Auf die überreizte Stimmung können wir mit einem einfachen Mittel reagieren
In der ganzen Republik scheinen landauf und landab, von Flensburg bis Oberstdorf, von Aachen bis Zittau, die Grundsätze des friedlichen Zusammenlebens außer Kraft gesetzt. Die Stimmung im Land wirkt allenthalben überreizt, die meisten Menschen leben in einem Zustand äußerster Anspannung und Ungeduld. Das muss sich ändern, wenn wir uns nicht irgendwann gegenseitig zerfleischen wollen.
Wie ist die allgemeine Nervosität in der Bevölkerung zu erklären? Oberflächlich betrachtet sind es die multiplen Krisen, die Kriege, die Klimakrise und das weltweite Erstarken der Rechtsextremen, die uns belasten und unsere Perspektiven einengen. Wahrscheinlich ist die Antwort viel banaler: Wenn Erwachsene überreizt sind, können sie frustriert sein und sich verhalten wie ein Kleinkind, das vorm Süßigkeitenregal steht und tobt, weil niemand ihm seinen sehnlichsten Wunsch auf der Stelle erfüllt.
Im Alltag werden wir immer wieder Zeuge von absurden Szenen, über die man – ob ihrer Belanglosigkeit – nur den Kopf schütteln kann. Ich denke etwa an einen Busfahrer, der eine zugestiegene Frau anblaffte, weil die unwissentlich ihren Kinderwagen so in der Mitte parkte, dass dieser ständig gegen den Haltewunschknopf drückte. Oder ich erinnere mich an einen Autofahrer, der hinterm Lenkrad in einen Wutanfall ausbrach, nachdem ich ihn auf der Hauptstraße zum Abbremsen gezwungen habe, weil ich im zweiten Gang angefahren bin. Der gleiche Autofahrer überholte mich später aus Rache für mein dreistes Vordrängeln auf einer Landstraße und bremste mich kurzerhand aus. Oder ich denke an einen Papa mit Lastenrad, dem der Kragen platzte, als ein anderes Elternteil die Feuerwehrzufahrt zur Kita zuparkt.
Als ich mir im vergangenen Jahr ein Fußballspiel zweier Mannschaften aus der E-Jugend ansah, schämte ich mich in Grund und Boden für das Verhalten einiger Fans des gegnerischen Teams. Wie kann man es als unbeteiligter Zuschauer von auswärts schaffen, ein solches Maß an negativen Vibes abzusondern? Zuerst beschwerten sich einige der angereisten Fans lautstark über die angeblich zu harten Fouls des Teams mit Heimvorteil. Kurz darauf wurde der junge Schiri von einem Zuschauer angefahren, weil er vermeintlich eine Fehlentscheidung getroffen hatte. Das Spiel endete schließlich vorzeitig in der zweiten Halbzeit, als der Trainer der Gegner das Spiel abbrach.
All die Mitbürger, die schnell genervt und gereizt reagieren, müssten ihre Impulskontrolle trainieren. Aber Moment – eigentlich ist das eine überzogene Erwartungshaltung, merke ich. Schließlich kann nicht jedes Lebewesen mit aufrechtem Gang über sein eigenes Fehlverhalten reflektieren, geschweige denn Achtsamkeit mit sich selbst und mit anderen an den Tag legen. Manche Mitbürger leben in einer Wahrnehmungsblase. Die bekommen allenfalls mit, was unmittelbar vor ihrer Nasenspitze passiert.
Überhaupt, denke ich, würde uns allen mehr Freundlichkeit und Demut gut zu Gesicht stehen. Ein höflicher Umgangston und eine weniger ichzentrierte Haltung sollten zur Grundausstattung des Menschen gehören. Wenn wir jemanden nicht verstanden haben, muss man nicht gleich sein Gegenüber anblaffen, nur weil der undeutlich oder leise gesprochen hat. Eine freundlich-zugewandte Ansprache kann helfen, die Verbindung zum Gegenüber zu stärken – oft erreicht man so mehr als mit Vorhaltungen und negativ-destruktiven Gefühlen.
Auch im ach so hektischen Alltag können wir einen höflich-zuvorkommenden Umgang zur obersten Bürgerpflicht machen. Warum lassen wir nicht einem Autofahrer, der sich rechts in die Hauptstraße einfädeln will, die Vorfahrt, auch wenn wir das nicht müssen? Warum sehen wir es nicht einer älteren Frau nach, wenn sie vor uns in die frei gewordene Parklücke reinwitscht? Und warum helfen wir nicht einer Frau beim Aufräumen, der mehrere Konservendosen aus einem Supermarktregal herausgefallen sind?
Wo wir unsere Freundlichkeit und Zugewandtheit anderen gegenüber ausleben, spielt keine Rolle. Denn wenn wir uns weniger mit Konflikten und Kleinkriegen herumschlagen müssen, können wir uns besser für die großen Herausforderungen wappnen.