit dem 68-Jährigen, der gebürtig eigentlich aus Niedersachsen stammt. Die Liebe verschlug ihn nach Thüringen.
Qualitäten als Strippenzieher
Dass der thüringische Ministerpräsident nicht nur in seinem Land derzeit ein ungewöhnliches Regierungsmodell managt, sondern auch auf Bundesebene zu besonderen Bündnissen neigt, hat er bereits im Bundesrat bewiesen. Vor sieben Jahren ging es um die Ausweitung der Pkw-Maut in Deutschland, ein Lieblingsprojekt der CSU. Das Projekt drohte in der Länderkammer nicht zu scheitern, aber es hätte verzögert werden können. Doch die bayerische Landesregierung versprach dem thüringischen Ministerpräident, den Ausbau der Bahnstrecke zwischen Weimar und Gößnitz zu finanzieren.
Der damalige CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer und sein Amtskollege von der Linken Bodo Ramelow, Arm in Arm auf der Plenarebene des Bundesrates, der Rest der Ministerpräsidenten fiel in diesem Augenblick vom politischen Glauben ab.
Ramelow hatte seine Qualitäten als Strippenzieher für ungewöhnliche Verbindungen bundesweit unter Beweis gestellt – und in den letzten vier Jahren in Thüringen noch einmal untermauert. Die ganzen vier Jahre blieb es politisch sehr ruhig. Keine Schlagzeilen über eine Regierungskrise in Erfurt, alle Landeshaushalte wurden verabschiedet. Doch der Preis dafür scheint laut Umfragen hoch zu sein: Dass Ministerpräsident Bodo Ramelow noch mal eine Landesregierung in der jetzigen Formation aufstellen kann, ist eigentlich auszuschließen. Kurz vor dem Urnengang in Thüringen steht die Linke irgendwo um die 14 Prozent, der Koalitionspartner SPD bei gerade einmal sechs Prozent. Die Sozialdemokraten können sich freuen, wenn einige ihrer Listenkandidaten überhaupt noch dem nächsten Landtag angehören. Und der Dritte im Bunde, die Grünen, haben mit gerade einmal drei Prozent eigentlich keine Aussichten, im kommenden Landesparlament überhaupt noch vertreten zu sein. Bei den bürgerlichen Parteien liegt die CDU laut Umfragen mit knapp 21 Prozent vorn. Doch deren Spitzenkandidat Mario Voigt hat eben das Problem, dass die Union in Thüringen in den letzten vier Jahren die Regierungspolitik von Bodo Ramelow toleriert, genaugenommen unterstützt, hat und das wird Voigt bei seinen Wahlkampfauftritten auch so klipp und klar von den Bürgern vorgehalten. Einerseits Oppositionsführer, um dann andererseits die Politik der Minderheitenregierung in den Abstimmungen mitzutragen, ist politisch ein schwieriger Spagat.
„Doch wir als CDU wollen uns auch klar als eine Partei zeigen, die Regierungsverantwortung zeigt und im Zweifelsfall für die Bürger Thüringens Entscheidungen mitträgt. Es hilft doch den Bürgern nichts, wenn wir im Landesparlament Fundamentalopposition fabrizieren und in Suhl kann eine Kita nicht gebaut werden. Damit ist doch den Menschen nicht geholfen“, erklärt der 47-Jährige. Voigt selbst ist in Thüringen groß geworden, er kennt sein Land, weiß wie die Menschen in den Regionen ticken. „Wir sind hier halt kritische Geister und schauen bei bestimmten Entscheidungen schon mal zweimal hin“. Momentan liegt er bei den bürgerlichen Parteien in den Umfragen vorn, zu einem möglichen Bündnis mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht will er sich allerdings nicht weiter äußern. „Das ist für mich inhaltlich eine Überraschungstüte. Keiner kann vorhersagen, wohin das BSW tatsächlich strömt, was drinsteckt“, sagt er. „Was mich ein bisschen stört, ist, dass die Partei Geo- und Bundespolitik mit Landespolitik vermengt. Wir in Thüringen entscheiden doch nicht darüber, wo die USA zukünftig ihre Raketen stationiert. Das führt doch die Wähler in die Irre. Es geht um den Erhalt von Kliniken, den Bau von Schulen“.
