Weltmeister Max Verstappen und Red Bull können nach acht sieglosen Rennen doch noch gewinnen – und das gleich zweimal in Folge. McLaren greift erstmals aktiv in den WM-Zweikampf seiner Titelanwärter ein und Ferrari verfehlt die Zielvorgabe beim Heimrennen im „roten Meer von Monza“ sowie in Baku.
Sky-Experte Timo Glock konnte es nicht fassen: „Bei diesem Italien-GP in Monza habe ich zwei Rennen erlebt: das, was Max Verstappen in seiner eigenen Welt im Red-Bull-Auto abgeliefert hat, und dann kam der Rest. Max war in seiner eigenen Liga.“ Nach bescheidenen Ergebnissen in den letzten Rennen ist der viermalige Weltmeister im Tempo-Tempel, auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke im königlichen Park von Monza, plötzlich wie Phönix aus der Asche aufgetaucht. 112 Tage oder acht Rennen nach seinem letzten Erfolg beim Grand Prix in Imola (18. Mai 2025) gewann der 27 Jahre alte Niederländer mit einer Machtdemonstration und Galavorstellung auch das zweite F1-Rennen in diesem Jahr im Heimatland von Ferrari. Mit seinem Japan-Triumph verbucht Verstappen seinen dritten Jahreserfolg und den 66. Sieg in seiner F1-Karriere.
Zurück vom „Abstellgleis“
Die McLaren-Dauersieger der vergangenen fünf Rennen, Lando Norris und Oscar Piastri, verwies der Bullen-Chefpilot auf die Plätze zwei und drei (dazu später mehr). Die Ferrari-Piloten Charles Leclerc (Vierter) sowie der für geschätzte 80 Millionen Euro Jahresgehalt von Mercedes zu den Roten gelockte „Heilsbringer und Messias“ Lewis Hamilton (Sechster) konnten die Zielvorgabe von Teamchef Fred Vasseur (57) auf einen Podestplatz nicht erfüllen.
Ausgerechnet in der Ferrari-Hochburg schlägt der schon auf dem „Abstellgleis“ für die WM gestrandete Ausnahmekönner vor 130.000 Tifosi zu. Und wie: mit einem Abstand von 19,207 Sekunden auf den Zweiten Norris! Das sind in der Formel 1 Lichtjahre. Und Verstappen setzte noch zwei Bestmarken drauf. Im Qualifying fuhr er mit 1:18,792 Minuten (Durchschnittsgeschwindigkeit von 264 km/h) auf der ikonischsten Rennstrecke, dem 5,793 Kilometer langen Kurs, die schnellste je gemessene Runde in der Königsklasse. Damit löste er den siebenfachen Weltmeister Lewis Hamilton (1:18,887 mit dem 2020er Mercedes) ab. Als Polesetter (erster Startplatz) umrundete der „fliegende Holländer“ im Sonntagsrennen die 306,720 Kilometer (53 Runden) in einer Stunde, 13 Minuten und 24 Sekunden (1:23:24). Mit dieser „irrealen Zeit“ ist der Grand Prix von Italien in Monza als schnellstes Rennen in die GP-Geschichte eingegangen. Verstappen hat in Monza bewiesen, dass man ihn nicht abschreiben darf.
Italien-Sieg kein One-Hit-Wonder
Nach dem Fallen der Zielflagge kam Verstappen zu der Erkenntnis: „Es war ein großartiger Tag für uns. Nach einem etwas unglücklichen Start ist das Auto geflogen. Ich glaube, der Sieg ist natürlich noch immer ein bisschen abhängig von der Strecke.“ So hoffte der „fliegende Holländer“, dass er auch am Sonntag auf dem Baku City Circuit in Aserbaidschan mit seinen langen Geraden und engen Kurven am Kaspischen Meer zum nächsten Sieg „fliegt“. Er hoffe jedenfalls, dass der Italien-Grand-Prix kein „One-Hit-Wonder“ war.
Sein Entdecker, Freund und strategischer Berater des Bullen-(Renn-)Stalls, Doktor Helmut Marko (82), legte nach: „Dieser Monza-Sieg ist eine Wiedergeburt, wir sind alle überglücklich. Aber die WM ist dahin, dennoch wären ein paar Siege noch schön.“ Der Motorsportkonsulent hat noch keines der 409 Red-Bull-Rennen mit 125 Siegen versäumt. Immer anwesend, immer dabei mit seinen Rennanalysen – und zwar punktgenau. So auch am Sky-Mikro in Monza, als der „Doc“ eine optimistische Prognose äußerte: „Jetzt hat’s geklappt. Vielleicht ja auch auf einer der nächsten Strecken. Die schnellen Kurse wie Baku sollten uns weiterhin liegen. Wir können auf den meisten Strecken aus eigener Kraft vorne mitfahren.“ Recht sollten sie behalten: Bereits im Qualifying sicherte sich Verstappen mit einer fehlerfreien Runde die Pole-Position und verteidigte seine Führung beim Aserbaidschan-GP.
