Der Vietnamkrieg ging vor 50 Jahren offiziell zu Ende, doch sowohl in den USA als auch in Vietnam wirkt er bis heute nach. Wie es dazu kam und worum es ging, soll auf den folgenden 15 Schwerpunktseiten thematisiert werden.
Kein Ereignis der jüngeren Geschichte hat die Vereinigten Staaten von Amerika gesellschaftspolitisch so verändert wie der Vietnamkrieg, der vor 50 Jahren offiziell zu Ende gegangen ist. Obwohl die Opferzahlen unter den amerikanischen Streitkräften im Zweiten Weltkrieg weitaus höher waren, wurde der Vietnamkrieg für die USA zu einem Trauma, das bis heute nicht wirklich aufgearbeitet worden ist und entsprechend noch immer nachwirkt. Waren die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg als strahlende Sieger und Befreier Europas gefeiert worden, wurde der Vietnamkrieg für sie zum Albtraum. Trotz deutlicher militärischer Überlegenheit gelang es ihnen nicht, einen eigentlich hoffnungslos unterlegenen Feind zu besiegen.
Im Konflikt zwischen dem kommunistisch geprägten Norden, der von Russland und China unterstützt wurde, und dem freiheitlich orientierten Süden Vietnams wechselten die USA 1964 vom Unterstützer zur aktiven Kriegspartei und entsandten im März 1965 erstmals eine 3.500 Mann starke Bodentruppe, die bis 1968 auf 550.000 Soldaten anwuchs. Diese Soldaten waren jedoch überwiegend blutjung, vollkommen unerfahren und schlecht ausgebildet. Zudem setzte sich die Truppe überproportional stark aus sehr jungen Afroamerikanern zusammen, deren Leben die US-Regierung augenscheinlich eher bereit war zu opfern. Das Durchschnittsalter der Soldaten lag bei 19 Jahren, mehr als 60 Prozent der in Vietnam getöteten amerikanischen US-Streitkräfte starben im Alter von 18 bis 21 Jahren.
Gespaltene US-Gesellschaft
Der Krieg wurde auf beiden Seiten mit ungeheurer Grausamkeit geführt, was viele der jungen Soldaten nur mithilfe von Drogen, vor allem Heroin, aushalten konnten. Unter dem Einfluss der Drogen begingen viele Soldaten wiederum unvorstellbare Grausamkeiten, weil emotionale Empfindungen betäubt und unterdrückt wurden. Viele der Gräueltaten kamen erst nach dem Krieg ans Licht der Öffentlichkeit, ebenso wie Vertuschungen der eigenen Regierung. Doch was die Amerikaner in der Heimat während des Krieges zu sehen und hören bekamen, reichte bereits aus, um die Kampfhandlungen im fernen Asien zunehmend infrage zu stellen.

Die anhaltenden Schreckensmeldungen aus Südostasien führten in der amerikanischen Heimat in der Folge zu immer stärker wachsenden Protesten. Bereits Anfang der 60er-Jahre hatte sich vor allem an den Universitäten eine Antikriegsbewegung gebildet, die Mitte der 60er-Jahre immer stärker anwuchs, als die Fernsehbilder der grausamen Kriegshandlungen im Vietnamkrieg bis in alle Haushalte flimmerten. Der rücksichtslose Einsatz des sogenannten Agent Orange, einem dioxinhaltigen Entlaubungsmittel, um die Verstecke des Feindes im dichten Dschungel offenzulegen, und der Einsatz des Brandkampfstoffs Napalm forderte zahlreiche vietnamesische Opfer – und trugen in den USA maßgeblich zur Entstehung der 68er-Bürgerrechtsbewegung bei. Am 15. April 1967 demonstrierten in New York City 300.000 Menschen gegen die amerikanischen Bombenangriffe auf Nordvietnam und forderten den sofortigen Abzug der US-Amerikaner aus Südvietnam. Im Oktober 1967 kam es in Washington, D.C. zu großen Demonstrationen.
Auch die sogenannte Hippiebewegung, die unter dem Motto „Make love, not war“ („Macht Liebe, nicht Krieg“) zum gewaltlosen Widerstand aufrief, erreichte Ende der 60er-Jahre ihren gesellschaftlichen Höhepunkt in der Friedensbewegung gegen den Vietnamkrieg und ebbte mit dessen Ende wieder ab.
Optisch geprägt war die gewaltlose Flower-Power-Bewegung der Hippies durch blumenbestickte Kleidung und lebendige Farben; sie trugen Blumen im Haar und verteilten Blumen an die Öffentlichkeit. Dabei beeinflussten die Protestbewegungen nicht nur die heranwachsende Jugend, sondern inspirierten unzählige Künstler wie beispielsweise die Folksänger Bob Dylan, Joan Baez oder Pete Seeger, aber auch zahlreiche andere Künstler wie The Mamas and the Papas, Scott McKenzie, Donovan, Jimi Hendrix und viele andere, deren Musik als Flower-Power-Musik bekannt wurde.
Künstlerischer Höhepunkt war das dreitägige Woodstock-Musikfestival, das ganz im Zeichen von Frieden und Musik stand und die Protestbewegung spätestens jetzt in die ganze westliche Welt trug.
Es gab aber auch gewaltsame Proteste, die durch die Erschießung des schwarzen Bürgerrechtlers Dr. Martin Luther King am 4. April 1968 ausgelöst wurden. Die Studentenbewegungen in den USA orientierten sich in der Folge teilweise an der sogenannten Black Panther Party und deren identitärer Politik, die programmatisch antiimperialistisch orientiert war. Der amerikanische Staat ging mit aller Härte gegen die sich zunehmend radikalisierende Bewegung vor und ebenso auch gegen Studentenproteste, was zu neuen Protesten führte.
Agent Orange hat bis heute Folgen
Letztlich forderte der Krieg, der 1975 mit der Kapitulation Südvietnams endete, auch lange nach den Kampfhandlungen auf beiden Seiten Opfer unterschiedlichster Art. Man schätzt, dass mehr als 40.000 US-Soldaten bis 1970 in Vietnam heroinabhängig wurden, 330.000 Heimkehrer waren Ende 1971 arbeitslos. Mehr als 300.000 der zwei Millionen Veteranen wurden bis Ende 1972 straffällig und inhaftiert, weil sie sich im Alltag nicht mehr zurechtfanden. Unzählige leiden bis heute an unbehandelten posttraumatischen Störungen. Auf Seiten der Vietnamesen sind bis heute schätzungsweise zwei bis vier Millionen Menschen von den Spätfolgen betroffen, mindestens 100.000 Kinder wurden mit Behinderungen geboren, hat die Deutsche Welle recherchiert. Grund sind die eingesetzten Entlaubungsmittel, die herstellungsbedingt mit dem chlorhaltigen Giftstoff Tetrachlordibenzodioxin (TCDD) verunreinigt waren. Neben den schweren Fehlbildungen gelten bis heute mehr als 20 Krankheiten als direkte Folge von Agent Orange, darunter Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, Wirbelsäulenspalten, Immunschwächen, Nervenleiden, Diabetes und Parkinson.
Während auch US-Soldaten dem Mittel ausgesetzt waren und per außergerichtlichem Vergleich eine Summe von 180 Millionen Dollar erstritten, erhielten die vietnamesischen Opfer bis heute keinerlei Entschädigung. Eine Sammelklage wurde 2005 abgewiesen, da der Einsatz von Agent Orange „keine chemische Kriegsführung“ gewesen sei – und deshalb kein Verstoß gegen internationales Recht.