Laut Umfragen liegt das BSW bei 20 Prozent, also auf Platz drei im Umfrage-Ranking. Das BSW könnte in Thüringen damit nach der Landtagswahl aber ein wichtiger Koalitionspartner werden, wenn die CDU auf Platz zwei landen sollte. Doch selbst das würde für eine Regierungsmehrheit nach derzeitigen Umfragen nicht reichen. Sollten die SPD und die Grünen tatsächlich aus dem Landtag fliegen, bliebe der CDU im Erfurter Landtag nur ein Bündnis mit dem BSW – dann aber unter Tolerierung der Linken. Eine abenteuerliche Vorstellung, doch es wäre ein eingespieltes Team, nur unter umgekehrten Vorzeichen.
BSW aus dem Stand heraus erfolgreich
Bei diesen Aussichten ist auch dem CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt nicht ganz wohl. Aber eines ist für ihn klar, es wird auf keinen Fall eine Koalition mit der AfD um Landeschef Björn Höcke geben. Die Alternative für Deutschland liegt in Thüringen um die 30 Prozent und führt damit die Umfragen an. Zusammen mit dem BSW könnte Höcke als Ministerpräsident eine stabile Mehrheit bilden. Angeblich soll es bereits entsprechende Gespräche hinter den Kulissen geben. Die AfD ist damit beim Wahlkampf in Thüringen immer der Elefant im Raum, egal wer da gerade wahlkämpft. Die AfD, die laut thüringischem Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird, macht aus ihrer Sicht das einzig Richtige: Sie verhält sich auffällig ruhig. Ihr 52-Jähriger Mentor Höcke hat von der Bundespartei strikte Anweisung bekommen, sich zukünftig politisch zurückzuhalten. Der gebürtige Westfale hält sich offenbar dran, wenn auch mit viel Mühe. Vermutlich auch, weil noch ein Prozess wegen Volksverhetzung gegen ihn anhängig ist. Aber das hat ihn bislang eigentlich nicht von weiteren diesbezüglichen Äußerungen abgehalten. Doch zumindest sein parlamentarischer Instinkt scheint noch zu funktionieren. Für die thüringische AfD läuft es einfach, ohne selber noch das große Propagandarad zu drehen. Allein die Wahl des AfD-Landrats im süd-thüringischen Sonneberg hat bundesweit für so viel Aufmerksamkeit gesorgt, dass weitere AfD Wahlwerbung eigentlich fast nicht nötig gewesen wäre. Die AfD kann somit eigentlich bis zum Wahltag die Hände in den Schoß legen und sich als die wirkliche Oppositionspartei im Landtag feiern lassen. Das, was die CDU de facto nie sein konnte – und was den Christdemokraten nun auf die Füße zu fallen scheint.
Bei alldem scheint aber ein Faktor aus Sicht von Politikwissenschaftlern besonders unerklärlich: Abgesehen von dem Umstand, dass eine rechtsradikale Partei in den Umfragen führt, wie kann es sein, dass ein politisches Bündnis mit einer prominenten Protagonistin, ohne Partei-, vor allem aber ohne Wahlprogramm, bei den Umfragen direkt hinter der CDU auf Platz drei landet? Der Frust bei den Wählern in Thüringen scheint da offensichtlich schon groß zu sein. Doch die CDU gibt nicht auf. Die Kommunalwahlen im Frühjahr geben Mut. In Erfurt, Eisenach, Gera, Weimar und Suhl stellt die CDU den Bürgermeister. Ein schwacher Trost, Kommunalwahlen sind eben keine Landtagswahl und ein politisches Patt in Thüringen ist damit nicht ausgeschlossen. Die CDU wird es da sehr schwer bei einer möglichen Regierungsbildung haben. Grüne und FDP fallen laut Umfragen als Koalitionspartner aus. CDU und SPD, wenn die Sozialdemokraten denn überhaupt reinkommen sollten, kämen nicht mal auf 30 Prozent. Da bleibt rechnerisch dann nur noch das Bündnis ohne Wahlprogramm. Ansonsten könnten auch CDU und SPD als Minderheitenregierung antreten, dann würde ein möglicher CDU-Mindestpräsident von der Linken toleriert werden müssen.
Für die Wahlkampfstrategen aller Parteien waren die letzten Wochen nicht einfach. Wahlkampfstrategie heißt ja auch immer interne politische Orientierung um die Kampagnen zu justieren, doch die ist zwischen Erfurt, Eisenach, Gera, Jena, Weimar und Suhl derzeit nicht ganz einfach.