Laut Marko funktionierte der Verstappen-Triumph auch nur dadurch, „dass das ganze Team optimal zusammenarbeitet, dass die Fahrer auch in der Abstimmung eingebunden sind und dass wir das Potenzial jetzt optimal nutzen können“, so der Steirer. „Doc“ Marko (übrigens tatsächlich promovierter Doktor der Rechtswissenschaften) spielte damit auf den Wechsel des Teamchefs Anfang Juli an. Christian Horner, zwanzig Jahre lang Anführer der Bullen, bekam Flügel und flog „kopfüber“ aus dem Bullen-Stall – wenn auch nicht überraschend zu diesem Zeitpunkt. Marko, der in der Vergangenheit öfter mit dem machtbesessenen Briten „quer lag“, konnte sich nach dem Verstappen-Triumph einen Seitenhieb auf den gefeuerten Bullen-Teamchef nicht verkneifen: „Es wird wieder gelacht bei uns! Der alte Red-Bull-Spirit ist wiedererwacht, das Red-Bull-Feeling ist wieder da“, frohlockte der ergraute Strategieberater. Spätestens nach der Sex-Affäre von Horner mit seiner Assistentin vor rund eineinhalb Jahren war die Stimmung bei Red Bull im Keller (FORUM berichtete ausführlich über die Hintergründe des Skandals). Nach Horners „Rausflug mit Flügeln“ aus dem Red-Bull-Rennstall hat sich das Team spürbar verändert. Statt Frust, Misstrauen und Explosionsgefahr herrscht jetzt wieder Jubel, Heiterkeit, Spaß und vor allem Siegeshunger. Und der verbreitet Lust auf mehr.
„Verstappen reitet die rote Welle“
Verantwortlich für den „Hunger auf mehr“ ist nach der „Diagnose“ von Helmut Marko der „unprätentiöse“ Chef Laurent Mekies, der aus dem „Bullen-Schwesterteam“, dem Nachwuchs-Rennstall Racing Bulls, nach Horners Sturzflug ins Bullen-A-Team befördert wurde. In seinem vierten Rennen am Kommandostand durfte der Franzose über seinen ersten Sieg als Red-Bull-Teamchef jubeln. Und „Doc“ Marko jubelte mit: „Ich glaube, das war die richtige Entscheidung (gemeint ist die Beförderung von Mekies, Anm. d. Red.). In der Komplexität der Formel 1 ist ein Techniker an der Spitze wahrscheinlich die bessere Lösung, es ist dann alles mehr von der technischen Seite her aufgebaut“, betonte Marko.
Der „Corriere dello Sport“ in Italien kommt zu dem Ergebnis: „Verstappen reitet die rote Welle. Super-Max in Höchstform demütigt McLaren. Verstappen beweist wieder einmal, ein Phänomen zu sein.“ Für „Tuttosport“ „erweist sich Super-Max einmal mehr als Spezialist bei unglaublichen Leistungen. Mit ihm fliegt Red Bull zum Sieg. Mit einem zuverlässigeren Bullen-Boliden wäre die WM heute noch offen.“ 69 Punkte liegt Verstappen als WM-Dritter vor dem 18. Saisonlauf hinter WM-Spitzenreiter Oscar Piastri (324 Punkte) und 44 Zähler hinter dem WM-Zweiten Lando Norris (299 Punkte). In sieben Rennen und drei Sprints (Austin, São Paulo und Katar) sind noch maximal 119 Punkte zu vergeben – allerdings auch für Piastri und Norris. Beide Piloten haben für WM-Aspirant McLaren bisher fette Beute bei ihrer Jagd auf den Titel eingefahren, auch wenn die Harmonie im Autodromo Nazionale di Monza etwas gestört war.
