Hupen, drängeln, stehen: In der Rushhour geht es in Deutschlands Städten ungemütlich zu. Als Sonnenstrahl am Horizont erscheinen neue technische Lösungen, die, aller Emsigkeit zum Trotz, Menschen und Klima in der City die Chance geben, sich zu erholen.
Der tägliche Weg zur Arbeit oder Uni ist lang, sein Verlauf ungewiss. Verspätungen, Umstiege, Lärm und stickige, schmutzige Luft erschweren das Vorwärtskommen in der Stadt. Ein KI-gestützter, proaktiver Reiseassistent soll künftig für unser Wohlbefinden sorgen, indem er unsere Erfahrungen aufgreift und uns bessere Lösungen vorschlägt.

Am „AI-TraWell“ haben unter anderen das Fraunhofer Institut, Tom Tom, das University College London und die Stadt München zusammengewirkt, um einen interaktiven, multimodalen Navigations-Chatbot zu gestalten, aus dem Künstliche Intelligenz spricht. Seine Mission: Auf jeden Einzelnen zugeschnittene Fortbewegungsalternativen empfehlen. Außerdem sollen Anreizstrategien dafür sorgen, dass Menschen ihr Mobilitätsverhalten verändern. Davon sollen auch die Mitbürger etwas haben: Lebensqualität und Gesundheit.
Hervorgegangen ist der Bot aus der Erkenntnis, dass der tägliche Stadtroutenstress, inklusive Luftverschmutzung, bei den Bürgern zu lang anhaltenden, psychischen Erkrankungen, Depressionen und Angstzuständen führen kann. Der positive Doppeleffekt an Projekten wie diesem: Was dem Menschen in der urbanen Mobilität wohltut, hilft auch dem Stadtklima.
Kreative Ideen, wie der „AI-TraWell“, werden für Menschen und Umwelt im Rushhour-Ambiente dringend gebraucht. Wegen der Kosten hat EIT Urban Mobility, eine 2019 gegründete Initiative des Europäischen Innovations- und Technologieinstituts der Europäischen Union, bereits mehr als 250 marktreife Pilotprojekte auf ihrem Weg unterstützt. Sie alle sollen europäische Städte auf ihrem Weg zu Netto-Null-Emissionen vorwärtsbringen.
Dem EIT Urban Mobility zufolge, leben mehr als 75 Prozent aller EU-Bürger in Städten. Deren Verkehrsgewühl entstammen 23 Prozent der verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen innerhalb der Europäischen Union. Damit alle entspannter durchschnaufen können, und um die Ziele des Green Deal der EU zu erreichen, müssen diese Emissionen bis 2050 auf null gesenkt werden.
Eine im November vorgestellte Studie von EIT Urban Mobility zeigt, dass die europäischen Städte bis 2050 eineinhalb Billionen Euro in nachhaltige Mobilität investieren müssten, um diese Emissionsziele zu erreichen. Deshalb braucht es zielgenaue, technologische Innovationen, aber auch die Bereitschaft der Stadtbewohner, ihr Mobilitätsverhalten zu ändern. „Europa befindet sich an einem entscheidenden Punkt für nachhaltige, urbane Mobilität“, sagt Maria Tsavachidis, CEO von EIT Urban Mobility und Vorsitzende des Tomorrow Mobility World Congress Advisory Board.
Um die urbane Mobilität zu transformieren, setzen politische Entscheidungsträger, Stadtvertreter, zudem Branchenführer ebenso wie Start-ups, auf Zusammenarbeit und Netzwerken. Und auf Forschungsergebnisse.
Die Studie der Stadtmobilitätsinitiative des Europäischen Innovations- und Technologieinstituts beispielsweise empfiehlt, bevorzugt den öffentlichen Nahverkehr auszubauen. Sie rät auch zu gemeinsamen, geteilten Mobilitätslösungen, also beispielsweise Fahrgemeinschaften. Außerdem weist die Studie darauf hin, dass es Sinn macht, Umweltzonen einzurichten. Werden diese Maßnahmen realisiert, könnten bis 2030 die Zahl der Fahrten mit dem öffentlichen Nahverkehr um sieben Prozent gesteigert und die Zahl der Fahrten mit dem privaten Pkw um bis zu 16 Prozent reduziert werden.
Manche Lösungen scheinen leicht umsetzbar: Würden zwei bis drei Prozent der geplanten Batterieproduktion in Europa umgewidmet, so eine andere Studie von EIT Urban Mobility und EIT InnoEnergy, könnten 2030 bereits 25 Millionen leichte Elektrofahrzeuge (LEVs) akkubetrieben unterwegs sein. Diese LEVs würden die Erdatmosphäre um etwa 30 Millionen Tonnen Kohlendioxid entlasten.
