Wohin mit dem Kohlendioxid aus der Industrie? Laut Ampel darf es nun unter dem Meeresboden eingelagert werden. Die Technologie wird seit Langem erprobt. Risikofrei aber ist sie nicht, die Auswirkungen kaum erforscht.
Wer grün sein will, muss sein Kohlendioxid einfangen: Für manche Industrie führt daran kein Weg vorbei. Das klimaschädliche Gas unter dem Meeresboden einzulagern ist nun erlaubt. Die Ampelkoalition hat den Weg frei gemacht, diese Technologie auch in Deutschland einzusetzen. Mit energieintensiven Verfahren wird das Treibhausgas eingefangen, unter Druck verflüssigt und dann etwa in ehemaligen Gas- und Erdöllagerstätten, in salzwasserhaltigem Gestein in den Meeresuntergrund gepresst und eingelagert. Gespeichert werden soll das CO2 innerhalb der Ausschließlichen Wirtschaftszone – rechtlich also in einer Entfernung von bis zu 200 Seemeilen vor der deutschen Küste. Damit leistet das Land auch einen Beitrag zu den Klimaschutzbemühungen der EU: Bis 2040 will diese 90 Prozent der Treibhausgasemissionen einsparen, darunter Methan und CO2. „Wir haben gerade den heißesten Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen hinter uns, und wir haben mit eigenen Augen gesehen, welche Zerstörungen der Klimawandel leider zunehmend in das Leben der Menschen bringt“, sagte EU-Umweltkommissar Wopke Hoekstra im Parlament.
Versuchsanlage seit 1996 in Norwegen
Das Einfangen und Einlagern von Kohlendioxid hilft insbesondere jener Industrie, die nicht darum herum kommt – etwa der Chemie- oder Zementindustrie. Beide kommen in ihren Produktionsprozessen aus chemischen und physikalischen Gründen nicht ohne CO2-Emissionen aus. Diese abzuscheiden, per Pipeline abzutransportieren und im Erdboden zu verpressen, damit sie nicht in die Atmosphäre gelangen, stellt für sie eine Notwendigkeit dar, um in Sachen Klimaschutz mithalten zu können. Alleine die Zementindustrie ist für bis zu sieben Prozent der weltweiten Treibhausgase verantwortlich. Nach eigenen Angaben baut der deutsche Zementriese Heidelberg Materials bereits jetzt schon eine sogenannte CO2-Auffanganlage in seinem Werk im norwegischen Breivik, von wo aus das Gas zu Schiffen geleitet und von dort aus am Meeresboden, etwa in alten Erdgasfeldern, verpresst werden soll. Auch für deutsche Fabriken gibt es solche Pläne, die norwegische Politik ist jedoch in ihren Entscheidungen diesbezüglich schon weiter. Steuerlich ist das Abscheiden von Kohlendioxid seit Jahrzehnten in Norwegen günstiger als der unkontrollierte Ausstoß in die Atmosphäre. Vorreiter ist bis dato der norwegische Energiekonzern Equinor (bis 2018 Statoil), der seit 1996 pro Jahr eine Million Tonnen CO2 im Ex-Erdgasfeld Sleipner in der Nordsee versenkt.
Anfang Januar bereits sprach sich ein ungewöhnlicher Zusammenschluss aus deutscher Industrie, Gewerkschaften und Naturschutzverbänden für CCS (das Abscheiden und Speichern von CO2) und CCU (das Wiederverwenden des gespeicherten CO2) aus. Es sei ein unverzichtbarer Bestandteil der grünen Transformation, müsse allerdings mit Wirtschaftlichkeit einhergehen, so das Positionspapier. Es sei „richtig, CCS und CCU nun prioritär dort einzusetzen, wo CO2-Emissionen nach aktuellem technischem Stand nicht vermieden werden können“. Gleichzeitig warnte ein zweites Bündnis aus Umwelt- und Bürgerinitiativen, darunter BUND und Greenpeace, vor den Gefahren. Ihre Befürchtung: „Kraftwerke und ganze Industriezweige würden sich mit CCS über Jahrzehnte weiter an die Nutzung von Öl und Gas binden“, weil sie durch die Technologie nicht dazu genötigt würden, die CO2-intensive Gas- und Ölverbrennung einzustellen. Es verhindere daher den Ausstieg aus fossilen Energien, „gibt der Öl- und Gasindustrie noch mehr Macht und belastet kommende Generationen mit der Ewigkeitslast von CO2-Deponien.“
Die Methode ist nicht unumstritten. Das norwegische Sleipner-Feld ist nach wissenschaftlichen Angaben kein hermetisch abgeriegeltes System, aus unterirdischen Gesteinsfrakturen kann Kohlendioxid in geringem Maße austreten. Wissenschaftler begleiten die Einspeicherung von Anfang an, Leckage-Auswirkungen auf die Umwelt sind jedoch noch ungenügend erforscht. Laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sei die Technologie jedoch reif für den Einsatz. Wissenschaftler sehen dies ebenfalls so.