Was war passiert? WM-Spitzenreiter Oscar Piastri musste in der Schlussphase in Monza wegen einer Teamorder seinem Stallkollegen Lando Norris den zweiten Platz „schenken“. Schuld war ein verpatzter Boxenstopp am Norris-Boliden, dessen linkes Vorderrad beim Wechsel „klemmte“. Durch dieses Missgeschick konnte Piastri auf Platz zwei hinter Verstappen vorbeiziehen. Die Aufforderung an Piastri kam prompt vom Kommandostand: „Oscar, lass Lando vorbei.“ Der Australier gab sich als absoluter Teamplayer und erklärte: „Es gab eindeutig triftige Gründe für den Wechsel zurück. Lando war während des gesamten Rennens vor mir, das verstehe ich. Das war alles schon okay“, verteidigte er sein Team für die Entscheidung des Platztauschs. In der Fahrer-Pressekonferenz fügte er sogar an: „Ich würde es am Ende des Jahres nicht bereuen, wenn ich dadurch die WM verloren hätte.“ Alle Achtung, chapeau vor einer solchen Einstellung!
Andrea Stella, ein italienischer Luftfahrttechniker, ehemaliger Renningenieur und seit Januar 2023 Teamchef bei McLaren, verwies auf die strikten McLaren-Regeln, die sogenannten Papaya-Rules: „Es war eine Entscheidung am Kommandostand. Es ging nicht nur um den Boxenstopp, sondern auch darum, dass wir die Positionen halten wollten nach dem Boxenstopp. Die Positionen hatten sich aber verändert, und dann war es die richtige Entscheidung, die ‚Original-Reihenfolge‘ wiederherzustellen und die beiden Rennen fahren zu lassen“, erklärte Stella bei Sky. Der Teamchef verwies mit Stolz auf seine Fahrer: „Einmal mehr haben Oscar und Lando die Prinzipien und die Werte von McLaren repräsentiert und gezeigt. Es geht bei uns nicht um die Nummer eins und Nummer zwei. Wir haben zwei großartige Fahrer, die in der Lage sind, um die Meisterschaft zu fahren. Wir fahren nach Art und Weise von McLaren, wie wir das für richtig halten – als echte und faire Sportsmänner.“
Doppeltes Pech für Ferrari
Die Durststrecke von Ferrari hat auch beim Heimrennen in Monza angehalten. Charles Leclerc, strahlender Vorjahressieger, hat mit Platz vier das Podium verfehlt. Dabei hatte Teamchef Fred Vasseur als Zielvorgabe einen Podiumsplatz ausgegeben. Doch seine Fahrer landeten im Nirgendwo. Der Anblick eines der „Ihren“ auf dem Podium wäre für die Hunderttausenden Tifosi ein Genuss der „Huldigung in Rot“ gewesen. Zu Zigtausenden strömten die Ferraristi nach dem Rennen auf die Start-Ziel-Gerade, um unter dem Siegerpodest ihrem Helden zu huldigen. Aber da war in der Mitte das Blau von Red-Bull-Racing-Star Max Verstappen zu sehen und links und rechts das Papaya-Orange von McLaren. Für Hamilton (Sechster) blieb das Podium auch beim 16. Versuch in einem Grand Prix für die Scuderia außer Reichweite. Monza bleibt für Ferrari verwunschen.
Auch in Baku sollte die Wiedergutmachung nicht gelingen: Mit Platz 8 und 9 verfehlten sowohl Lewis Hamilton als auch Leclerc das Podium deutlich.
Ziemlich wortkarg und entsprechend schmallippig gab sich Mercedes-Sportchef Toto Wolff nach der mäßigen Monza-Vorstellung seiner Fahrer. Der Österreicher bei Sky: „Es gibt einen Fahrer, der alle anderen blöd aussehen lässt (Verstappen, Anm. d. Red.). Es war auch nicht gut genug bei uns (George Russell Fünfter, Kimi Antonelli Neunter). Ganz einfach: Wir hatten ein Paket, das nicht konkurrenzfähig war.“ Immerhin Russell stellte die Mercedes-Ehre in Baku mit einem soliden zweiten Platz wieder her.
Eine bittere Pille musste auch Nico Hülkenberg schlucken, bevor es richtig losging. Der Sauber-Pilot wurde auf der Einführungsrunde in Monza angewiesen: „Bring dein Auto in die Box. Es gibt Probleme mit der Hydraulik.“ Früher Feierabend für den Fahrer vom Niederrhein, der völlig perplex war und nichts bemerkt hatte. „Da muss was auf der Fahrt in die Einführungsrunde passiert sein“, vermutete der frustrierte Hülkenberg, der künftig, ab 2026, als Audi-Pilot starten wird.
Seine letzten sieben Gastaufführungen der Saison bestreitet der Formel-1-Zirkus nun in Übersee. Nächster Stopp ist Singapur am 5. Oktober (14 Uhr auf Sky).