Eine Corona-Erkrankung hinterlässt bleibende Spuren im menschlichen Gehirn, selbst wenn keine Symptome mehr spürbar sind. Diese Art von immunologischen Narben deutet auf eine anhaltende Aktivierung des angeborenen Immunsystems im Gehirn hin.
Eigentlich möchte am liebsten niemand mehr etwas über Corona hören. Aber die Infektionszahlen waren jüngst wieder deutlich angestiegen. Was die Weltgesundheitsorganisation WHO zu der Warnung veranlasst hatte, dass trotz der Verfügbarkeit von Impfstoffen und Behandlungsmöglichkeiten das Virus weiterhin eine ernsthafte globale Bedrohung darstellt.
Im August 2024 brachte BioNTech/Pfizer hierzulande einen neuen Impfstoff „Comirnaty JN.1“ auf den Markt, der sowohl zur Grundimmunisierung als auch für Auffrischungsimpfungen speziell gegen die zuletzt dominierende Variante Omikron JN.1 entwickelt worden war. Diese ist allerdings zwischenzeitlich schon durch Abkömmlinge dieser Variante namens KP.3 und KP.3.1.1 abgelöst worden. Experten gehen nicht von einem erhöhten Gesundheitsrisiko durch diese Omikron-Subtypen aus, weshalb sie von der WHO auch nur als „unter Beobachtung“ eingestuft wurden. Allerdings wurde diesen neuen Varianten eine erhöhte „virale Fitness“ bescheinigt, sie können sich besser vermehren und weisen eine hohe Immunflucht auf. Auch zuvor erkrankte oder geimpfte Personen können sich daher theoretisch leichter mit dem Virus infizieren. Allerdings wird der Krankheitsverlauf laut internationalen Experten wohl eher milder oder weniger gravierend verlaufen. „Die Menschen sind geimpft, die Menschen waren infiziert, all das trägt dazu bei, dass wir eine Art Herdenimmunität entwickelt haben“, so der Mikrobiologe Prof. Peter Palese von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York. Er geht davon aus, dass sich daran auch mit den KP.3-Varianten nichts ändern wird. Auch wenn es speziell gegen diese Varianten noch keine angepassten Vakzine gibt.
Viele Fragen sind noch offen
Dennoch sollte eine Corona-Erkrankung nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Weil halt niemand sicher sein kann, dass sich bei ihm nicht infolge einer womöglich sogar nur leichten Infektion eine langanhaltende Krankheitsbelastung namens Long-Covid (mit Symptomen, die länger als vier Wochen nach der Infektion bestehen) oder Post-Covid (mit Symptomen, die später als zwölf Wochen nach Krankheitsbeginn auftreten beziehungsweise wieder auftreten) einstellen könnte - verbunden mit teils schweren körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen. Bei Long- und Post-Covid sind viele Fragen trotz intensiver Bemühungen der internationalen Forschung noch offen. Nicht einmal die Zahl der davon Betroffenen lässt sich sicher ermitteln, Schätzungen zufolge hat jede zehnte Corona-Erkrankung Post-Covid zur Folge. Welche genauen Krankheitsmechanismen diesen langanhaltenden Krankheitsbelastungen zu Grunde liegen, ist bislang ebenso ungeklärt wie das äußerliche Krankheitsbild, wie etwaige Frühwarnzeichen, wie sinnvolle Vorbeugemaßnahmen oder wie effektive Therapie-Maßnahmen. Die Symptome sind äußerst vielfältig, mehr als 200 konnten schon identifiziert werden, wobei oft mehrere Organsysteme betroffen sind und viele Patienten die Kriterien eines chronischen Erschöpfungssyndroms erfüllen. Die Problematik besteht darin, dass es eben nicht die eine typische Long- oder Post-Covid-Erkrankung gibt und daher auch nicht den einen Mechanismus, den es zu verstehen gilt, sondern eben viele – und das macht eine Behandlung so kompliziert.
Um die Wissenslücken möglichst schnell zu schließen, haben gleich zwei deutsche Bundesministerien, Gesundheit sowie Bildung und Forschung, Fördergelder zur Erforschung und Stärkung einer bedarfsgerechten Versorgung rund um die Langzeitfolgen von Covid-19 zur Verfügung gestellt. Enorm hilfreich könnten die Erkenntnisse werden, die jüngst von einem Team des Universitätsklinikums Freiburg unter Leitung von Prof. Marco Prinz, Ärztlicher Direktor am Institut für Neuropathologie, und Dr. Marius Schwabenland, Assistenzarzt am Institut für Neuropathologie, gewonnen werden konnten und in einer im Fachmagazin „Acta Neuropathologica“ veröffentlichten Studie publiziert wurden. Die Freiburger Wissenschaftler hatten sich mit den Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion für das menschliche Gehirn beschäftigt und dabei immunologische Veränderungen im Gehirn von Covid-19-Genesenen nachweisen können. Sie kamen dabei Anzeichen einer anhaltenden Aktivierung des angeborenen Immunsystems auf die Spur. „Diese Erkenntnisse könnten entscheidend für die Entwicklung neuer Therapien für Patienten mit langfristigen neurologischen Symptomen nach einer Corona-Erkrankung sein“, so das Forscher-Team.