Dass Öl-, Gas- oder Kohleverbrennende Energieerzeugung durch CCS künftig in die Länge gezogen werde, sehen die Experten jedoch nicht. Es spreche theoretisch nichts gegen den Einsatz von CCS in fossilen Kraftwerken, sagt beispielsweise Prof. Dr. Wilfried Rickels, Leiter des Forschungszentrums Global Commons und Klimapolitik am Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. „Dagegen sprechen jedoch die Kosten – insbesondere, wenn Abscheidegrade von über 90 Prozent erreicht werden sollen – so dass es nicht plausibel erscheint, dass sich fossile Kraftwerke mit CCS gegenüber erneuerbaren Energien bei der Stromerzeugung in großem Maßstab durchsetzen könnten. Es benötigt allerdings in der Carbon Management Strategie keine aufwändige Diskussion um den Ein- beziehungsweise Ausschluss verschiedener Emissionsquellen, da die Emissionen aus den Kraftwerken ohnehin aus ökonomischen Gründen verdrängt werden.“ Schon heute erreicht die Energie aus Erneuerbaren einen Anteil an der deutschen Gesamtstromerzeugung von über 50 Prozent, bestätigen statistische Daten des Umweltbundesamtes aus dem ersten Halbjahr 2023.
Die Einlagerungskapazitäten sind nicht unendlich, aber erheblich. Rechnungen von Klimawissenschaftlern zufolge besitzt alleine die Nordsee Lagerkapazitäten von 150 Milliarden Tonnen CO2, so das CDRmare-Projekt der Deutschen Allianz Meeresforschung. Um die Klimaziele Deutschlands einhalten zu können, müsste das Land gemäß der Studie „Klimaneutrales Deutschland 2045“ der Agora Energiewende im Jahr 2045 allein für Deutschland 63 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr einlagern. Dies sagt Prof. Dr. Roland Dittmeyer, Institutsleiter des Instituts für Mikroverfahrenstechnik des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). „Etwa elf Millionen Tonnen hiervon können durch naturbasierte Methoden wie beispielsweise Landnutzungsänderung oder Wiederverwässerung von Mooren der Atmosphäre entzogen werden.“ Der Großteil müsse also entweder indirekt über die energetische Nutzung von Biomasse mit CO2-Abscheidung und Einlagerung (BECCS) oder direkt der Atmosphäre entzogen werden (DACCS). Beides hat Vor- und Nachteile. „Da für BECCS nur nachhaltig gewonnene Biomasse genutzt werden kann, ist das Potenzial generell begrenzt und man wird nicht ohne DACCS auskommen. Da die Rest-Emissionen nach 2045 erwartungsgemäß noch weiter zurückgehen werden, wird für 2050 für Deutschland noch von etwa 30 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten an erforderlichen netto negativen Treibhausgasemissionen pro Jahr ausgegangen“, so Dittmeyer. Hinzu komme, dass man in Zukunft neben Biomasse und Plastikabfällen CO2 auch als Kohlenstoffquelle für „erneuerbare“ chemische Produkte sowie Energieträger für technisch oder wirtschaftlich nicht elektrifizierbare Anwendungen benötige. „Das hierfür zum Einsatz kommende CO2sollte nicht fossilen Ursprungs sein, zumindest bei Produkten, die eine kurze Lebensdauer haben. Andernfalls würde sich die der Atmosphäre zu entnehmende Menge CO2 entsprechend erhöhen.“
BUND drängt auf CO2-Vermeidung
Dittmeyer geht von einer Milliarde Tonnen CO2 pro Jahr aus, die global bis 2050 eingefangen und eingelagert werden müssten. Prinzipiell aber sollten diese Mengen erst gar nicht entstehen. „Als generelle Leitlinie hat die Vermeidung beziehungsweise die Reduktion von Treibhausgasemissionen Vorrang vor der Kompensation.“ Darauf weist auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hin, der 2023 in einem Positionspapier für den schleswig-holsteinischen Landtag zur CCS-Technologie und der Verpressung unter den Meeresboden Stellung nahm. Der BUND Schleswig-Holstein weist vor allem auf Gefahren wie CO2-Lecks und kaum erforschte Risiken beim Austritt von Kohlensäure am Meeresboden und mögliche Auswirkungen auf die Umwelt hin. Deshalb drängt er vor allem darauf, nicht mit hohem Energie- und Finanzaufwand eine Technologie zur Verpressung von CO2 zu fördern, die letztlich den Weiterbetrieb fossiler Technologien oder die CO2-intensive Entwicklung von „blauem“, sprich fossil hergestelltem Wasserstoff fördert. Ob dies passiert, liegt nicht zuletzt an den Leitplanken, die die Politik künftig dafür vorgibt.