Die Lebensqualität allerorts steigern

Leichtgewichtige Zwei- und Vierrad-Fahrzeuge mit Elektromotoren, vom Pedelec bis zum Minilieferwagen, lassen sich besonders in Städten als ökologisch und ökonomisch sinnvolle Alternativen zu großen, schweren Fahrzeugen einsetzen. Zumal drei Viertel aller Strecken, die Menschen und Güter zurücklegen, kürzer als 20 Kilometer sind.
Bei der urbanen Mobilität der Zukunft geht es um Lebensqualität in den Städten und auf den Wegen vom Land in die City. Auch Daten sollen helfen gegen das viele Warten auf dem Weg zur Arbeit, zum Einkaufen oder nach Hause. Und gegen Emissionen, die der Verkehr nach klassischer Manier zum Leidwesen von Luftqualität und Umwelt erzeugt. Gesucht wird daher nach smarten Lösungen für den Verkehr.
Immer häufiger ist auch Künstliche Intelligenz an Bord. Doch KI verbraucht viel Strom und verursacht möglicherweise Luftverschmutzung. Ein Widerspruch, wenn es darum geht, ausgerechnet mit KI zu einer Null-Emissions-Strategie zu gelangen. Doch wir können entspannt durchschnaufen: Der Trend weise dahin, bei Projekten zur Verbesserung der Luftqualität die Software so zu gestalten, dass die Rechnerpower sparsam arbeitet und immer weniger Emissionen erzeugt – das war zumindest den Aussagen der Experten bei einem digitalen Roundtable von EIT Urban Mobility zu „KI in der urbanen Mobilität“ zu entnehmen. „Wir konzentrieren uns auf Innovationen, die Städte auf ihrem Weg zum Netto-Nullpunkt am effizientesten unterstützen“, betonte Alex Bojeri, Beauftragter für den Innovationslebenszyklus von der EIT Urban Mobility.
Für Städte ist der Übergang zu nachhaltiger Mobilität eine ähnlich große Herausforderung wie der Wechsel der Fortbewegungsmittel, als das Automobil die Kutsche ablöste. Mit über 250 Partnern und einem Netzwerk von mehr als 950 Organisationen in 35 Ländern sorgt EIT Urban Mobility als Schirmherr deshalb für Mobility-Lösungen im Sinne einer CO2-freien, urbanen Mobilität, die einem wohligen Lebensgefühl in der City zuträglich ist. Ausführende sind Unternehmen, Start-ups, Universitäten und der öffentliche Sektor.
Verkehr langfristig umweltfreundlicher
So vernetzt das italienische Unternehmen Arxax kohlenstoffarme Tankstellen für schwere Nutzfahrzeuge und verwendet Big Data und IoT, um die grüne Transformation zu unterstützen. Das spanische Start-up Bia Power macht erneuerbare Energien aus Sonne und Wind durch Elektrofahrzeuge flexibler nutzbar.
Es geht auch ums Geld. Marktchancen für nachhaltige Verkehrslösungen wachsen, wenn nachgewiesen wird, dass diese die Luftqualität verbessern. Software-as-a-Service, sogenannte „SaaS“, kombiniert bei Imaginext Echtzeit-Verschmutzungs- und Verkehrsinformationen, um durch den Einsatz von KI zu lernen, wie Mobilitätsstrategien die Luftqualität beeinflussen. Beim Pilotprojekt in Lindau am Bodensee beispielsweise mit einem Sensor an einer Straße, die zum Fahrradweg wurde, im Vorher-/Nachher-Szenario.
„Wir freuen uns, dass Lindau Teil des Forschungsprojekts Imaginext ist. Wir erhoffen uns von den Projektergebnissen, die Wirkung unserer Mobilitätsmaßnahmen messen zu können und so gezielt nachhaltige Mobilität vor Ort zu fördern. Nur so ist es uns als Stadt möglich, den Verkehr langfristig umweltfreundlicher zu gestalten und neue Mobilitätslösungen und -technologien für Bürger und Gäste einzuführen“, sagte Lindaus Oberbürgermeisterin Dr. Claudia Alfons. „Die Vernetzung mit anderen Innovationsakteuren auf EU-Ebene ist dabei ein wichtiger Bestandteil.“

Die Mobilität in Städten soll nachhaltiger und auch sozialverträglicher werden. „Mit Projekten wie Imaginext wollen wir die Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Stadtplanern, Forschung/Wissenschaft und Industrie fördern und unterstützen“, betonte Professor Dr. Uwe Clausen, Direktor des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik (IML), bei einem Treffen der Beteiligten vor Ort. Hier lüftet sich auch ein Teil des Geheimnisses, wofür die Europäische Union Geld ausgibt. „Die EU-Förderung ermöglicht es uns, die Skalierung und Entwicklung komplexer Mobilitäts-Lösungen, unter anderem mit KI, beschleunigt voranzutreiben“, heißt es bei EIT Urban Mobility, die das Imaginext-Projekt kofinanziert. „Ohne diese Unterstützung und den Einsatz unserer Partner wäre die Umsetzung in der gewählten Größenordnung und Zeitspanne eine Herausforderung, da innovative und emissionsfreie Mobilitätslösungen häufig hohe Investitionen erfordern.“ Die EU-Finanzierung ergänze andere Finanzierungsquellen, die auf regionaler oder nationaler Ebene zur Verfügung stehen. Dies sei gerade für Start-ups von besonderer Bedeutung.