Mikrogliazellen im Gehirn
Für ihre Studie untersuchten die Freiburger Wissenschaftler die Gehirne von 15 Patienten, die geraume Zeit vor ihrem Tod eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht hatten, danach vollständig genesen waren sowie keinerlei Symptome mehr aufgewiesen hatten und schließlich an einer gänzlich anderen Ursache verstorben waren. Selbst bei diesen komplett Genesenen konnten sie mit Hilfe hochmoderner Methoden des maschinellen Lernens und einer räumlichen Auflösung auf der sogenannten Einzelzell-Ebene immunologische Veränderungen im zentralen Nervensystem ermitteln. Bei ihren Analysen fanden die Forscher im Gehirn der Verstorbenen zahlreiche Knötchen, die von sogenannten Mikrogliazellen, den zerebralen Immunabwehr-Zellen des Gehirns, gebildet waren. „Solche Mikroglia-Knoten gelten als morphologische Anzeiger für chronische neuropathologische Prozesse wie beispielsweise virale Enzephalopathien, Axonschäden oder neurodegenerative Veränderungen“, so Dr. Marius Schwabenland. Obwohl die untersuchten Personen keinerlei Symptome von Long-Covid oder anderen Covid-Spätfolgen gezeigt hatten, war in ihrem Gehirn eine immunologische „Narbe“ zurückgeblieben. Diese lieferte laut den Forschern einen klaren Hinweis darüber ab, dass das angeborene Immunsystem auch nach der akuten Infektion weiterhin aktiviert geblieben war. „Diese charakteristischen Immun-Zellansammlungen weisen auf eine chronische Immunaktivierung hin, ähnlich einer Narbe, die nicht vollständig ausheilt. Die Mikroglia-Knötchen könnten eine zentrale Rolle bei den neurologischen Veränderungen spielen, die bei einigen Genesenen beobachtet werden“, so Dr. Marius Schwabenland. Bei Vergleichsproben von gesunden, nie an Covid-19 erkrankten Menschen konnten die Forscher keine Mikroglia-Knötchen dieser sogenannten Immuneffektorzellen des zentralen Nervensystems aufspüren.
Laut den Wissenschaftlern können die Ergebnisse der detaillierten Gehirnuntersuchung bei der weiteren Erforschung der Viruserkrankung von hohem Nutzen sein. „Es ist gut möglich, dass die anhaltende Aktivierung des angeborenen Immunsystems im Gehirn zu den langfristigen neurologischen Beschwerden nach einer SARS-CoV-2-Infektion beiträgt. In einer früheren Studie hatten wir bereits Proben nach akuter SARS-CoV-2-Infektion untersucht und ähnliche, deutlich stärkere Veränderungen festgestellt“, so Dr. Marius Schwabenland. Demnach könnten die Mikroglia-Knötchen eine wesentliche Rolle bei neurologischen Veränderungen spielen, unter denen einige Long-Covid-Patienten leiden. „Unsere Ergebnisse unterstreichen die zentrale Rolle, die fehlregulierte Immunreaktionen bei Covid-19 spielen können. Nicht nur bei der akuten Infektion, sondern auch bei Langzeitfolgen wie Long-Covid“, so der Studien-Co-Autor Prof. Bertram Bengsch, Sektionsleiter an der Klinik für Innere Medizin am Universitätsklinikum Freiburg. Ein besseres Verständnis dieser Prozesse könne zu neuen therapeutischen und diagnostischen Ansätzen in der Behandlung von Long-Covid beitragen. „Unsere Studie ist ein wichtiger Schritt“, so Prof. Marco Prinz, „um zu verstehen, wie Covid-19 das Gehirn langfristig beeinflusst. Dies könnte uns helfen, gezielte Therapien zu entwickeln, die diese Immunreaktionen modulieren und die Lebensqualität der Betroffenen verbessern können.“ Die Untersuchung verschiedener Zelltypen des angeborenen und erworbenen Immunsystems sowie das Zusammenspiel dieser Zellen stellt laut den Wissenschaftlern einen vielversprechenden Ansatz für künftige Forschungsprojekte dar, die über die akute Covid-19-Infektion hinausgehen.