Anja Althaus ist im deutschen Frauen-Handball eine Ikone – und jetzt auch Managerin der Nationalmannschaft. Einen ersten kleinen Effekt davon erhofft sich der Verband schon bei der anstehenden EM.
Wegen der Liebe zog es Anja Althaus vor zehn Jahren nach Nordmazedonien. Sie verließ den Thüringer HC und wechselte zu Vardar Skopje. Sportlich war der Schritt durchaus erfolgreich, dreimal in Folge gewann die damalige Profi-Handballerin mit Vardar das nationale Double aus Meisterschaft und Pokal. Doch privat ging der Plan nicht auf. „Ich würde es als Lektion fürs Leben bezeichnen“, sagte Althaus einmal: „Ich habe mich trotzdem entschieden, dort zu bleiben.“ Nach einem letzten Karriere-Abenteuer in Ungarn bei Györi ETO KC, mit dem sie zum Abschluss ihrer Laufbahn 2018 ihren dritten Champions-League-Titel gewann, kehrte sie später nach Nordmazedonien zurück. Hier nahm ihre zweite Karriere an Fahrt auf: zuerst als Co-Trainerin der Beachhandball-Nationalmannschaft der Balkanhalbinsel, dann als Medien-Managerin der Handball-Nationalmannschaft der Männer. Bei Deutschlands Gruppengegner der vergangenen Heim-EM hatte sich Althaus gleich viel Respekt verschafft.
„Bei meinem Amtsantritt hatte ich ein Meeting mit den Spielern und habe ihnen die Frage gestellt: Wer ist Profi-Spieler? Da haben natürlich alle die Hand gehoben“, erzählte die einstige Weltklasse-Kreisläuferin: „Dann habe ich ihnen gesagt: Wenn ihr Profi-Spieler seid, gehören die Medien dazu!“ Manche Spieler hätten sie daraufhin verwundert angeschaut. „Da gibt es noch Nachholbedarf“, sagte sie. Ihre Arbeit in Nordmazedonien wurde auch vom Deutschen Handball-Bund (DHB) ganz genau beobachtet. Schließlich gibt es auch dort im Bereich der (neuen) Medien noch Luft nach oben, vor allem im Frauen-Handball. Und da 2025 die Heim-WM ansteht, lockte der DHB die 243-malige Nationalspielerin zurück zum Verband. Althaus besetzt die neu geschaffene Position der Managerin des Frauen-Nationalteams.
„Diese Aufgabe ist eine riesige Ehre“, sagte die 42-Jährige. Es sei für sie „immer das Größte“ gewesen, während ihrer Profikarriere für ihr Heimatland aufzulaufen. „Jetzt wieder für Deutschland und unsere Nationalmannschaft arbeiten zu dürfen, erfüllt mich mit Stolz und großer Freude. Das möchte ich weitergeben und vermitteln.“ Wie man erfolgreich sein kann, können die aktuellen Spielerinnen ganz sicher von Althaus lernen. Sie hat nicht nur dreimal die Champions League gewonnen, sondern war auch Teil der DHB-Auswahl, die 2007 mit WM-Bronze die bislang letzte deutsche Medaille im Frauen-Handball bei Großturnieren geholt hat. Auch wegen dieser Erfahrung ist Bundestrainer Markus Gaugisch froh über die neue Unterstützung im Staff. „Anja Althaus lebt vor, was es für Handball auf Top-Niveau braucht“, sagte Gaugisch: „Dieses Vorbild in Verbindung mit ihrem organisatorischen Talent wird uns einen Push geben.“
Überraschung, aber keine Sensation
