Für viele Jura-Absolventen ist die Digitalisierung in rechtlicher Hinsicht Neuland. Dem soll der Masterstudiengang „Recht der Digitalisierung“ an der Universität zu Köln entgegenwirken. Studiengangsleiterin Prof. Indra Spiecker über Berufsperspektiven, Themen und ihre anfängliche Skepsis.
Frau Professorin Spiecker, Sie sind seit 1. April 2024 Inhaberin des Lehrstuhls „Recht der Digitalisierung“ und Direktorin des Instituts für Digitalisierung an der Universität Köln. Wo fängt das Recht der Digitalisierung an und wo hört es auf?
Die Digitalisierung ist im regulären juristischen Studium faktisch nicht angekommen. Wir machen mit unseren Studierenden im Verwaltungsrecht drei Sätze zum elektronischen Verwaltungsakt und wir machen vielleicht in der Schuldrechtsvorlesung noch eine Einheit, in der Software- und IT-Verträge erwähnt werden. Das heißt, Kernthemen, welche die Rechtspraxis im Bereich der Digitalisierung beschäftigen, tauchen in unseren Vorlesungen nicht auf, ganz zu schweigen von IT-Sicherheits- und Datenschutzrecht. Der LL.M. (Master of Laws beziehungsweise im Lateinischen Legum Magister, Anm. d. Red.) stößt in ein Feld vor, in dem wir Juristinnen und Juristen uns bisher nicht gut aufstellen. Hinter dem LL.M. steht der Anspruch, dass unsere Absolventinnen und Absolventen gestaltungsfähig sind, dass sie Unternehmen in der Entwicklung beraten und dass sie aktiv die Entwicklungen als Richterin oder Richter oder in einer Behörde begleiten können.
Der Studiengang „Recht der Digitalisierung“ ist interdisziplinär angelegt – inwiefern gibt es Überschneidungen mit anderen Disziplinen?
Digitalisierungsphänomene kann man nur begreifen, wenn man grundsätzlich ein technisches Verständnis hat. Das sieht man jetzt ganz deutlich, wenn es um KI geht. Wir haben eine enge Verzahnung mit der Informatik. Unsere Studierenden müssen sich in zwei Pflichtmodulen die Grundlagen der Informationstechnologie aneignen. Ich habe gerade die Klausuren vom Sommerjahrgang korrigiert und muss sagen, dass unsere Studierenden damit gut klarkommen. Es geht um Logik und Verständnis von Grundsätzen der Informatik und auch der anwendungsorientierten Informatik. Aber natürlich geht es mehr um die dahinterliegenden Grundprinzipien, die man letztlich braucht, wenn man mit Digitalisierung zu tun hat.
Ist der Weiterbildungsmasterstudiengang „Recht der Digitalisierung“ von seiner Konzeption her hierzulande einmalig?
So, wie wir ihn konzipiert haben, wird er nur an der Universität zu Köln angeboten. Auch mit Blick auf die Dauer, die Möglichkeit, ihn mit ein bisschen Unterstützung der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber fast berufsbegleitend studieren zu können, und mit Blick auf den technischen Hintergrund hat der Studiengang ein Alleinstellungsmerkmal. Die meisten anderen LL.M. sind zudem – anders als unserer – kostenpflichtig.
Mit welchen wichtigen Rechtsfragen, die von der digitalen Entwicklung berührt werden, befassen sich die Studierenden des Fachs?
Das Studium ist so konzipiert, dass unsere Studierenden vier große Grundmodule absolvieren: ein Ritt durch alle Rechtsgebiete, also Öffentliches Recht, Zivilrecht, Strafrecht und ein Fokus auf der Rechtsethik. In den darauffolgenden Wahlmodulen kann man seine Interessen vertiefen. Man kann sich etwa mit der rechtsphilosophischen Frage befassen, ob der Roboter ein Mensch ist oder ob er eine Rechtsqualität haben sollte. Aber ein Schwerpunkt liegt darauf, anwendungsorientiert rechtspraktische Probleme lösen zu können. Deshalb sind die Module auch sehr stark praxisorientiert. Wir haben immer mindestens eine Praktikerin oder einen Praktiker und eine Wissenschaftlerin oder einen Wissenschaftler in den Modulen, damit das wechselseitig eine gute Ergänzung gibt.
Können Sie uns Beispiele für Projekte nennen, an denen zurzeit die Studierenden arbeiten beziehungsweise forschen?
Die Themen sind breit gefächert, zum Beispiel haben wir jemanden, der sich mit der Zulässigkeit von Kryptowährungen und Aufrechnungsmöglichkeiten befasst. Darüber hinaus haben wir zurzeit viele Masterarbeit-Themen zu Künstlicher Intelligenz (KI), ein Thema ist zum Beispiel der Schutz von Minderjährigen in sozialen Netzwerken. Ein anderes Thema ist der Einsatz von KI in der Detektion von Straftaten in Unternehmen. Wenn unsere Studierenden eine Masterarbeit schreiben, bringen sie ihre Praxiserfahrungen und die Themen aus den Vorlesungen ein. Und dadurch, dass sie sich ihre Betreuerinnen und Betreuer –
mit unserer Unterstützung – selbst suchen können, lassen sich Neigungen sehr gut abbilden.