Bundesweit diverse Pilotprojekte
Luft und Lebensqualität hängen eng zusammen. Die Luftqualität zu überwachen, ist in Lindau ebenso wichtig wie in München. Dort hatte vor einigen Jahren das Start-up Hawa Dawa damit begonnen, die Luft und deren Verschmutzungsgrad in Echtzeit zu messen und auszuwerten. Mittlerweile sind die Technologie und das Know-how des Start-ups zum Monitoring von Luftqualität Teil der Speziallösungen der Bernard Gruppe geworden.
Besuch aus der Zukunft bekam Braunschweig als EIT-Urban Mobility-Pilotstadt, als Logismile mit einem elektrischen Straßenroboter mit Namen „ON“ aufwartete. Die Maschine kann sich selbstständig in Fußgängerzonen und auf der Straße bewegen, um Pakete auf der letzten Meile zuzustellen. Auch Raion, ein Logistikfahrzeug, das mobil und automatisiert als Logistikzentrum unterwegs ist, soll die Städte entlasten. Ebenso ein Kontrollzentrum, das der neuen Maschinenwelt Sicherheit verleihen soll, indem es den Fahrstatus beider Fahrzeuge überwacht, ihre Kommunikation sicherstellt und bei Bedarf in die Fahrfunktionen eingreift.
Auch Hamburg ist als Pilotstadt dabei, um das vollständig autonome Logismile-Logistiksystem für die letzte Meile zu erproben. Dessen Ziel: Lärm, Staus und schlechte Luft zu reduzieren. Ein Konsortium aus 15 europäischen Organisationen und Institutionen, die Erkenntnisse von Universitäten, Forschungszentren, Stadtverwaltungen und industriellem Fachwissen vereinen, hat sich bei Logismile zusammengefunden. Aufbauend auf den Erkenntnissen, wie zuverlässig die autonomen (Roboter-)Fahrzeuge mit dem Kontrollzentrum zusammenarbeiten, gründet sich ein Start-up. Sein Zweck: Architekturberatungsdienste auf dem Markt für zuverlässige (Sicherheits-)Fahrzeuge anzubieten.

Gelächelt wurde auch, als das Projekt Smile24 Ende Oktober beim Deutschen Mobilitätspreis geehrt wurde: Weil es mit einem flexiblen, zugänglichen Nahverkehrsdienst Mobilität auch in abgelegene Regionen bringt. So leiste das umfangreiche Nahverkehrsangebot einen wichtigen Beitrag zur Mobilitätswende im ländlichen Raum.
Der Publikumspreis ging beim Deutschen Mobilitätspreis 2024 an „MoveOn“: Dessen Projektteam erhebt, analysiert und wertet GPS-Routendaten von über 475.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Kampagne „Stadtradeln“ aus und stellt diese für die kommunale Verkehrsplanung zur Verfügung. Dr. Sven Lißner, Leiter der Forschungsgruppe Radverkehr/BikeLab an der Professur für Verkehrsökologie der TU Dresden, freut sich über die Auszeichnung: „Die Nominierung für den Preis ist ein wichtiges Signal für die Stärkung des Radverkehrs in Deutschland und motiviert uns, weiter an digitalen Konzepten für fahrradfreundliche Städte und Kommunen zu forschen. Die Auszeichnung mit dem Publikumspreis zeigt die große gesellschaftliche Relevanz unseres Forschungsthemas und dass wir zahlreiche Menschen mit unserer Forschung bewegen.“
Der Stadtverkehr in Saarbrücken soll mit einem Citylink-Niederflurzug der Saarbahn eine Pionierrolle einnehmen. Eigentlich wollte die Stadler Rail Management AG im kommenden Jahr das erste Fahrzeug aus der Kooperation „TramTrain – Das Projekt“ in Saarbrücken zum Einsatz bringen. Um Menschen künftig komfortabler und umweltfreundlicher, ohne Umsteigen, aus dem Umland in die Stadtzentren zu transportieren. Doch Sturm und Überschwemmungen als Folge der Erderwärmung haben das Stadler Kompetenzzentrum für städtische Schienenfahrzeuge und Lokomotiven getroffen. Auf Nachfrage hieß es: „Das genaue Ausmaß der Schäden wird derzeit noch evaluiert. Obwohl die Produktion im Werk in Valencia betroffen ist, ist es noch zu früh, eine genaue Bilanz zu den einzelnen Projekten zu ziehen. Daher ist es momentan noch nicht möglich, zu sagen, wie sich der verheerende Sturm in Valencia auf das Projekt in Saarbrücken auswirkt.“