Womöglich schon bei der Europameisterschaft in Österreich, Ungarn und der Schweiz. Dort trifft die DHB-Auswahl an diesem Freitag (29. November, 20.30 Uhr) in der Olympiahalle in Innsbruck zunächst auf die Ukraine. Weitere Gruppengegner sind WM-Co-Gastgeber Niederlande (1. Dezember, 18 Uhr) und Island (3. Dezember, 20.30 Uhr). Drei Tage nach dem Gruppenabschluss beginnt die Hauptrunde, später dann das Finalwochenende. Im Endspiel um Gold wird am 15. Dezember in der Wiener Stadthalle gekämpft. Sollte Deutschland am Schlusswochenende noch dabei sein, wäre das eine Überraschung – aber keine Sensation mehr. Das Gaugisch-Team hat den Abstand zu den skandinavischen Handball-Nationen Norwegen, Dänemark und Schweden sowie zu Weltmeister Frankreich in den vergangenen Jahren merklich verkleinert. „Ziel ist es nun, die Frauen dauerhaft in der Weltspitze zu etablieren und immer in der Lage zu sein, das Halbfinale zu erreichen“, sagte DHB-Präsident Andreas Michelmann. Seiner Meinung nach könne der internationale Durchbruch des talentierten Teams schon jetzt gelingen: „Passieren kann das auch schon bei der EM.“
Auch weil Althaus als weiteres Puzzleteil der Professionalisierung dazu gestoßen ist. Mit dem Start in die unmittelbare EM-Vorbereitung Mitte November in Ismaning trat Althaus ihren Dienst auf Honorarbasis an. Sie wird ganz dicht beim Team sein und als Ratgeberin für Situationen auf und neben dem Platz zur Verfügung stehen. Sie wird auch eine Vermittlerrolle zwischen Spielerinnen und Trainer, aber auch zwischen Mannschaft und Verbandsfunktionären einnehmen. Und natürlich gehört auch die Medienarbeit zu ihrem Aufgaben-Bereich. „Ihre Erfahrungen in verschiedensten Rollen werden uns helfen“, sagt DHB-Sportvorstand Ingo Meckes. Er sieht in Althaus einen „charismatischer Typ“, sie werde mit „ihrer begeisternden Art noch mehr Menschen für Frauenhandball faszinieren“.
Dafür wird Althaus alles tun. Ihrer Meinung nach wird der Frauenhandball „immer noch unterschätzt und nicht so unterstützt, wie es sein sollte, wie es Frauen verdienen“. Sie erkenne zwar, dass sich gerade in Deutschland diesbezüglich bereits etwas bewegt habe: „Der Frauenhandball in Deutschland ist wirklich im Vormarsch.“ Doch verglichen mit den Vermarktungsmöglichkeiten im Männerhandball klafft immer noch eine große Lücke. „Es ist die gleiche Sportart, aber Frauen haben ganz andere Facetten, die man einfach noch hervorbringen kann“, sagte Althaus: „Man kann das noch ganz anders vermarkten.“ Althaus, die für den europäischen Verband EHF Sendungen bei Instagram und Twitch moderiert hat, weiß, wie wichtig die sozialen Medien im heutigen Profisport sind. „Das ist natürlich viel hilfreicher und sorgt auch dafür, dass du mehr Sponsoren kriegen und mehr Aufmerksamkeit generieren kannst“, sagte sie: „Dadurch hat man jetzt auf jeden Fall viel mehr Aufmerksamkeit als vorher.“
An Typen mangelt es im deutschen Frauenhandball nicht, Führungsspielerinnen wie Emily Bölk, Alina Grijseels oder Xenia Smits haben interessante Lebensgeschichten zu erzählen. Gesellt sich dann auch noch Erfolg dazu, würde Frauenhandball in der öffentlichen Wahrnehmung einen weiteren Schub erfahren. „Das Beste ist, wenn die Frauen jetzt einfach mal was gewinnen. Dann wird es einfacher“, sagte Althaus. Genauso sieht es Sportvorstand Meckes. Man wolle die anstehende EM nutzen, „um Handball-Deutschland mit unseren Auftritten zu begeistern und so eine Euphorie für die Heim-WM im kommenden Jahr zu entfachen“. Und das geht am besten mit einem attraktiven und erfolgreichen Spielstil. „Wir haben bei der Golden League gesehen, dass wir, wenn wir unsere Leistung abrufen, mit den Top-Nationen mithalten können“, sagte Meckes: „Genauso aber auch, dass wir das stabiler zeigen müssen, um im Vergleich mit den Besten konkurrenzfähig zu sein.