Angenommen, eine Person wird Opfer von Mobbing oder eines Datendiebstahls. Welche Rechte kann die geschädigte Person da geltend machen?
Ich kann dagegen zivilrechtlich mit Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen vorgehen, auch strafrechtlich gibt es Möglichkeiten, die Rechtsgrundlagen dafür sind sehr verschieden. Das Themenfeld ist eine nicht unspannende, geschweige denn präzise geregelte Frage. Wir versuchen, bei unseren Studierenden das Bewusstsein dafür zu wecken, dass wir uns im Bereich der Digitalisierung eben nicht auf eine funktionierende Regulierung oder überhaupt auf eine existente Regulierung verlassen können. Da kommt auch wieder die Technik ins Spiel: Wir versuchen, auch ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es auch technische Instrumente gibt, um Rechtsdurchsetzung effizienter zu machen. Das beste Beispiel dafür ist die Datenschutzgrundverordnung (Prof. Indra Spiecker ist Mitherausgeberin des führenden deutschen und einzigen englischsprachigen Kommentars dazu, Anm. d. Red.), die ein sogenanntes Privacy by Design vorsieht, also die Technik so auszugestalten, dass sie die Privatsphäre schützt. Dazu muss ich als Informatiker wissen, was die Juristen wollen, und als Jurist muss ich wissen, wie ich das einem Informatiker erklären kann.
Wird auch die Problematik von Chatbots und KI im Masterstudiengang behandelt? Wie finden Studierende ihre Masterarbeitsthemen?
Natürlich ist KI auch Thema, spezielle Anwendungen hängen dann eher von den Wahlmodulen ab. Ich selbst hatte zum Beispiel eine Anfrage für eine Masterarbeit, in der ein Studierender Deep-fakes im Wahlkampf untersuchen wollte. Daraus kann man, denke ich, ganz gut erschließen, was für ein Inspirationspotenzial im Studiengang entsteht. Auch darf man nicht vergessen: Der LL.M. ist sehr eng verknüpft mit den Aktivitäten des Instituts für Digitalisierung und auch mit meinem Lehrstuhl. Wir veranstalten eine regelmäßige Vortragsreihe, zu der verschiedene Experten eingeladen werden. Im Juni zum Beispiel spricht ein Verteidigungsexperte über Künstliche Intelligenz in der Kriegsführung.
Wie wird der Masterstudiengang, der seit zwei Jahren angeboten wird, angenommen?
Wir sind sehr begeistert: Für unsere 30 Plätze hatten wir im letzten Jahr etwas mehr als 80 Bewerbungen. Wir rechnen damit, dass wir in diesem Jahr noch einmal die Zahl der Bewerbenden steigern werden – schon deshalb, weil sich der Studiengang herumspricht. Unsere Evaluation ist für uns ein wichtiges Instrument, um mitzubekommen, wo die Studierenden Desiderate sehen, also wo Dinge funktionieren und wo nicht. Wir erleben, dass unsere Studierenden sehr positiv darüber sprechen und uns ein sehr ehrliches Feedback geben. Sie schätzen es, die Freiheit zu haben, sich in der Masterarbeit mit aktuellen Rechtsfragen zu befassen, und erleben die Lehrbeauftragten als enorm engagiert. Auch legt sich mit der Zeit die anfängliche Skepsis gegenüber den informationstechnischen Modulen. Viele sagen: „Das hat mir Spaß gemacht.“
Welche Berufsperspektiven eröffnet der Studiengang?
Im Wesentlichen sind es vier Bereiche: Das ist die Aufsicht, also verschiedene Regulierungsbehörden wie Bundesnetzagentur und Bundesdatenschutzbeauftragte. Dann die klassische Justiz, wo die Digitalisierungsfragen aufschlagen, aber wo unsere Richter in dieser Richtung schlichtweg nicht ausgebildet sind. Der dritte und vierte Bereich ist sehr unternehmens- und wirtschaftsnah: Auf der einen Seite erfolgt die Rechtsberatung durch Kanzleien oder auf der anderen Seite in den Unternehmen selbst. Da sind die Positionen natürlich viel fluider. Jemand kann in der Personal- und vor allem in der Rechtsabteilung landen. Aus der Rechtsabteilung heraus kann jemand in den Compliance-Bereich wechseln. In den Anwaltskanzleien sehen wir, dass es eine große Nachfrage gibt nach kundigen Kolleginnen und Kollegen. Und natürlich gibt es daneben noch ganz viele ungewöhnliche weitere Wege. Ob unsere Masterstudierenden dann besonders häufig von der Wissenschaft „angefixt“ sind, etwa durch die Masterarbeit, und promovieren wollen, werden wir erst noch sehen müssen.