“ Und nichts anderes ist das Ziel, das weiß auch Trainer Gaugisch. Die Top-4-Nationen „zu attackieren, das treibt uns alle an“, bekräftigte er: „Wir gehen in jedes Spiel, um zu gewinnen. Das ist schon mal Grundvoraussetzung.“
„Etwas, wo wir immer hinwollten“
Dieses Selbstverständnis kommt nicht von irgendwo her. Das Niveau im deutschen Frauen-Handball ist – auch bedingt durch Investitionen des Verbandes – in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Einige Nationalspielerinnen wie Kapitänin Emily Bölk (Ferencvaros Budapest/Ungarn), Alina Grijseels (CSM Bukarest/Rumänien) und Torhüterin Katharina Filter (Brest Bretagne/Frankreich) verdienen ihr Geld bei Top-Clubs im Ausland. Außerdem bildet ein starker Stamm des deutschen Spitzenclubs HB Ludwigsburg um Spielmacherin Xenia Smits das Rückgrat des Teams. „Das ist etwas, wo wir immer hinwollten“, sagte Bölk, „dass möglichst viele von uns in den Clubs auf einem Level spielen, der keinen Unterschied mehr macht zu den großen Turnieren mit der Nationalmannschaft“.
Dass immer mehr deutsche Spielerinnen den Schritt nach Frankreich, Ungarn oder Rumänien wagen, wo die Investitionen in den Frauen-Handball größer sind als in Deutschland, sei ein gutes Zeichen, findet Bölk. „Es tut vielen gut, sich außerhalb der gewohnten Bubble und in einem fremden Land zu beweisen“, sagt die Rechtshänderin. Diese Erfahrung sei „für die Entwicklung der Persönlichkeit einfach wichtig“. Und davon profitiert am Ende auch die Nationalmannschaft. Bei der WM im Vorjahr schied Deutschland erst im Viertelfinale gegen Schweden aus und belegte am Ende den sechsten Platz. Beim olympischen Turnier war ebenfalls erst im Viertelfinale Schluss, als sich das Gaugisch-Team knapp Gastgeber Frankreich geschlagen geben musste. Doch schon die erstmalige Olympia-Qualifikation seit 2008 hat gezeigt: Mit Deutschland ist im Frauenhandball wieder zu rechnen. Auch die starken Auftritte in der Golden League gegen Top-Nationen wie Norwegen und die Niederlande geben Anlass zur Hoffnung.
Für andere Nationen ist dagegen das Motto: Dabei sein ist alles! Erstmals in der EM-Geschichte wird die Endrunde aufgrund einer Aufstockung mit 24 Mannschaften ausgetragen. Dadurch dürfen sich zum Beispiel die Türkei und die Färöer auf ihre EM-Premiere freuen. Island, in der Vorrunde Deutschlands letzter Gegner, konnte sich erstmals seit 2012 wieder qualifizieren. Das DHB-Team und die Niederlande sind in ihrer Gruppe klare Favoritinnen, und so will es Bundestrainer Gaugisch angehen. Er habe „richtig Bock“, sagte er, „mich mit den Spielerinnen gut vorzubereiten und dann eben alles rauszulassen, was wir draufhaben“.
Kapitänin Bölk erwartet dabei einen Lerneffekt von Paris: „Wir hoffen, dass wir – anders als bei Olympia – einen guten Start erwischen und direkt in einen Flow kommen“. Dafür soll auch Anja Althaus als neue Nationalmannschafts-Managerin sorgen.